Die WikiWatch-Affäre entwickelt sich zum Shitstorm

Ich habe ja bereits vor ein paar Tagen über die Astroturfing- und Manipulationsvorwürfe gegen das Projekt Wiki-Watch berichtet, aber mittlerweile hat sich die Affäre zu einem veritablen Shitstorm entwickelt, der nicht nur zeigt, dass eine vernünftige Krisenkommunikation definitiv nicht zu den Stärken der Frankfurter Projektmitarbeiter gehört, sondern auch zeigt, wie moderner Journalismus, Recht und Social Media zusammen agieren. Die Affäre begann ja bekanntlicherweise in der Wikipedia und im Vroniplag-Wiki, wo aufmerksame Nutzer merkwürdige Edits von mit Wiki-Watch in Verbindung stehenden Konten bemerkten. Schnell wurden Vorwürfe laut, dass hier eine gezielte Manipulation der Artikel stattfinde. Es war die Rede von Astroturfing für ein bestimmtes Insulin-Medikament, aber es wurden auch die Kontakte der Projektbetreiber in evangelikale Kreise aufgedeckt und fein säuberlich in einem PDF analysiert.

Die Geschichte ist natürlich ein Knaller – wenn die Vorwürfe stimmen, dann betreiben vielleicht gar von Steuermitteln bezahlte Wissenschaftler verdeckte Schleichwerbung und Pharmalobbying in öffentlichen Wikis. Und wenn es sich – wie mittlerweile herausgefunden wurde – um ein von Drittmitteln finanziertes Projekt handelt, das Astroturfing betreibt, muss man sich fragen, was so etwas an einer Universität zu suchen hat. Auf jeden Fall griff die FAZ das Thema auf nachdem es zuerst auf niedriger Flamme in den Blogs vor sich hin geköchelte und veröffentlichte einen längeren Artikel mit dem Titel “Hier prüft der Bürger das Insulin noch persönlich”. Nur um ihn später mit einer kurzen Erklärung wieder offline zu nehmen:

Am Freitag erschien an dieser Stelle ein Artikel über Verbindungen des Projekts „Wiki-Watch“ mit der Pharmaindustrie. Wir nehmen den Text nach Ankündigung juristischer Schritte durch die hier angegriffenen Personen bis auf weiteres aus dem Netz.

Es ist klar, was jetzt praktisch zwangsläufig geschehen musste: Nichts verbreitet einen solchen Sachverhalt im Internet schneller als Abmahnungen und rechtliche Schritte. Sobald einer Zensur wittert, ist die Aufmerksamkeit groß. Twitter-User verbreiten die Vorwürfe. Schnell tauchen Mirrors des entsprechenden Artikels auf und dabei werden Methoden genutzt, die der FAZ als an deutsches Medienrecht gebundene Zeitung nicht zur Verfügung stehen: Der Onlinespeicherdienst Dropbox wird genutzt, um anonym unabhängige Informationen zu verbreiten. Auf Twitter wird diskutiert. Auf Facebook hagelt es Kommentare. Noch mehr Blogs berichten kritisch. In der Wikipedia ist die Diskussion im Gange. Und auch neue Netzwerke wie Googles Plus erweisen sich als erstaunlich brauchbar. Kurz: Barbara Streisand nickt wissend und der Versuch die Vorwürfe unter den Teppich zu kehren ist schiefgegangen. Der Ruf ist erstmal im Eimer und es gibt für die WikiWatcher kaum eine Möglichkeit, dies zu bekämpfen: In meinem Blog hier muss ich mich zurückhalten, um nicht juristisch angreifbar zu werden. Ich würde z. B. den FAZ-Artikel nicht reposten, ich äußere mich so neutral wie möglich und ziehe auch verbal nicht komplett über die WikiWatcher her, sondern bemühe mich um eine sachliche Sprache. Wenn ich aber anonym auf Twitter oder mit einem in den USA gehosteten Blog unterwegs wäre, könnte ich das alles machen: Den US-Amerikanern mit ihrer starken Tradition der freien Meinungsäußerung sind irgendwelche Klageschriften aus Frankfurt/Oder vollkommen egal. Dadurch entwickelt sich in so einer Diskussion eine völlig neue Dynamik. Die einen werden von rechtsfreien Räumen sprechen, die anderen das für eine Stärkung der freien Meinungsäußerung halten. Ich tendiere zum Letzteren.

Update: Die Beschuldigten rund um Wolfgang Stock äußerten sich jetzt gegenüber Heise Online zu den Vorwürfen und wehren sich gegen den Vorwurf der Auftragsarbeit:

“Kein Mitarbeiter seiner Firma habe im Auftrag von Kunden in der Wikipedia editiert. Ebenso habe kein Mitarbeiter von Wiki-Watch in der Wikipedia mitgearbeitet. Für sich selbst macht er [Stock] jedoch eine Wikipedia-Regel geltend, wonach der Wunsch nach Anonymität eines Nutzers respektiert werden soll, selbst wenn der Name des Nutzers bekannt sei.”

Eingeräumt wurde allerdings, dass ein Mitarbeiter von Wiki-Watch unter dem Nutzernamen “Diskriminierung” in den Themenbereichen Homosexualität und Religion (insb. Evangelikalismus) editiert habe und auch “weltanschaulich gefärbte Informationen” einbrachte. Dies sei jedoch “ohne Wissen der Verantwortlichen” geschehen.

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3 Antworten zu Die WikiWatch-Affäre entwickelt sich zum Shitstorm

  1. Tom sagt:

    Die pdf-Datei: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:IQWIGundCo.pdf

    VroniPlag hat damit übrigens nicht viel zu tun ;) Da haben die Herren von der Forschungsstelle nur unabhängig von Wikipedia versucht, ihre Form von „Wahrheit“ zu verbreiten („Was ist ein Plagiat?“) und – immerhin möchte man mit dieser Expertise auch Geld verdienen – sich als Experten aufgespielt.

    Siehe http://blog.nz-online.de/vipraum/2011/06/27/wiki-experten-unter-sich/

  2. Pingback: Wie es mit Wiki-Watch weitergeht | Erbloggtes

  3. STK sagt:

    Ja, VroniPlag hat nicht damit zu tun, ausser dass die Wiki-Watcher durch ihre Aktivitäten auf VroniPlag ins Licht der Medien gerückt sind, wodurch dieser doch schon etwas ältere Vorfall auch wieder auftauchte.

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