Geschichtswissenschaften und Web 2.0 in Basel

In einem wirklich beeindruckenden Basler Stadtpalais fand am vergangenen Freitag die Tagung “Geschichtswissenschaft und Web 2.0” statt, organisiert von hist.net und infoclio.ch. Nach dem Historikertag hatte ich ein ein eher trauriges Fazit der Digitalen Geschichtswissenschaft gezogen, aber das Thema ist natürlich höchst relevant, der Workshop kostenlos und Basel auch nicht weit entfernt von Freiburg. Grund genug für mich, den eh viel zu selten beschrittenen Weg in die Schweiz zu wagen.

Hätte ich eine Kamera dabei gehabt, hätte ich auch sinnvollere Bilder machen können.

Zu Beginn überraschte mich Peter Haber mit der Feststellung, dass das WWW gerade erstmal 20 Jahre alt ist. Dafür, dass es mittlerweile gefühlt überall ist und im täglichen Leben unverzichtbar geworden ist, ist dies eine extrem kurze Zeitspanne. Noch kürzer ist der Einsatz in den Geschichtswissenschaften, bei dem man sich manchmal fragt, ob Historiker generell technikfeindlich sind. Haber machte 3 Phasen der Nutzung aus: Ab ca. 1995 hätten Historiker es als Recherchiertool, v.a. in Bibliotheken benutzt, ab ca. 2000 sei es zunehmend zur Präsentationsplattform geworden und erst ab ca. 2005 würde das Netz als Arbeitsplattform genutzt. Im Vergleich zu anderen Wissenschaften oder gar der Entwicklung der Technik allgemein erscheint mir das als recht spät.

Im Anschluss formulierte Manfred Thaller von der Uni Köln einige Thesen zur eHistory:

1) Für ihn sind Ansätze des Crowdsourcings, wie sie z.B. auf den Flickr Commons oder Monasterium.net versucht werden, nichts radikal Neues. Ähnliche Ansätze zur Einbeziehung von “Laien” in die wissenschaftliche Arbeit gab es auch schon im 19. Jahrhundert. Und davor gab es eh noch keine “Profis”.

2) “Nicht wer etwas sagt, was jemand sagt, ist entscheidend, solange die persönliche intellektuelle Verantwortung gewahrt bleibt.” Das klingt erstmal einleuchtend, kippt aber das komplette System der Teputation, das nicht nur der Wissenschaft tief eingepflanzt ist.

3) Thaller meint, dass die Kommunikation der und über die Ergebnisse der historischen Forschung bislang außerhalb der Kontrolle dieser erfolgte. Ein Konvergieren der Kommunikationskanäle könnte diese Verzerrungen potentiell verringern.

4) Die sofortige Verfügbarkeit von Bearbeitungsstufen verändert die Rollen der am historischen Prozess beteiligten. thaller bezeichnet die klassische Forschung als asynchron. Bibliothekare und Archivare würden ein Dokument aufbewahren, Quellenspezialisten oder Herausgeber dieses dann editieren und Forscher es schließlich interpretieren. Gerade die langen Wartezeiten bei einer solchen Vorgehensweise könne durch das Bereitstellen von Originalen im Internet verbessert werden, denn nur zugängliche Quellen helfen der Forschung.

6) Wird der Akt der Kommunikation wichtiger als das Kommunizierte, ende die Geschichtswissenschaft.

Hätte ich eine Kamera dabei gehabt, hätte ich auch sinnvollere Bilder machen können.

Darauf antwortete Sacha Zala von den Diplomatischen Dokumenten der Schweiz (Dodis). Dieses Projekt versucht eine Edition der wichtigsten diplomatischen Dokumente online verfügbar zu machen und nutzt die technischen Möglichkeiten des Webs sehr vorbildhaft. Da ist es fast schon schade, dass die Geschichte der Schweiz außerhalb meines Forschungsschwerpunktes liegt, denn so etwas würde ich gerne nutzen. Zala widersprach sehr vehement der 4. These Thallers. Für ihn war die Kritik an den Editionen zu pauschen (auch wenn Dodis natürlich schon die von Thaller skizzierte synchrone Forschung verwirklicht und Zala sich eigentlich gar nicht gegen diese Kritik verteidigen müsste). Er sah auch einen fundamentalen Unterschied zwischen Mittelalter-Editionen und zeitgeschichtlichen. Aufgrund der Quellenflut der Neuzeit ist die Selektion immens wichtig; ein Problem, das sich Mittelalterhistorikern so nicht stellt. In der Zeitgeschichte gäbe es aber enorme quellenkritische Probleme mit der Flut und es gäbe auch andere rechtliche Aspekte wie den Persönlichkeitsschutz zu beachten.  Dodis ist momentan aber natürlich noch keine wirkliche Web 2.0-Anwendung. Zala zeigte sich durchaus kritisch, was die Einbeziehung der Nutzer betrifft. Externe Meldungen könnten zwar zur Qualitätssicherung beitragen, aber “Schwarmintelligenz ist Hilfstätigkeit”. Ein weiteres Problem sei die Verschlagwortung – usergenerierte Tags besitzen keine kohärente Struktur und wären daher nicht gut für das Projekt geeignet. Außerdem fehle es an Geld, um die nötige Kontrolle und Moderation durchzuführen. Der Gedanke, dass man im Internet schneller publizieren könne sei ein Trugschluss, da die Qualitätssicherung auch hier stattfinden müsse.

