Ein Vorschlag zur Güte

Wo liegt eigentlich das das Kernproblem in der momentanen Printkrise? In der angeblichen Kostenloskultur im Internet? In den sinkenden Auflagen? Dem fehlenden Leistungsschutzrecht? Nein, natürlich nicht – es sind die fehlenden Einnahmen der Verlage. Und warum sind die Einnahmen so niedrig? Zum einen natürlich, weil die Verkaufspreise im Vergleich zu den Printprodukten wegfallen. Diese decken aber auch bei den Printzeitungen nur einen Teil der Kosten – fataler ist, dass die Verlage ihr lukratives Monopol auf lokale Kleinanzeigen, Stellenanzeigen oder Autoinserate verloren haben  und ihre Online-Angebote jetzt nur noch mit Werbung finanzieren müssen. Das hat schon früher nicht geklappt, Online sind nicht nur die Preise pro Anzeige niedriger, sondern es gibt auch einfach deutlich mehr Webseiten, die Werbung schalten. Der kleinere Kuchen verteilt sich auf immer mehr Personen.

Man muss es in diesem Zusammenhang auch mal ganz ehrlich sagen: Werbung ist Scheiße. Kein Mensch hat Bock auf Werbung. Will jemand wirklich, dass Filme im Fernsehen unterbrochen werden? Findet wirklich jemand, dass die ubiquitären Werbeplakate, Schaufensterfronten oder Reklameschilder das Stadtbild verbessern? Freut sich jemand von uns, wenn sein Fahrradgepäckträger beflyert wird? Freut sich jemand auf die Müsliwerbung im Radio? Nein, natürlich nicht. Werbung nervt. Werbung will etwas verkaufen, was sonst keiner haben will. Werbung schreit wie ein kleines, verzogenes Kind lautstark nach Aufmerksamkeit. Egal, was irgendein Social Media-Berater erzählt: Kaum einer hat Lust, mit irgendwelchen „Brands“ auf Facebook zu „interagieren“.

Werbung versucht eine Sache zu erreichen: Sie ist quasi eine Art Gehirnwäsche. Das Produkt soll so in den Köpfen der Menschen verankert werden, dass der junge Mann dann beim Deokauf plötzlich daran denkt, wie super es wäre, wenn er von willigen Weibern angefallen wird und zum so beworbenen Produkt greift. Die gestresste Businessfrau soll vor dem Shampooregal plötzlich das dringende Bedürfnis nach tropischer Entspannung bekommen und wer einen Kasten Bier kauft, denkt an die ach so unberührte Insel im See. Die eigentliche Funktion von Werbung, nämlich Aufmerksamkeit für neue Produkte zu schaffen, tritt zunehmend in den Hintergrund.

Ich habe aber weder das Bedürfnis, etwa einen Autokauf von Emotionen („Freude am Fahren“) abhängig zu machen noch ständig von irgendwelchen nach Aufmerksamkeit schreienden Produkten belästigt zu werden. Bislang haben die Medien und ich es gemeinsam geschafft, die Werbeindustrie hinters Licht zu führen und wohl den größten Betrug aller Zeiten zu begehen: Während die Fernsehsender Millionenbeträge für Werbespots kassierten und fleißig tolle Einschaltquoten meldeten, war ich in der Halbzeit auf dem Klo. Die Verlage konnten mit riesigen Leser- und Abozahlen hausieren gehen, ich hab die immer überblättert. Die Nahverkehrsunternehmen konnten ihre Straßenbahnen innen und außen mit Werbung verunstalten, ich hab immer aus dem Fenster geguckt, Musik gehört oder gelesen statt über den Kauf einer neuen Einbauküche im Küchenparadies Gundelfingen („über 1500qm Küchenerlebniswelt!“) nachzudenken.

Im Internet funktioniert das nicht mehr, hier zählt nur der Klick. Das bislang bestehende Gentlemen Agreement zwischen mir und den Verlagen ist damit zerbrochen. Nur wenn ich die Werbung wirklich wahrnehme und darauf klicke, fließt Geld. Das zerstört diesen unausgesprochenen Pakt zwischen den Zeitungen und mir. Es gibt aber keinen Grund, warum wir ihn nicht erneuern könnten.

Ich werde daher ab sofort Werbung als Flattr-Button missbrauchen. Gefällt mir ein Artikel, dann klicke ich auf die Werbung und werde deren Inhalte natürlich auch weiterhin ignorieren.

