Wenn das der Führer wüsste…

Wenn es um Hitler-Satiren geht, kann ich einfach nicht widerstehen. Ein Blick auf mein kleines Nebenblog dürfte das verraten. Ebenso gerne lese ich kontrafaktische Geschichte, also Bücher mit Szenarien, in denen die historische Entwicklung anders verläuft. Es versteht sich daher von selbst, dass ich nicht an der wunderschön aufgemachten Neuauflage von Otto Basils “Wenn das der Führer wüßte” vorbeigehen konnte als ich sie im Schwarzen Kloster liegen sah.

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Das Szenario ist eine Wucht – die Nazis haben durch den Einsatz von Atombomben, welche statt auf Hiroshima auf London fiel, den Zweiten Weltkrieg im letzten Moment doch noch gewonnen und die Welt mit den Japanern aufgeteilt. Die Juden wurden vollständig vernichtet und in den besiegten Ländern regieren Marionettenregime – so etwa Oswald Mosley in England und der KuKluxKlan in den USA. Überall gibt es UmLs, Untermenschenlager, in denen Slawen zu brutalen Experimenten missbraucht werden.

Basil schrieb das Buch bereits 1966 und dies ist auch die Zeit, in der es spielt. Adolf Hitler, der von allen nur noch “Adolf der Große” genannt wird, ist mittlerweile altersschwach und dem Tode nahe. In der Partei bricht ein Machtkampf um seine Nachfolge aus – und mitten in diesen Machtkampf wird unser Protagonist Albin Totila Höllriegl gezogen. Dieser, ein altgedientes Parteimitglied frühester Stunde, schlägt sich eher schlecht als “Strahlungsspürer” durch, der mit seinem Pendel nach schädlichen Erdstrahlen sucht. Eigentlich lüstet er aber nach dem Mannsweib Ulla von Eyckes, der er nicht nur die Wohnung auspendelt. Ein mysteriöser Befehl der Partei beordert ihn in die Reichshauptstadt, wo die Ereignisse sich schnell überschlagen.

Das wirklich Tolle an diesem Buch ist neben dem Szenario, in der eine auf die Spitze getriebene Wahnsinnigkeit der Nazis auf die andere folgt, vor allem der Charakter Höllriegl. Dieser ist – und sowas findet man wirklich selten – eine absolut dreckige Kröte, ein wirklich verabscheuenswertes Wesen und der mieseste Charakter, den ich seit Patrick Bateman in einem Buch angetroffen habe. Höllriegl nutzt jede Gelegenheit, um so ziemlich jede Frau anzuschmachten, sie auf abstruse Weise zu becircen und sie lüstern und schmalzig zu begaffen. Etwas derart Mieses und Dauergeiles zu schaffen ist eine Leitung Basils, die zum Teil fast schmerzhaft zu lesen ist. Basil sitzt Höllriegl als Erzähler immer im Nacken, gönnt ihm keine Pause und triebt ihn wirklich dazu, seine schlechteste Seite zu zeigen. Höllriegl zeigt im gesamten Buch keinen einzigen sympathischen Charakterzug und die ansonsten übliche Identifikation des Lesers mit dem Protagonisten fällt hier komplett aus. Das ist ganz großes Kino! Derartige Widerlinge trifft man selten!

Gleichzeitig zeigt das Buch auch, dass Satire unglaublich zeitspezifisch ist und dass es für Nachgeborene extrem schwierig sein kann, sie überhaupt zu erkennen. Natürlich erkennt man die großen Knaller, aber wenn Höllriegl gegen Ende den Tarnnamen “Ritter Götz von der Leyen” annimmt, bemerkt man plötzlich, dass sich unter der auf den ersten Blick zu erkennenden Satire noch eine weitere Ebene verbergen muss. Diese dann wirklich zu erkennen und verstehen, ist fast unmöglich. Was und wer alles verschleiert auftritt, ist wohl nur mit sehr guter Kenntnis der 50er und 60er Jahre möglich. Denn Otto Basil schrieb keinen Science Fiction-Roman, sondern er dachte die Absonderlichkeiten und die moralische Verwahrlosung des Nationalsozialismus einfach konsequent weiter.

Basil, Otto: Wenn das der Führer wüßte. Milena Verlag, Wien 2010. 23,90€.

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