Die hohe Kunst der Wikipedia-Manipulation

Dieser Beitrag wurde leider von Tichys Einblicken als Beleg benutzt. Leider hat der Autor den Artikel nicht verstanden – ich distanziere mich von den Einblicken und hoffe, dass auch du, lieber von Tichy kommender Leser, dich über die mangelhafte journalistische Sorgfalt dieser Seite informierst. 

Die Wikipedia ist schon seit langem das Ziel von gezielten Manipulationen. Dabei muss man sich nicht so plump anstellen wie es in der Vergangenheit geschehen ist – gleich drei aktuelle Fälle zeigen, dass man sich bei der Manipulation der Wikipedia auch deutlich geschickter anstellen kann.

Der erste Fall betrifft den Artikel „Bicholim Conflict“ in der englischen Wikipedia. Dieser umfasst 4500 Wörter, ist reichhaltig bebildert, mit Quellen belegt und erhielt 2007 die „Lesenswert“-Auszeichnung. Dummerweise stellte es sich jüngst heraus, dass dieser angebliche Konflikt frei erfunden war. Ein aufmerksamer Wikipedianer prüfte dann doch mal die Quellen und stellte überrascht fest, dass es die als Quelle angegebenen Bücher schlicht und einfach nicht gibt. In der Folge stellte sich dann heraus, dass es den gesamten Konflikt nicht gab.

Das gibt immerhin 8 von 10 möglichen Manipulationspunkten. Abzug gibt es nur, weil es dann doch etwa zu dreist war, einfach Bücher der Oxford University Press zu erfinden. Nächstes Mal bitte einfach behaupten, dass die Belege in einem existierenden, obskuren Buch sind. Auch die Kandidatur als „lesenswerter Artikel“ war gewagt, da schauen dann doch mehr Leute drauf. Ansonsten wurde alles richtig gemacht: Ausführliche, glaubhafte Textwüste zu einem vollkommen obskuren Thema, passende Wikifizierung, Quellenangaben.

[Hinweis: Hier stand ein Absatz über Mitarbeiter eines FDP-Politikers, welche laut Wirtschaftswoche in der Wikipedia editierten. Dieser Politiker geht allerdings gerichtlich gegen Blogger vor, welche die in der Wikipedia nachvollziehbaren Edits kritisieren und klagte auch den Ursprungsartikel aus dem Netz. Da ich an dieser Stelle keinerlei Lust auf einen Rechtsstreit mit deutlich besser betuchten Personen habe, entferne ich diesen Absatz. Über die Wählbarkeit einer Partei, deren Politker so agieren, darf sich jeder bis September seine eigene Meinung bilden]

Diese Probleme einer deutschen Kleinpartei brauchen einen ordentlichen Diktator hingegen nicht zu interessieren. Wär ja auch gelacht, wenn der kasachische Autokrat Nursultan Nasarbajew sowas nötig hätte, immerhin zensiert und kontrolliert er die Presse ja eh umfassend. Doch was macht man mit der Wikipedia? Die ist ja dummerweise im Ausland gehostet, es gibt sie auch auf kasachisch und es sieht ja dann doch irgendwie etwas blöd aus, wenn man sie einfach so sperrt. Die Lösung? Man schreibt sie einfach selbst!
In Kasachstan gibt es eine „WikiBilim„-Stiftung, welche ein verdächtig hohes und von staatlichen Stellen stammendes Budget und 25 bezahlte Vollzeit-Mitarbeiter besitzt, welche Artikel schreiben. Die Stiftung wird von dem regimetreuen Rauan Kenzhekhanuly geleitet. Da ist mit Kritik nicht zu rechnen – so scheinen große Teile der kasachischen Wikipedia auf der Nationalenzyklopädie zu basieren, welche unter CC-Lizenz freigegeben wurde. Sehr auffällig ist auch, dass der kasachische Artikel zum Präsidenten Nasarbajew trotz Korruption, Menschenrechtsverletzungen, Diktatur und keinerlei Kritik an ihm enthält.*

Nun könnte man meinen, dass die Wikimedia Foundation solche Manipulationsversuche mit der kürzlich aus Spendengeldern erworbenen Orbitalkanone recht effektiv unterbindet. Paid Editing ist ja generell untersagt  wird ja generell kritisch gesehen und auch so eine Unterwanderung darf man sich eigentlich nicht gefallen lassen. Genau das Gegenteil passiert aber: Der Leiter und Gründer der WikiBilim-Stiftung, Rauan Kenzhekhanuly, wurde 2011 von Jimmy Wales zum „Wikipedianer des Jahres“ gekürt, die WikiBilim-Stiftung darf bei den Wikimanias auftreten und pflegt anscheinend generell gute Beziehungen zum Wikipedia-Gründer Wales. Entsprechend hagelt es nun Kritik, auf die Wales nicht sehr souverän reagiert.

Das gibt 9/10-Manipulationspunkten. Die Idee, einfach eine komplette Wikipedia zu kapern, ist brilliant und für so ein Regime auch aus der Portokasse zu bezahlen. Mit 25 Vollzeit-Mitarbeitern und geschicktem Sockenpuppenspiel könnte man auch die deutsche Wikipedia kapern. Admins können dann auch die IPs der Opposition an die Sicherheitsbehörden weiterleiten. Punktabzug gibt es hingegen für die zu starke PR-Arbeit. Wer so offensiv mit seinem Projekt in die Öffentlichkeit drängt, muss mit Kritik rechnen. Cleverer wäre es gewesen, die Stiftung wie die Vereine ohne inhaltliche Arbeit zu führen und das Paid Editing einfach versteckt durchzuführen – Plausible Deniability ist wichtig.