Die üblichen Schlussbemerkungen, die irgendwie nicht in den Text passten:
  • Werbung ist natürlich nicht umsonst und kein philantropher Geldgeber für irgendwelche Medien, sondern die Werbebudgets werden von uns allen beim Kauf der entsprechenden Produkte mitfinanziert.
  • Natürlich schadet so ein Verhalten den Werbetreibenden indirekt. Daher bietet es sich an, auf die Werbung von einem persönlich unsympathischen Firmen zu klicken. Beim Koop-Verlag, Gazprom oder dem Assad-Regime klickt es sich dann doch gleich viel entspannter.
  • In diesem Zusammenhang ist es erstaunlich, dass anscheinend noch keine Aktivistengruppe ein Browser-Addon entwickelt hat, welches gezielt Werbung bestimmter Firmen klickt, um ihnen im Rahmen einer Boykottkampagne zu schaden.
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22 Antworten zu Ein Vorschlag zur Güte

  1. Benjamin sagt:

    Ich denke mir ähnliches und zwar dauernd! Danke für die treffende Verbalisierung des ganzen Geldwäsche-Automates. Ich finde es furchtbar lächerlich, wie akribisch und wissenschaftlich sich die Werbemacher mit ihrem Bereich beschäftigen, obwohl ein großer Teil der Leute während der Halbzeitpause einfach pinkeln geht.
    Permanente Reizüberflutung durch um Aufmerksamkeit buhlende Produkte überreizen irgendwann zwangsläufig die Sinne und man stumpft ab. Irgendwann -kann- man einfach nichts mehr wahrnehmen. Aber dem gierigen Markt ist das irgendwie egal. Ist das nicht sogar die Taktik der Werbemacher? Wollen sie nicht sogar, dass man ohne Verstand handelt, wenn es um ihr Produkt geht? Bei mir geht es rechts rein und links wieder raus. Ich habe auch ohne das bestimmte Deo Sex. Ich habe keinerlei Urlaubsgefühle bei der Biermarke. Eher lasse ich mich durch solch einen Quark noch zur Konkurrenz treiben. Aus Prinzip!

  2. @VolkerK_ sagt:

    Conversions auf Onlineanzeigen als Spende, wenn der Flattr-Button fehlt: http://t.co/cSyI3puK

  3. Martin sagt:

    Interessanter Ansatz! Wenn ich das auch so machen wollte, müsste ich allerdings meinen Werbeblocker abschalten. Als ich das vor ein paar Tagen mal testweise getan habe, habe ich ihn aber sofort wieder eingeschaltet. Werbung ist inzwischen leider nicht mehr nur Bannerwerbung, sondern geht mehr in die Richtung einer allgemeinen Internetverschmutzung.

  4. Pumi sagt:

    Und wenn es hier Werbung geben würde, ich hätte jetzt aus genau diesem Grund drauf geklickt.

  5. Arne sagt:

    Ich mag die Müsliwerbung im Radio…

  6. Jerry sagt:

    Soweit ich weiß, zählt nicht ausschließlich der Klick als Maßeinheit, sondern in Zeiten von (von einem Vorredner schon erwähnten) Werbeblockmechanismen bewirkt auch schon der unblockierte Aufruf des Werbebanners einen positiven Effekt. Das gezielte (gelegentliche) Aufrufen von Werbeseiten auf Internetseiten, die unterstützenswert scheinen, handhabe ich schon seit Jahren so und versuche andere davon zu überzeugen. Bisher noch ohne allzuviel Erfolg; ich hoffe, dieser Artikel hier mit seiner etwas größeren Reichweite hat da bessere Chancen, Leser zum Umdenken zu bringen.
    Werbefinanzierung ist eine von vier Möglichkeiten, das Netz (nicht nur die erwähnten Verlagsseiten) am Laufen zu halten, und ich möchte ungern, daß das Mittel stumpf wird, da der Rest noch weit weniger ansprechend ist: Selbstfinanzierung auf niedrigem Niveau, regelmäßige Bettelaufrufe zu Spenden und Bezahlschranken.

  7. Oliver sagt:

    Ist es nicht so, dass bei den meisten Verlagen Online-Werbung nach TKP (http://de.wikipedia.org/wiki/Tausend-Kontakt-Preis) abgerechnet wird und nicht nach einen PPC-Modell (http://de.wikipedia.org/wiki/Pay_per_Click)?
    Klicken auf Werbung bringt ja nur dann was, wenn jemand mit Google AdSense oder sowas arbeitet. Bei den meisten Verlagen geht es dann wohl eher um die Klickstrecken in Form von Bildergalerien.
    Also müsste das Modell heißen: „Ich klicke als Flattr-Ersatz wie blöd irgendwelche Bildergalerien durch, die zeigen, wo Kate und William schon überall im Urlaub waren“.

  8. llamaz sagt:

    Ja da werden sich die Seitenbetreiber freuen, wenn viele deinem Beispiel folgen. Denn dann fliegen sie ratzfatz aus den Werbeprogrammen und verdienen gar nichts mehr.
    Wenn auf einer Webseite die Klickrate steigt ohne das gleichzeitig die Konversionen steigen, dann wird die Werbung dort schneller abgestellt als man ätschibätsch sagen kann.