In der Diskussion kam die Frage auf, ob eine Massendigitalisierung oder eine gezielte Selektion sinnvoller sei oder ob durch die Selektion die Forschung in eine bestimmte Richtung gelenkt würde. Thaller warnte auch davor, eine technische Notwendigkeit wie die Auswahl zu druckender Quellen zum intellektuellen Prinzip zu erheben. Wenn beispielsweise Google Millionen Bücher digitalisiere, dann könne es sich die Forschung nicht leisten, diese zu ignorieren. Hier gebe es enorme Chancen für die Geschichtswissenschaften, da diese in der Lage seien, auch widersprüchliche Quellenbefunde zu integrieren.

Im zweiten Teil des Workshops ging es um eine konkrete Web 2.0-Anwendung – Blogs. Einführend stellten Marvin Brendel (Geschichtskombinat / Geschichtspuls), Cathleen Sarti (Zwerge auf den Schultern von Riesen) und Anton Tanter (Adresscomptoir) ihre Blogs vor. Im Anschluss sprach Mills T. Kelly vom CHNM und edwired zum Thema “If I stop blogging, what will you tweet about?” Hier betonte er die mögliche Wissenschaftlichkeit (die englische Unterscheidung scholary und scholarship ist schwierig zu übersetzen) von Blogs. Die offene Frage sei, wie Wissenschaftler sich dies für ihre Publikationslisten und damit ihre Karrieren anrechnen lassen könnten. Im Anschluss stellte er noch sein Experiment über das bewusste Erstellen eines historischen Hoaxes in einem Seminar vor.

Hätte ich eine Kamera dabei gehabt, hätte ich auch sinnvollere Bilder machen können.

Interessant war hier vor allem der Kontrast Europa – Usa. Das CHNM besteht bereits seit 1994 und entwickelt aktiv digitale Werkzeuge wie Omeka oder Zotero. Auch in der Lehre spielt das Internet eine größere Rolle. Im Gegensatz dazu erscheint Deutschland als ein rückständiges Entwicklungsland, in dem man häufig froh sein kann, wenn die Dozenten einen Beamer anschließen können. Die folgende Diskussion zeigte, dass dieses ebenfalls für die Blogosphäre gilt. Während es im englischsprachigen Raum unzählige Blogs gibt, ist die Anzahl der deutschsprachigen Blogs doch sehr überschaubar und es ist keine wirkliche Dynamik spürbar. Blogs als Medium der wissenschaftlichen Kommunikation finden hier nicht statt. Warum das so ist, konnte nicht geklärt werden. Sowohl Mills T. Kelly, Peter Haber und Anton Tanter haben Versuche unternommen, Studierende in Lehrveranstaltungen ans Bloggen heranzuführen, das Ergebnis war aber überall gleich: Die Studierenden haben mit Ende der Lehrveranstaltung wieder aufgehört zu bloggen. Nur diejenigen, die bereits vorher dabei waren, haben weitergemacht. Einzig alleine zwei Feststellungen konnten diesen ernüchternden Befund erklären:

1) Es scheint etwas mit einer gewissen Freude am Schreiben zu tun haben. Wobei sich hier natürlich die Frage stellt, warum Leute überhaupt Geschichte studieren, wenn sie ungerne schreiben.

2) Bloggen ist durchaus Arbeit. Einen ausführlichen Text zu verfassen, verlangt Zeit und Motivation, die man sich im Alltag erstmal nehmen muss.

Das ist wohl das passende Fazit des Workshops: Wer im Internet etwas mit wissenschaftlichem Anspruch erstellen will, muss dafür auch die nötige Arbeit und Gehirnmasse einsetzen. Außerdem bleibt zu hoffen, dass einige der Anwesenden sich vom Workshop motiviert fühlen und ihre eigenen Blogs starten.

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5 Antworten zu Geschichtswissenschaften und Web 2.0 in Basel

  1. Ladislaus sagt:

    Crowdsurfing? Das macht man auf einem Rockkonzert. Gemeint ist Crowdsourcing.

  2. Pingback: Tweets that mention Geschichtswissenschaften und Web 2.0 in Basel | Schmalenstroer.net -- Topsy.com

  3. admin sagt:

    Danke für den Hinweis, ich hab’s korrigiert. Zu viel Rockmusik im Hintergrund schadet doch ;)

  4. Pingback: weblog.histnet.ch » Blog Archive » Vom Beamer-anschliessen-können zum Web 2.0

  5. Pingback: weblog.histnet.ch » Blog Archive » Nachdenken über Weblogs – oder: Nachwirkungen eines analogen Kaffeekränzchens

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