Ja, du solltest das lesen–eine Antwort auf Valentin Groebner

Der Artikel von Valentin Groebner über wissenschaftliches Publizieren im Netz hat ja bereits in der letzten Woche einiges an Aufregung verursacht, jetzt ist er endlich auch online verfügbar. Zeit, eine kleine Antwort darauf zu verfassen.

Zu Anfang kritisiert er den „weichen warmen Hippie-Kitsch“ der „Netzutopien. Diese „Erlösungsprophetie“ sei gescheitert. Die Erlösungsprophetie, die keiner vertritt. Im Anschluss kommt der alte Vorwurf, dass das Netz ja gar nicht so neu sei. Groebner bemüht an dieser Stelle die Humanisten. Diese hätten im Prinzip das Internet bereits vorgelebt: „Bloggen und Rezensieren sind einfach die technische Fortsetzung der alten gelehrten Korrespondenz.“ Groebner ist nicht der erste, der das Internet als gar nicht so neu darstellt und überall Vorgänger findet. Der Erkenntnisgewinn ist dabei meistens recht gering.

Nächste Argumentationsebene, hier fangen die Probleme wirklich an. Groebner behauptet, dass in Blogs etwas Neues herausgefunden werden muss:

Heraus kommt ein double bind: Man muss etwas Neues herausfinden; aber gleichzeitig muss man zeigen, dass die Disziplin diese neue Information – die eigene Idee, den eigenen Fund – notwendig braucht, um weitermachen zu können wie bisher.

Das ist natürlich ein Fehlschluss: Indem er behauptet, dass Blogs etwas Neues herausfinden müssen, verkürzt er die Möglichkeiten und auch die konkreten Anwendungen. Einige Beispiele: Archivalia betreibt zwar auch Forschungen, ein Großteil der Beiträge sind aber Hinweise auf neue Digitalisierungen und Projekte. Anton Tantner verweist in seinem Blog Adresscomptoir praktisch nur auf andere Publikationen, die er interessant fand. Ich mache hier viel, aber in dem Sinne keine wissenschaftliche Forschung. Ich weise auf interessante Dinge hin, kommentiere, diskutiere, bespreche Bücher und Ausstellungen, grabe Quellen aus oder veröffentliche Fundstücke. Alles ohne den Anspruch, dass ich etwas Neues für die Wissenschaft leisten muss. Neben der reinen Forschung gibt es noch sehr viel mehr Einsatzmöglichkeiten für Blogs, die hier einfach überfahren werden.

Im Anschluss kritisiert er eine „Überproduktionskrise“ der Wissenschaft. Es werde zu viel publiziert und es gebe zu wenig Lesezeit. Dem kann ich im Prinzip nur zustimmen – und wer noch Zweifel hat, darf sich gerne in seiner lokalen Bibliothek die Regalmeter, welche alleine die Bücher über den Nationalsozialismus einnehmen, anschauen. Das kann keiner mehr im Alleingang lesen, bewältigen oder gar in Arbeiten verarbeiten. Es gibt Themen, die lassen sich etwa als Abschlussarbeit kaum noch bewältigen, weil die Literatur- und Quellenflut zu groß ist. In der Tat ist es einfacher, seine Arbeiten nur mit der in der lokalen, per Zettelkatalog verschlagworteten Literatur zu schreiben. Google Books führt einen ganz schnell zu sehr obskuren Büchern. Neue Filter sind hier nötig, irgendwann kann der arme Doktorand nicht mehr alle Literatur zu einem Thema lesen. Ob das jetzt etwas mit Blogs zu tun hat, wage ich zu bezweifeln. Das ist kein digitales Problem, sondern ein Problem der Wissenschaft selbst. Dann postuliert Groebner mal wieder pauschal etwas über Blogger und widerlegt es dann direkt selbst:

Denn das Netz verspricht, dass das Wissen der anderen (die Dreiviertelmillion Druckseiten, in die sie ihre fünfzehn Jahre Lesezeit zwischen 20 und 35 investiert haben) irrelevant geworden sein werden, und dass stattdessen die eigene Lektüreinvestitionen, das im Netz und über das Netz erworbene Wissen, sich in einen uneinholbaren Vorsprung verwandelt haben werden.

