Das merkwürdige Blockieren deutscher Behörden bei der Aufklärung ihrer Vergangenheit

Die erstaunliche Scheu deutscher Behörden bei der Aufarbeitung ihrer Nazivergangenheit ist eine der Sachen, die ich einfach nicht verstehe: Wir wissen seit langem, dass in der Frühzeit der Bundesrepublik ein ganzer Haufen Beamter, Führungskräfte und so weiter wieder in ihre alten Funktionen in den Behörden und Institutionen der neuen Republik zurückkehren durften. Das war bereits Ende der 1940er bekannt. Es stand damals in den Zeitungen, die DDR nutzte das propagandistisch aus, z.T. beklagten sich auch die Alliierten, welche etwa 1953 eine Naziunterwanderung der FDP aufdeckten. Die Bundesregierung unter Adenauer beschloss sogar mehrere Gesetze, welche die alten Parteimitglieder wieder rehabilitierten. Wer es genauer wissen will: Norbert Frei arbeitet das in Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit heraus.

Der Mythos, dass die NS-Vergangenheit bis 1968 beschwiegen wurde, ist mittlerweile widerlegt. Zeitungen schrieben über alte Kader, die in ihre Funktionen zurückkehrten, der Bundestag sprach in Debatten die Vergangenheit einiger Abgeordneter an, die DDR stänkerte von der anderen Seite des Eisenen Vorhangs und natürlich wurde auch fleißig unter der Hand getratscht. Falls nicht so sehr darüber geredet wurde, dass Behörden, Firmen & Co voller Altnazis waren, dann, weil es eben allgemein bekannt war. Und es vielleicht nicht als besonders verwerflich angesehen wurde.

Trotzdem gibt es da anscheinend in deutschen Behörden noch diese merkwürdige Hemmung. Wir erinnern uns an die Querelen in und um das Auswärtige Amt, bei denen sich einige Netzwerke innerhalb des Amtes erst eine jahrelange Schlammschlacht mit dem amtierenden Außenminister Joschka Fischer lieferten und dann eine weitere Schlammschlacht rund um die von Fischer initierte Historikerkommission anzettelten. Die Debatte ging wochenlang durch die Presse, die Fachwissenschaft hielt sich eher etwas zurück.

Oder der BND: Der Spiegel stellte schon 1953 recht lapidar folgendes fest:

Nachdem Heinz verschwunden ist, bleibt praktisch nur noch ein anderer, ungleich mächtigerer amtierender deutscher militärischer Nachrichtenmann übrig, der Generalmajor a. D. Gehlen. Gehlen ist während des Krieges Chef der Abteilung „Fremde Heere Ost“ im deutschen Generalstab gewesen. Seine Organisation ist nach dem Kriege mit amerikanischen Subsidien weitergeführt worden.

Jetzt steht nichts mehr den Plänen im Wege, den Gehlen-Apparat wieder in deutsche Finanzgewalt zu übernehmen oder aber, falls sich die Millionensummen, die bisher zur Verfügung standen, von Bonn allein nicht aufbringen lassen, die Organisation als besonders wertvollen deutschen Beitrag in die EVG zu gemeinsamer Nutzung und Finanzierung einzubringen.

Das klingt 60 Jahre später dann plötzlich ganz anders. Statt einfach anzuerkennen, dass in der Frühzeit der Bundesrepublik einfach der alte Geheimdienst des Dritten Reiches in die Dienste der jungen Demokratie übernommen wurde, wird gemauert und sogar fleißig Akten vernichtet. Die Historikerkommission, welche eigentlich die Frühgeschichte des Dienstes aufklären sollte, ist damit schon vor Beginn gescheitert. Es geht aber noch schlimmer: Ein Reporter hat jüngst gegen den BND geklagt, weil dieser keine Informationen über eben diese Nazi-Vergangenheit von ehemaligen Mitarbeitern herausgeben wollte. Das Ergebnis? Der BND argumentierte vor dem Bundesverwaltungsgericht, dass die angeführte Auskunftspflicht gegenüber der Presse Ländergesetze seien und daher nicht für Bundesbehörden gelten. Die Richter stimmten ihm zu, Pressefreiheit und Transparenz wurden eingeschränkt und er darf weiter verbergen, was wir schon seit mindestens 60 Jahren wissen: Der frühe BND bestand aus Altnazis. Super gemacht, liebe Schlapphüte!

Das Erstaunliche ist dieses immer noch bestehende institutionelle Beharren. Ich kann es verstehen, dass etwa die Geschichtswissenschaftler erst anfingen, die NS-Vergangenheit ihres eigenen Faches aufzuarbeiten, als die betroffenen Personen entweder im Ruhestand oder verstorben waren. Da spielen persönliche Freundschaften, Netzwerke oder Machtstrukturen eine bedeutende Rolle. 68 Jahre nach Kriegsende dürften aber nur noch sehr, sehr wenige der Altnazis überhaupt am Leben sein – die Kontroverse im Auswärtigen Amt entzündete sich nicht zufällig vor bereits 10 Jahren an der Frage, ob verstorbene ehemalige Nationalsozialisten mit offiziellen Nachrufen geehrt werden sollen.

