Befreites Kulturgut: Doom nach 17 Jahren nicht mehr indiziert

 

Es ist ein deutliches Signal für die langsame Etablierung von Computerspielen als Kunst und Kulturgut: Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) hat die beiden Egoshooter Doom und Doom 2 vom Index genommen. Jetzt dürfen beide Spiele wieder beworben und offen in Läden verkauft werden. Dazu ergab eine erneute Alterseinstufung durch die USK, dass die Spiele auch für Jugendliche ab 16 Jahren geeignet sind. Die Bundesprüfstelle begründet die Entscheidung folgendermaßen:

»Doom« aus der Liste der jugend- gefährdenden Medien gestrichen

BPjM-Entscheidung Nr. 5847 vom 4.8.2011
bekannt gemacht im Bundesanzeiger Nr. 131 vom 31.8.2011
Das 12er-Gremium der Bundesprüfstelle hat in seiner Sitzung vom 4. August 2011 entschieden, das im Mai 1994 indizierte Computerspiel „Doom“, einen der ersten in 3D-Grafik ge- stalteten Ego-Shooter, aus der Liste der jugendgefährdenden Medien zu streichen. Die Aufrechterhaltung der Indizierung hätte der Zustimmung von 2/3 des Gremiums bedurft, diese Mehrheit kam jedoch nicht zustande.
Die Inhaberin der Nutzungsrechte hatte zuvor beantragt, das Spiel aus der Liste zu streichen, weil die darin enthaltenen Gewaltdarstellungen, die zur Indizierung geführt hatten, aufgrund der seither erfolgten Weiterentwicklung von Computerspielen aus heutiger Sicht nicht mehr als jugendgefährdend einzustufen seien.
Das Gremium hat in seiner Entscheidung deutlich gemacht, dass die technische Weiterentwicklung im Bereich der Computerspiele durchaus Relevanz für die heutige Bewertung älterer Computerspiele hat, die Visualisierung jedoch nicht allein ausschlaggebend dafür ist, ob ein Spielinhalt als jugendgefährdend einzustufen ist oder nicht.
In der Sitzung vom 4. August wurde auch über das im Dezember 1994 indizierte Nachfolge- spiel „Doom II – Hell on Earth“ entschieden, welches ebenso aus der Liste gestrichen wurde. Lediglich die amerikanische Fassung von „Doom II – Hell on Earth“ wurde in der Liste belas- sen, da diese zwei zusätzliche Level mit Darstellungen aus dem indizierten und bundesweit beschlagnahmten Spiel „Wolfenstein 3D“ enthält.
[…]
Mit Schriftsatz vom 1.8.2011 nahm der Verfahrensbevollmächtigte ergänzend Stellung:
Aus heutiger Sicht handle es sich bei „Doom“ nicht um eine realistische Darstellung. Für den heutigen Betrachter stelle sich das Spiel grafisch allenfalls auf unterem Comic-Niveau dar (flach, d.h. keine räumliche Tiefe; verpixelt; wenig detailliert; allenfalls rudimentäre Animationen). Dies verhindere eine Identifikation des Spielers mit der Spielfigur und unterstreiche den fiktionalen Charakter des Spiels. Der Verfahrensbevollmächtigte verweist zum Vergleich mit Gewaltdarstellungen in heutigen Spielen auf „Gears of War 3“, welches vor kurzem als nicht jugendgefährdend eingestuft worden sei. Eine „Doom“-Version für den Game Boy Advance (GBA) habe bereits im Jahre 2001 seitens der USK die Altersempfehlung „ab 16 Jahren“ erhalten. Auch wenn „Doom“ dem Genre der Ego-Shooter zuzuordnen sei, bedeute dies nicht, dass das Spiel schon deshalb jugendgefährdend sei. So seien andere Shooter mit einer Altersfreigabe versehen worden, auch wenn darin ebenfalls menschenähnliche Spielfiguren bekämpft und getötet würden.
Im Mittelpunkt des Einzelspieler-Modus’ von „Doom“ stünden Reaktionen und taktisches Geschick (Auswahl der zum jeweiligen Gegner und dem eigenen Spielstil passenden Waffen). Hinzu kämen diverse Rätsel- und Orientierungselemente (Labyrinth, Schalter, Schlüssel). Anders als viele aktuelle Shooter weise das Spiel versteckte Bonusräume auf, was den Fokus stärker auf Suchen/Entdecken verlagere. Begrenzte Munition vor allem in höheren Schwierigkeitsgraden und zahlreiche Überraschungselemente (vor allem Fallen) unterstrichen die Notwendigkeit eines durchdachten Vorgehens. „Doom“ sei daher aus heutiger Sicht ein vergleichsweise schwieriges Spiel, in dem unbedachtes Vorstürmen und reines „Durchballern“ nicht zum Spielerfolg führten, sondern zu schnellem Ableben, das mit einem Neustart und dem Verlust aller gesammelten Waffen bestraft werde. Im Multiplayer-Modus verstärke sich die Notwendigkeit von geschicktem und vor allem taktischem Vorgehen noch einmal.
„Doom“ sei heute vor allem von historisch-wissenschaftlichem Interesse. Dies zeige sich schon daran, dass das Spiel heute als eines der zehn wichtigsten Computerspiele aller Zeiten gelte. Es diene damit der Kunst und Wissenschaft. Eine besondere Anziehungskraft auf Kinder und Jugendliche gehe von dem Spiel heute jedenfalls nicht mehr aus, insbesondere angesichts der viel aufwendiger inszenierten und frei erhältlichen (USK 16 und USK 18) Alternativen.

