Weitere Gedanken zum Google Reader Sunset

Der erste Schock ist verdaut, auch wenn der erste Klick heute Morgen wieder zum Google Reader ging und mein Twitter-Feed und sämtliche Foren sind völlig vor den Kopf geschlagen. Auch wenn Google meint, dass der Reader eine sinkende Nutzerzahl besitzt, er ist für Poweruser immer noch unverzichtbar gewesen.

Warum also dieser Schritt? Brian Shih, bis 2011 Product Manager des Readers, verrät auf Quora, dass dieser schon lange nicht mehr in die Firmenstrategie passte:

Let’s be clear that this has nothing to do with revenue vs operating costs. Reader never made money directly (though you could maybe attribute some of Feedburner and AdSense for Feeds usage to it), and it wasn’t the goal of the product.

Reader has been fighting for approval/survival at Google since long before I was a PM for the product. I’m pretty sure Reader was threatened with de-staffing at least three times before it actually happened. It was often for some reason related to social:

  • 2008 – let’s pull the team off to build OpenSocial
  • 2009 – let’s pull the team off to build Buzz
  • 2010 – let’s pull the team off to build Google+

It turns out they decided to kill it anyway in 2010, even though most of the engineers opted against joining G+. Ironically, I think the reason Google always wanted to pull the Reader team off to build these other social products was that the Reader team actually understood social (and tried a lot of experiments over the years that informed the larger social features at the company)[1]. Reader’s social features also evolved very organically in response to users, instead of being designed top-down like some of Google’s other efforts[2].

I suspect that it survived for some time after being put into maintenance because they believed it could still be a useful source of content into G+. Reader users were always voracious consumers of content, and many of them filtered and shared a great deal of it.

Entsprechend stiefmütterlich wurde er auch behandelt, beworben wurde er kaum noch. Der große Push in den Social Sektor mit Google+ hat ihn dann erstmal verstümmelt und wichtige Features gekillt. Weiterentwickelt wurde er nicht mehr und jetzt ist er endgültig tot.

Als Alternative bin ich jetzt zu The Old Reader gewechselt. Der wirkt vom Handling genau wie der alte Google Reader und der Wechsel verlief trotz Serverüberlastung problemlos. Andere Leute wechseln momentan verstärkt zu Feedly oder Newsblur. All diese Dienste haben momentan unter einem riesigen Ansturm zu „leiden“ und sind daher häufig down oder extrem langsam. In den nächsten Tagen und Wochen dürfte sich das aber legen. Das Grundproblem bleibt dabei bestehen: Man ist von einem Anbieter abhängig, geht dieser pleite oder wechselt er das Geschäftsmodell, war’s das. Daher überlege ich momentan auch, ob ich die 30$ für Fever investieren soll, welches auf dem eigenen Server läuft. Aber auch TT-RSS oder das von Dan Cohen angekündigte Plugin für WordPress könnte eine interessante Alternative werden.

Für den Markt der RSS-Reader ist diese Entwicklung erstaunlicherweise positiv. Statt des großen, nicht mehr aktiv weiterentwickelten Monopolisten bietet sich jetzt diversen kleinen Anbietern die Chance, mit ihren innovativeren Produkten eine größere Nutzeranzahl zu erreichen. Instapaper-Gründer Marco Arment formuliert das so:

Google Reader is a convenient way to sync between our RSS clients today, but back when it was launched in 2005 (before iPhones), it destroyed the market for desktop RSS clients. […] It may suck in the interim before great alternatives mature and become widely supported, but in the long run, trust me: this is excellent news.

Weiterhin stellt sich natürlich für diverse andere Google-Produkte die Frage nach der Zukunft. Feedburner ist ebenfalls schon lange angezählt und wird die nächste Säuberungswelle wohl auch nicht mehr überleben. Wer seine Feeds darüber laufen lässt, sollte sich jetzt langsam Gedanken über eine Exitstrategie machen. Auch als Blogger auf Blogspot würde ich mich nach einer Alternative umsehen bzw. schon mal vorsortlich eine eigene Domain verknüpfen. Indem Google jetzt auch wichtige Kernprodukte killt, erschüttert es auch das Vertrauen in die Langzeitverfügbarkeit seiner Dienste. Buzz, Wave & Co hatten nie eine größere Userzahl, der Reader schon. Was sagt das über Gmail, Drive, Docs, Calendar & Co? Wird Google auch diese Dienste irgendwann killen? Was ist mit Google Books? Wenn die Querelen mit den Verlagen zu groß werden und sich die Bücher im Play Store eh besser verkaufen lassen, wird der Dienst dann auch eingestellt? Die Reader-Einstellung zerstört viel Vertrauen.

Für mich bedeutet das, dass ich mittelfristig noch mehr Dienste bei mir auf dem eigenen Server ansiedeln werde. Diese Webseite kostet mich monatlich 5 Euro, das ist problemlos zu verschmerzen. Dafür kann ich hier mein Blog hosten, mein Wiki dient als Notizplattform, meine Fotos liegen im Photolog und es schadet sicherlich nicht, auch die Mails langsam von Gmail zu migrieren. Wenn ich jetzt noch einen passenden Reader und vllt. einen selbstgehosteten Bookmarking-Dienst finde und mich endlich mal daran mache, die OwnCloud zu installieren, bleiben zum einen viele meiner Daten bei mir, zum anderen bin ich unabhängiger von den großen Monopolisten.

Bei Tageslicht (oder eher düsterem Himmel, Schneefall und viel zu wenig Lux) betrachtet, erweist sich die Reader-Einstellung als gar nicht so dramatisch wie sie noch gestern erschien. Gerade dass jetzt die Alternativen gestärkt werden und viele verschiedene, kleinere Anbieter den Markt erobern können, kann sich als Chance für RSS erweisen. Das kann besser sein als der schon seit Jahren komatöse Reader.

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6 Antworten zu Weitere Gedanken zum Google Reader Sunset

  1. RT @MschFr: Gebloggt: Weitere Gedanken zum Google Reader Sunset http://t.co/AkR8pvBIH7 #googlereader #reader

  2. „Auch als Blogger auf Blogspot würde ich mich nach einer Alternative umsehen“ http://t.co/tn131Q3ezK

  3. Pingback: blogthek - Google Reader wird eingestellt

  4. @_NBH sagt:

    RT @_tillwe_: Und @MschFr sehr analytisch zur Google-Reader-Einstellung: http://t.co/VtDeZ38yQD

  5. @patsch sagt:

    Hat was: RT „Auch als Blogger auf Blogspot würde ich mich nach einer Alternative umsehen“ http://t.co/VvpsqyvozG (via @schneeschmelze)

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