Mittlerweile führen die nächste, die übernächste oder gar schon die dritte Generation innerhalb der Behörden den Kampf gegen die Aufklärung irgendwelcher Naziverstrickungen der alten Garde. Das ist erstaunlich und nicht alleine durch das Verlangen zu erklären, der eigenen Institution negative Schlagzeilen zu ersparen. Derartige Vertuschungsversuche sorgen regelmäßig für noch negativere Schlagzeilen. Institutionen haben zwar immer die Eigenschaft, Kritik von sich abzuwehren, aber alleine damit kann man dieses mauern nicht erklären.

Der Zyniker in mir sagt, dass es natürlich gar nicht um die Personen an sich geht, sondern um die betriebene Politik. Was nutzt es denn, wenn der hessische Landtag in einer aufwändigen Untersuchung feststellt, dass ein nicht unerheblicher Teil der Abgeordneten früher Parteimitglied, Funktionsträger & Co war? Ist es denn nicht viel interessanter, welche Politik diese Ex-Nazis im Landtag gemacht haben? Die Konzentration auf die rein formale Zugehörigkeit zu irgendwelchen Naziorganisationen ist ja bereits während der eigentlichen Entnazifizierung gnadenlos gescheitert. Interessanter und relevanter erscheint die Frage, welche Ideologien, Politiken und Einstellungen aus dem Dritten Reich in die frühe BRD hineinwirkten.

Die Liste ist lang und erschreckend. Das wohl am häufigsten zitierte Beispiel betrifft die Verfolgung von Sinti und Roma. Im Dritten Reich in Konzentrationslager eingewiesen und gezielt ermordet, wurden sie auch in der BRD wieder fleißig von den gleichen Personen verfolgt, die sie auch unter Hitler verfolgten. Aus der „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ wurde die „Landfahrerzentrale“, das Personal und die Praktiken blieben fast unverändert – man durfte nur keine „Zigeuner“ mehr in Konzentrationslager einweisen. Praktischerweise konnte man aber die eintättowierte KZ-Nummer erfassen und die Personen damit wunderbar identifizieren.

Aus dieser Sicht verdeckt das Mauern der deutschen Behörden ein noch viel größeres Problem: Es geht nicht nur um das Ansehen der Institution oder einiger ihrer ehemaligen, mittlerweile verstorbenen Mitarbeiter, sondern es geht um jahrzehntelange Praxis in der Bundesrepublik. So hat etwa Baden-Württemberg erst 2003 offiziell darauf verzichtet, Roma und Sinti bei der Polizei speziell zu kennzeichnen. Auch andere Bundesländer schrieben die Gestapo-Karteien munter fort. Hört man sich momentan die entsprechende Rhetorik von Innenministern und in Boulevardzeitungen an, ist dieses rassistische Denken nicht ausgestorben. Der Blick auf die unter den Teppich gekehrten Altnazis bringt so auch noch die eigene schmutzige Wäsche hervor.

Das geht ganz schnell ans Eingemachte: Momentan steht die katholische Kirche für die unmenschlichen Verhältnisse in ihren Kinderheimen in der Kritik, man sollte sich die Bedingungen in staatlichen Heimen aber auch nicht sehr rosig vorstellen. Auch Unrechtstaten wie die Verfolgung Homosexueller sind kein Ruhmesblatt für die Republik und müssten eigentlich zu einer Rehabilitation und Entschädigung der Verfolgten führen. Da geht es dann schnell um viel, viel Geld.

Vielleicht ist das aber auch die falsche Erklärung – nicht alle Institutionen haben durch Erforschung ihrer Vergangenheit große Entschädigungszahlungen zu befürchten. Es ist auch nicht so, dass die Politik von Behörden oder anderen Organisationen völlig nahtlos die alte Nazipolitik fortführte und schon gar nicht, dass diese so bis heute fortbesteht. Gerade das macht dieses Blockieren, Bremsen und Behindern umso merkwürdiger. Wenn also in Zukunft mal wieder eine Behörde, Stiftung, Firma oder Organisation beim Aufklären ihrer Vergangenheit blockiert, sollte man sich die Frage „Warum?“ stellen.