Quelle

 

Das ist natürlich windelweich: Natürlich wirkt Doom nach 18 Jahren immensen technischem Fortschritt eher altbacken. Natürlich ist die Grafik nicht mehr state of the art und nicht mehr der technische Quantensprung wie damals im Jahr 1993. Viel interessanter ist aber das, was hinter der Entscheidung steht: Selbst aktuelle Spiele mit viel Gewaltdarstellung wie Gears of War 3 werden nicht mehr indiziert. Ich kann mir im Laden die God of War-Reihe besorgen, in welcher ich tiefer im Blut waten kann als Doom es jemals ermöglicht hat. Hier hat sich ein Mentalitätswandel oder – wenn man solche großen Worte benutzen will – ein Wertewandel vollzogen. Videospiele sind erwachsen geworden und auch die Spieler sind erwachsen geworden – seit den ersten Spielen Anfang der 1980er sind mehrere Generationen mit Videospielen aufgewachsen. Entsprechend ist das Know How gestiegen und die völlige Ahnungslosigkeit der Jugendschützer ist nicht mehr so schlimm wie noch in den 1980ern und den frühen 1990ern.

Wer sich anschauen will, wie konfus und ahnungslos die Jugendschützer damals agiert haben, dem empfehle ich dieses Video. Es zeigt die Arbeit bei der damaligen BPjS im Jahr 1991. Diese zwei kettenrauchenden Damen schaffen es nicht, ein simples Spiel ansatzweise zu kontrollieren und daher muss erstmal ein Jugendlicher herbeigeschafft werden, damit sie das Spiel selbst begutachten können. Die Kommentare dabei sprechen Bände:

Gut, dass die Entscheidungen solcher Leute mittlerweile nach und nach rückgängig gemacht werden. Und gut, dass „Experten“ wie Werner Glogauer mittlerweile nichts mehr zu sagen haben. Am Ende bleiben fast nur noch unsere Politiker übrig – die liegen nämlich deutlich über der Computerspiel-Altersgrenze, wurden anders sozialisiert und schauen häufig ebenso verwirrt auf die Spiele und ihre Kultur, wie die zwei Damen von der BPjS im Jahr 1991. Irgendwann werden auch die abgelöst werden. Und ein oder zwei Jahrzehnte später müssten dann auch mit dem Internet sozialisierte Politiker in die wichtigen Positionen aufrücken.

Als Mensch, der ebenfalls unaufhaltsam älter wird, frage ich mich auch, welche zukünftige Technik oder Entwicklung mich irgendwann so verwirren wird, wie die Videospiele die armen Damen von der BPjS. Werde ich irgendwann als Jugendschützer vor Facebook-Nachfolgern sitzen und ahnungslos Verbote aussprechen? Werde ich 3D-Drucker nicht verstehen und verbieten? Oder müssen diese internetfähigen Kühlschränke reguliert werden? Werde ich die neuartigen Videorecorder nicht mehr programmieren können? Oder mit nur einem Finger und Adlersuchsystem auf den neuartigen Touchscreens rumtappen?

Ich werde jetzt jedenfalls erstmal eine Runde Doom spielen. Auch wenn ich es schon seit Jahren legal durfte und es mich als Kind auch nicht interessiert hat, dass ich es nicht durfte. In diesem Sinne: Happy Fragging!

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4 Antworten zu Befreites Kulturgut: Doom nach 17 Jahren nicht mehr indiziert

  1. Konstantin sagt:

    toller beitrag, hätte ihn gern geliket ;)

  2. admin sagt:

    Nix da, Facebook-Buttons wirst du hier nicht sehen ;)

  3. Phil sagt:

    Genialo! Hab ich gleich auf Google gesharet :P

  4. Philipp sagt:

    Immerhin versuchen sie bis zum Ende des Levels zu kommen. Wenn auch mit eher mäßigem Erfolg. ;-)

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