[Falls hier mitlesende Industrielobbies, Unrechtsregime oder Provinzpolitiker eine Beratung in Sachen Wikipedia-Manipulation wünschen, bitte einfach unter vollem Namen und Email hier den Kommentaren Kontakt aufnehmen ;) ]

*Fußnote: Ich beherrsche natürlich kein Kasachisch, aber da in der Theorie die kasachische Wikipedia auch von jedem zu editieren ist, wäre es ein sehr interessantes Experiment, einfach mal Kritik in den entsprechenden Artikel einzubauen und zu schauen, was passiert.

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22 Antworten zu Die hohe Kunst der Wikipedia-Manipulation

  1. smial sagt:

    Kleine Korrektur: Paid Editing ist keineswegs generell untersagt, wird „nur“ besonders kritisch beobachtet.

  2. @eisenmed sagt:

    #gd_dig RT @archivalia_kg: #Lesenswert! (Die hohe Kunst der #Wikipedia-Manipulation) http://t.co/3t1PRRA2

  3. Michael sagt:

    Stimmt, smial: Es gibt dazu keine offizielle Policy, ich hatte aber vorher diese Aussage von Wales höchstpersönlich gelesen:

    „Some things are not policy simply because it’s never been necessary to make it policy. It is not ok with me that anyone ever set up a service selling their services as a Wikipedia editor, administrator, bureaucrat, etc. I will personally block any cases that I am shown. There are of course some possibly interesting alternatives, not particularly relevant here, but the idea that we should ever accept paid advocates directly editing Wikipedia is not every going to be ok. Consider this to be policy as of right now. […]

    That’s not the same as saying that it would ever be ok, as a matter of policy. Just imagine the disaster for our reputation. Are we free and independent scribes doing our best to record all human knowledge? Or are we paid shills. I know what I choose.“

    https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Wikipedia:Requests_for_comment/Paid_editing&diff=295597439&oldid=295594502

  4. RT @MschFr: Gebloggt: Die hohe Kunst der Wikipedia-Manipulation http://t.co/RYJMYg7x #wikipedia

  5. Fördergemeinschaft zum Erhalt gesunder Baukultur sagt:

    Sehr geehrter Herr Schmalenstroer,

    wir sind sehr interessiert an Ihrer Expertise. Leider waren unsere Organisation und ihre Mitglieder bisher stets benachteiligt durch das skrupellose PR-Gebaren der Wärmedämmverbundsystemhersteller. Dabei sind Monolithbaustoffe erstmal eine gesunde Grundlage für umweltfreundliches und kosteneffizientes Bauen und ein nachhaltig angenehmes Wohnklima. Natürlich kann man beispielsweise Ziegelsteine mit zusätzlichen Dämmsystemen ergänzen. Aber die EnEV-Novelle vernachlässigt das, da die Regierung schon seit Jahren (genauer: schon seit Zeiten von Rot-Grün) die Lobbyisten von der WDVS hofiert und sich von denen die Gesetzentwürfe in die Feder diktieren läßt.

    Wir wollen nun dazu übergehen, die Öffentlichkeit direkt für unser Anliegen zu sensibilisieren und planen, als Grundlage für unser PR-Konzept 2013 einen Wikipedia-Artikel über unsere Organisation anzulegen, damit sich unsere Kooperationspartner an unabhängiger Stelle und ohne die Durchseuchung mit WDVS-inspirierten Schmähungen über unsere Angebote und die Zukunftschancen von Monolithbaustoffen informieren können.

    Wenn Sie bereit wären, uns mit Ihren Social-Media-Kompetenzen in dieser Angelegenheit zu unterstützen, würden wir sicherlich zu einer für alle Seiten befriedigenden Einigung gelangen können. Wir bauen derzeit ein PR-Team auf und sind daher auf der Suche sowohl nach engagierten Freelancern als auch nach kompetenten Vollzeitmitarbeitern, gerade für den Bereich digital, in dem wir bisher zugegebenermaßen noch nicht gut aufgestellt sind. Bei Interesse geben Sie bitte im Betreff Ihres Schreibens „PR-Team“ an, damit sie gleich an die richtige Stelle im Hause weitergegeben werden kann.

    Mit freundlichen Grüßen
    Hans Seidlinger

    FEgB
    Postfach 22 01 19
    80321 München

  6. @StBNeuss sagt:

    RT @StabueWuerzburg: Die hohe Kunst der #Wikipedia-Manipulation http://t.co/GMxPWlDT

  7. @__ot_ sagt:

    #job Fördergemeinschaft zum Erhalt gesunder Baukultur sagt dies im Kommentar. Da bin ich auf den Artikel gespannt #wiki http://t.co/Z4qeqygm

  8. RT @StabueWuerzburg: Die hohe Kunst der #Wikipedia-Manipulation http://t.co/GMxPWlDT

  9. Erbloggtes sagt:

    Köstlich! Ganz ausgezeichnet! Und Wiki-Watch retweetet es m(

  10. Michael sagt:

    Die werden ja immerhin im Artikel erwähnt ;)

  11. Klaus Graf sagt:

    Sehr geehrter Herr Schmalenstroer,

    bisweilen genießen wir bei der Wikipedia leider einen sehr schlechten Leumund, der auf vollkommener Verzerrung und Disqualifizierung unserer Person durch Wikipedia-Blockwarte beruht.

    An 52. Stelle der wichtigsten Historiker aller Zeiten (bei Archivaren an Stelle Nr. 2) würden wir uns über Ihre Dienste sehr freuen, auch wenn wir uns eigentlich sicher sind, dass wir es selber besser könnten.

    Mit freundlichen Grüßen Ihr
    Klaus Graf

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