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8 Antworten zu Das merkwürdige Blockieren deutscher Behörden bei der Aufklärung ihrer Vergangenheit

  1. Gebloggt: Das merkwürdige Blockieren deutscher Behörden bei der Aufklärung ihrer Vergangenheit http://t.co/ULy5qXTABZ

  2. Erbloggtes sagt:

    Danke für den anregenden Artikel! Die Alternative besteht ja nicht zwischen nahtlosem Fortsetzen und radikalem „Neuanfang“. Wir wissen, dass die Vergangenheit nicht einfach tot ist und die Praktiken mit den Praktikern über 1945 hinaus weiterlebten.
    Das greift aber eine Identität im Kern an, die – spätestens seit den 1970ern – die Vergangenheit nicht einfach verschweigt, sondern verdammt. Es ist das alltägliche Bekenntnis des deutschen Staates und der guten Gesellschaft, fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu stehen. Was sie damit schwören, ist, dass sie das Gegenteil von Nazis sind. Deshalb greift die Kontinuität des Denkens und Handelns die Identität, das Selbstgefühl, auch heute noch so an.
    Man kann täglich beobachten, wie Leute sagen: Das ist kein Rassismus, … Das ist keine Diskriminierung, … Wir sind nicht ausländerfeindlich, … Die Begründung lautet regelmäßig, dass man das ja selbst auch finde/mache, und man sei ja kein Nazi. Nazis seien die einzigen, die irgendwas nazimäßiges machen. Deshalb könne ein SPD-Politiker nicht voller Zigeunerhass sein, und ein CDU-Politiker nicht Homosexualität widernatürlich finden, ein linker Publizist nichts antisemitisches schreiben, und ein rechter Publizist keine rassistische Demagogie.
    Als Beweis für dieses hanebüchene Selbstverständnis muss herhalten, dass es 1945 einen Bruch gab, einen „Neuanfang“. Zur Inszenierung dieses Bruchs braucht man die Widerständler, die Emigranten, die von der Gestapo verfolgten, sogar Sozialdemokraten und (horribie dictu) Kommunisten waren dafür zu gebrauchen, diesen Bruch zu inszenieren. Das „Argument“ geht dann so weiter, dass ja die Altnazis gar nicht mehr einflussreich waren und sich an die neue Zeit angepasst haben. Läuterung mit lautem Getöse: freiheitlich-demokratische Grundordnung.
    Einzelfälle sind lange bekannt. Das ist ja das Schöne an Einzelfällen: Es sind immer Einzelfälle. Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Das (heute!) gefährliche an systematischen Untersuchungen deutscher Behörden (und aller möglichen anderen Institutionen) ist, dass sie nicht mehr nach Einzelfällen fragen, sondern danach, wie die personelle Kontinuität insgesamt aussah. Und wenn die personelle Kontinuität bewiesen ist, dann kommt die geistige Identität an die Reihe, und dann kann keiner mehr sagen: Aber das waren ja gar keine Nazis, die da nach 1945 die Hauptverantwortlichen für den Neuanfang waren.
    Zweifellos hat das Aufdecken einer Lebenslüge zersetzende Wirkung auf die Identität. Zersetzung darf aber nicht sein. Deshalb schreddern Leute, die es gut meinen, Akten. Zersetzung wird mit dem Tod bestraft. Aber wir sind keine Nazis.

  3. Das merkwürdige Blockieren deutscher Behörden bei der Aufklärung ihrer Vergangenheit http://t.co/qQxmiRlwjC

  4. RT @Medienwandler: Lesen! Histoblogger @MSchFR: „Das merkwürdige Blockieren deutscher Behörden bei der Aufklärung ihrer Vergangenheit“
    http://t.co/taDGEIXAHD

  5. @AxelHohl sagt:

    RT @MschFr: Gebloggt: Das merkwürdige Blockieren deutscher Behörden bei der Aufklärung ihrer Vergangenheit http://t.co/ULy5qXTABZ

  6. Benjamin sagt:

    Es ist ein Zeichen von blanker Unsicherheit beim Umgang mit der Nazi-Vergangenheit der Behörden und Ämter.
    Die jetzt älteste in diesen Behörden tätige Generation war vielleicht nicht direkt am Holocaust beteiligt, wurde aber von Funktionären oder Beteiligten ausgebildet, wenn sie nach 1945 noch weiter ihre frühere Position bekleidet haben.
    Die jüngere Generation ist womöglich einfach nicht bereit diese Last zu tragen und so entsteht das Abwehrverhalten.

  7. Pingback: Papst, Behörden, EU, Guttenberg, Blogs, Arbeit | Post von Horn

  8. Daniel sagt:

    Guter Artikel! Dankesehr. Ich recherchiere zur Zeit in diesem Themengebiet, nur versuche ich nicht Deutschland selbst, sondern die Gegebenheiten in Österreich zu durchleuchten (komme aus Ö). Die Vergangenheitsverleugnung ist auch hierzulande recht groß und das rechte Lager tief und undurchsichtig verwurzelt.

    Wer mir noch etwas mehr tipps zum selben Thema aus österreichischer Sicht geben kann – wäre sehr dankbar!

    LG
    Daniel

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