    • Bernd sagt:

      Das stimmt nur bedingt. Nicht jede Werbung wird geschaltet, um unmittelbar den Umsatz zu erhoehen. Gerade im genannten Fall des Autokaufs wird der Werber kaum erwarten, direkt eine Kaufentscheidung auszuloesen.

    • Der Artikel ist auch nicht als großer Aufruf für eine Klickkampange gedacht, sondern eigentlich nur als eine Art persönlicher Umgang mit der aktuellen Zeitungskrise. Printprodukte kaufe ich nicht mehr, weil das Format irgendwie nicht mehr in meinen Medienkonsum passt, für Paywalls und Abos lese ich zu viele verschiedene Seiten, Paywall-Abos bei SPON, Zeit, Faz, taz, SZ, der Badischen & Co würden mich dann doch ruinieren und außer der taz nutzt keiner Flattr. Auf die Besucherzahlen hochgerechnet dürften meine Klicks nicht weiter auffallen oder gar Probleme verursachen.

  9. An für sich eine nette Idee. Auf Werbung zu klicken fühlt sich für mich jedoch schmutzig an. Ich würde sogar so weit gehen es ein Gefühl des Ekels zu nennen. Jeder Klick auf Anzeigen erzeugt neue schmutzige Cookies in meinem Browser.

    Ich möchte das nicht. Ich möchte für Inhalte direkt zahlen.

    Werbung hat ihren Zweck, Menschen auf etwas neues/unbekanntes zu bringen, verloren. Sie dient nur noch der Profitmaximierung. Gehirnwäsche – Dieses Wort trifft es wirklich gut. Werbung gehört verboten; Sie beeinträchtigt den Menschen in seiner Freiheit und Mündigkeit.

  10. U. sagt:

    An den Verlagen, die sich für das unsägliche Leistungsschutzrecht einsetzen, ist nichts erhaltenswert. Ich freue mich auf ihren Untergang und werde weiterhin mit Adblock surfen.

  11. Klaus sagt:

    Letztendlich ist das nichts anderes als Schmarotzerei, zwar zugunsten anderer, moralisch verwerflich bleibt es deswegen trotzdem.

  12. Klopfer sagt:

    Abgesehen von AdSense bezahlt kaum jemand noch für reine Klicks, das bringt also überhaupt nichts. Man kriegt als Seitenbetreiber Geld für Bestellungen, Anmeldungen etc. über den Werbebanner, aber für reine Klicks? Nur bei den ganz großen Websites wie Spiegel Online, da schalten dann auch die Firmen, die einfach Aufmerksamkeit wollen. Kleinere Websites bleiben da außen vor.
    Ansonsten ist das einfache Klicken auf Werbeanzeigen genauso nutzlos wie zu beten, da beruhigst du vielleicht dein Gewissen, aber was drauf einbilden kannst du dir eigentlich nicht. Deswegen hab ich auf meiner Seite nur noch Werbung für Partnerprogramme und für meine eigenen Bücher.

  13. Werbung als Flattr-Button nutzen! http://t.co/CrByxaOi (via @BILDblog )

  14. Erbloggtes sagt:

    Werbung im Internet ist ein Problem, weil das Medium eigentlich ein Lean-Forward-Medium ist, bei dem der Rezipient gezielt sucht und auswählt, was er sehen will. Werbung, wie wir sie gewohnt sind, ist aber für Lean-Back-Medien gemacht, bei denen der Rezipient etwas vorgesetzt bekommt, was er dann konsumieren soll (oder worüber er, wie im Fall von Werbung, ungerührt hinweggeht).
    Dieser „Weltall-Sprung“ neulich war deshalb gelungene Internet-Werbung, weil die User da selbst mitgemacht haben (Lean-Forward).
    Ich prophezeie deshalb das mittelfristige Aussterben der Lean-Back-Werbung im Internet. Niemand will sie sehen.
    Selbst Googles Werbung, die auf Suchanfragen zugeschnitten ist, hat noch mehr Lean-Forward-Charakter (ich habe gesucht) als irgendeine blöde Einblendung bei einer Online-Zeitung.

    Nicht zuletzt zeigt es die Hilflosigkeit der Zeitungen angesichts des Internets, dass sie keine Werbeformen finden, die dem Medium angemessen sind. (Nein, das ist kein Plädoyer für aufpoppende Banner, die dem Auge des Betrachters folgen o.ä.) Die Presseverlage halten wahrscheinlich immer noch die Zeitung für das Medium und das Internet nur für eine Art Meta-Medium.

  15. Ein Vorschlag zur Güte: Wo liegt eigentlich das das Kernproblem in der momentanen Printkrise? In der angeblichen… http://t.co/gB1rgKS5

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