Ach? Blogger als um Aufmerksamkeit bettelnde Wesen? Schon alleine die anonymen Blogger widerlegen diese These. Wir erinnern uns: Die Plagiatsvorwürfe gegen Ex-Bildungsministerin Schavan wurden zuerst von einem „Robert Schmidt“ auf Schavanplag geäußert. Dieser ist bis heute anonym und hat auch der Versuchung widerstanden, sich jetzt Aufmerksamkeit ohne Ende abzuholen. Gleichzeitig stellt sich auch die Frage, ob dies nicht auch generell so ist. Was machen denn die vielen Leute etwa in einem Kolloquium ewig lange Fragen stellen. Richtig, sie wollen Aufmerksamkeit.

Weiter geht’s im Text:

Wer sich durch Selbstdarstellungen von Wissenschaftlern auf dem Web klickt, merkt rasch, dass die meisten Blogs und persönlichen Websites sich nach Aufmerksamkeit von außen sehnen. […] Knapp sind Leute, die eigene Zeit in Lektüre und Kommentare stecken. Wie viele Leser akademische Netzpublikationen wirklich haben, ist notorisch unklar; Kommentare sind Mangelware.

Wenn ich böse wäre, würde ich das Zitat einfach umdrehen: „Wer wissenschaftliche Zeitschriften liest, merkt rasch, dass die meisten Autoren sich nach Aufmerksamkeit sehnen. Fraglich ist, wer diese obskure Zeitschrift in Kleinstauflage überhaupt liest.“ Viel interessanter ist die Frage, ob Blogs wirklich so wenig gelesen werden. Meine Statistik behauptet etwas anderes, im Januar verirrten sich 12954 Besucher hier her. Auch das Feedback zeigt, dass hier durchaus gelesen wird – ob das 12954 Leser sind oder weniger, ist dabei egal. Es gibt ein Publikum für geschichtswissenschaftliche Blogs.

Den nächsten Angriff verstehe ich so nicht. Groebner zitiert die Grundthese von Tim Wu, der in seinem Buch „The Master Switch. The Rise and Fall of Information Empires„, der anhand der Geschichte von Radio, Telefon und diversen anderen Medien zeigt, dass diese zu einer Monopolisierung neigen. Dies ist auch im Internet zu beobachten: So gibt es kaum einen Marktplatz neben Ebay, denn wieso sollte man seine Sachen auf einer kleineren Plattform mit weniger Käufern verkaufen? Das gilt für die Wikipedia: Warum sollte man in ein kleineres, weniger ausführliches Lexikon schauen? Das gilt für Amazon: Warum sollte ich irgendwo anders einkaufen, wenn ich da eh alles bekomme? In der Tendenz sind diese Monopole kritisch, aber Groebner verschweigt an dieser Stelle leider das wichtigste: Andere Wissenschaften haben diese Monopolisierung der Publikationsweise schon hinter sich oder sind gerade dabei.  In Mathematik & Co geht ohne ArXiv kaum noch etwas und auch PLOS ONE setzt sich zunehmend durch. Für die Wissenschaft ist so ein Monopol – eine zentrale Stelle, die ohne Auswahl alles publiziert, positiv. Damit entfallen die vielen kleinen, spezialisierten und nur schwer erhältlichen Spezialzeitschriften, in denen manchmal der Herausgeber den Zugang zu Publikationsmöglichkeiten nach eigenem Gusto bestimmt. Groebner verschweigt, dass Wu in diesem Kontext den Begriff der Netzneutralität popularisiert hat: Der freie, gleiche und unzensierte Zugang zu entsprechender Infrastruktur muss gewährleistet sein. ArXiv schafft das, die in den Geschichtswissenschaften bestehende Publikationskultur nicht.

Dann folgt die große Verteidigung der Papierwelt: Nur diese böte die nötige Stabilität von Wissen. In diesem Zusammenhang muss auf der RKB13 sein Zitat der Blogs als „rastlose Masturbation“ gefallen sein:

Das Netz ist wunderbar für Unfertiges (und für wolkige Utopien). Aber mit der Stabilisierung der dort produzierten Informationen, also mit konkreten Ergebnissen, hapert es dauerhaft. Die Geschwindigkeit und hohe Sendefrequenz macht das Netz zum Medium für rasantes Vergessen. Fertiges, Konzentriertes, Abgeschlossenes geht darin unter.

Das ist jetzt nur bedingt so. Auch im Netz kann man stabil publizieren und es ist auch in der analogen Welt möglich, dass Druckwerke nicht mehr greifbar sind. Bestes Beispiel: Die Doktorarbeit unserer neuen Bildungsministerin, welche gerade mal in 3 Bibliotheken vorhanden ist. Andere Druckwerke sind ganz verschollen. Man merkt auch, dass Groebner selbst nicht bloggt. Mein Blog hier zeigt z.B. klare Anzeichen des sogenannten “Long Tails”. Nehmen wir die Statistik für heute: Neben den aktuellen Beiträgen auf der Hauptseite und der Hauptseite selbst bekommen auch ältere Artikel ordentlich Traffic. Auch die Statistik von Archivalia bestätigt das. Das Netz vergisst nicht so schnell, wie von Groebner behauptet, Suchmaschinen spülen älteres nach oben.

Zum Schluss verteidigt und idealisiert Groebner die gedruckten Bücher. Diese seien “Ergebnis pur” und damit die perfekten Filter in der Informationsflut. Dies sei die Aufgabe, nein sogar das Dasein eines Wissenschaftlers. Zum einen stellt sich hier die Frage, ob gedruckte Bücher wirklich diese Funktion wahrnehmen. Außerhalb des Kernbereiches der Wissenschaft nehmen Bücher diese Funktion definitiv nicht ein, wie nicht nur die Spam-Bücher beweisen, sondern auch tausende über alternative Heilmethoden, UFOs, außerirdische Präastronauten und so weiter. Aber auch im Kernbereich der Wissenschaft gibt es viele Bücher, die diesem Anspruch nicht gerecht werden. Die geschrieben wurden, um die Publikationsliste zu verlängern. Die schnell fertig gestellt wurden, weil die Deadline erreicht ist oder das Stipendium ausläuft. Entspricht der Aufsatz, der in der Nacht vor Abgabe mit viel Kaffee fertiggestellt wurde, diesem Ideal?

Das ist das größte Problem von Groebners Thesen: Er stellt eine idealisierte, analoge Wissenschaft einer so nicht existierenden digitalen gegenüber. Er überfährt die Probleme der bestehenden Publikationskultur gnadenlos und baut dann ein falsches Feindbild auf, das natürlich Widerspruch provoziert. Auch sein Argumentationsstil ist problematisch: Zum einen vermischt er viel zu viele Dinge, sein Artikel springt von einer Argumentationsebene zur nächsten: Von Netzutopien zu Blogs über wissenschaftliches Publizieren, Wissenschaft im Humanismus hin zur Theorie des wissenschaftlichen Buches, dem digitalen Publizieren und endet dann irgendwo im Beliebigen. Das vermischt so viel, dass man gar nicht weiß, was jetzt zusammengehört. Auch die Tatsache, dass er Blogs einfach unterstellt, dass sie irgendwas machen müssen, um sie dann zu kritisieren, dass sie es nicht machen, ist ein schlechter Diskussionsstil. Damit erübrigt sich auch eigentlich die Diskussion: Wenn Blogs nicht das sind, was Groebner will, dass sie sind, dann ist das Groebners Problem. Und die angesprochenen Probleme? Reinhard Schrutzki, damals Vorstandsmitglied im Chaos Computer Club, hat dies 1988 so formuliert:

Computer sind Strukturverstärker. Sie können nichts selbständig tun, sondern unterstützen und verstärken lediglich die ihnen vom Anwender vorgegebenen Strukturen. Und in eben dieser Eigenschaft der Computertechnologie liegt die Gefahr ihres hemmungslosen Einsatzes. Einerseits. Die Eigenschaft des Strukturverstärkers ermöglicht aber auch Innovationen und kreative Impulse, wenn man mal gegen den Strich denkt. Die umfassende Vernetzung der Computersysteme überspringt politische und geographische Grenzen, Entfernungen schrumpfen zur Bedeutungslosigkeit, und es entsteht ein globales Dorf, das jenseits aller Gefahren auch Chancen für die Entwicklung von Alternativen bietet.

Die bestehenden Strukturprobleme im wissenschaftlichen Betrieb werden durch das Internet nur verschärft. Das Internet bietet aber auch die Möglichkeit, diese zu entschärfen. Wer das Digitale ignoriert oder verteufelt, wird diese Probleme aber auch erst recht nicht lösen. Und ich will das hier mit meinem kleinen Blog auch gar nicht versuchen, ich schreibe hier, weil es mir Spaß macht.

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10 Antworten zu Ja, du solltest das lesen–eine Antwort auf Valentin Groebner

  1. RT @MschFr: Gebloggt: Ja, du solltest das lesen – eine Antwort auf Valentin Groebner http://t.co/idpefsDo

  2. RT @matthias_mader: Die Antwort von @MschFr (http://t.co/m14RJKuk) ist lesenswerter & genauer als der Text von Valentin Groebner in der FAZ http://t.co/Ded069w0

  3. @nemissimo sagt:

    RT @leseband: Na gut, dann lese ich lieber das. RT @biblioblogs Ja, du solltest das lesen–eine Antwort auf Valentin Groebner http://t.co/4DCZqpfv

  4. Pingback: Das twittern/posten/teilen die anderen: #HistMonast (4) | Ordensgeschichte

  5. Erbloggtes sagt:

    Vielen Dank! Den Artikel von Groebner muss ich dann ja schon mal nicht mehr lesen. :-)
    Wenn alles verfügbar wird, und die Literatur- und Quellenbestände saalfüllend sind, dann müssen bessere Filter her. Ein Zettelkatalog ist ein denkbar doofer Filter, wenn er unter einem Schlagwort eine Million Werke aufführt.
    In systematischeren Wissenschaften als unserer ist man etwas weiter. Unter der Voraussetzung, dass alles möglicherweise Relevante zu einem Thema in einem einzigen Monopolkatalog verzeichnet ist (PubMed zum Beispiel in der Medizin), kommt es dann stärker, als es Historiker gewohnt sind, auf das Filtern an. Kombinationen von Suchbegriffen müssen definiert werden, Ausschlusskriterien verschiedenster Art (Alter, vorkommende Begriffe, Typ der Publikation), und das alles – im Namen der Reproduzierbarkeit – dokumentiert und nachvollziehbar begründet. So schreibt man offenbar dort Literaturreviews. Sinnvollerweise arbeitet man dann nicht mehr zu Themen (ich schwenke jetzt zur Geschichte um, mit Medizin kenne ich mich zu wenig aus, um Beispiele aus der Luft zu greifen) wie „Nationalsozialismus“, sondern zu Spezialfragen wie „Gleichschaltungsphänomene in Baden 1933-1934“, vielleicht noch mit der Einschränkung „Die jüngsten 10 Jahre der Forschung zu …“. Wenn dann z.B. 50 solcher Literaturreviews über verschiedene Territorien von 50 Autoren nach reproduzierbaren Maßstäben verfasst wurden, kann sich jemand daran machen, diese zu einem Überblicksreview „Gleichschaltungsphänomene 1933-1934 reichsweit“ zusammenzufügen. Und damit ist dann die Grundlage für ein Unterkapitel des Werkes „Der Nationalsozialismus“ bereits gelegt.
    Das klingt für Historiker vielleicht technizistisch. Es ist aber eine Anforderung der Gegenwart, wenn man weiter zu den Wissenschaften gezählt werden möchte. Sonst sollte man die Geschichte konsequenterweise an Kunstakademien abschieben. Dort kann man wahrscheinlich inzwischen besser mit Datenbanken umgehen als unter Historikern. ;)

  6. „Ja, du solltest das lesen“. Dann musst Du den Groebner schon mal nicht mehr lesen. :-) http://t.co/dy2UEpx8

  7. RT @Erbloggtes: „Ja, du solltest das lesen“. Dann musst Du den Groebner schon mal nicht mehr lesen. :-) http://t.co/dy2UEpx8

  8. Pingback: Ja wer soll das denn alles lesen...? Eine Replik auf Valentin Groebner | digital ist besser

  9. Wer Valentin Groebner nochmal nach“schauen“ möchte: Sein Vortrag „Muss ich das lesen?“, der dem FAZ-Artikel vorausging, ist jetzt online unter http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/videos_watch.php?nav_id=4209

  10. Pingback: Netzfunde vom 8.2. bis zum 10.2. — »Nächstens mehr.«

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