Die angeblich Linken Nazis

Zuerst war es Erika Steinbach und sie erntete für diesen Tweet einiges an Kritik:

Und jetzt ist es die AfD, welche diese Argumentationskette nahtlos weiterführt und noch weiter ins Absurde verdreht:

Recherchiert man etwas weiter, dann erkennt man dahinter eine der fundamentalen Argumentationsmuster der neuen Rechten. Der Nationalsozialismus hängt ihr wie ein Mühlstein um den Hals und indem sie Argumentiert, dass dies kein „rechtes“ Regime war, sondern ein linkes, versucht sie, die Verantwortung für ihn dem politischen Gegner in die Schuhe zu schieben. Passend dazu liefert der schäumende Wutbürger in diversen Kommentarspalten die ideologische Weiterführung dieses Argumentes:

Was soll man zu diesem Unsinn schreiben? Ich glaube, dass man einmal die Ideologie der Nationalsozialisten etwas genauer unter die Lupe nehmen sollte. Und da fällt ganz schnell etwas auf: Was ist denn eigentlich die Ideologie der Nationalsozialisten? Je genauer man hinguckt, desto schwammiger wird sie und desto weniger passt sie in das eh schon bröselige heutige politische Rechts-Links-Schema. Es ist ein Kennzeichen der Nazi-Ideologie, dass sie innerlich tief gespalten war und dass sich verschiedene Fraktionen bis aufs Blut bekämpften. Da standen etwa die sozialistisch angehauchten Strasser-Brüder gegen die konservativen Kräfte. Da gab es deutsche Christen und Esoteriker, die wieder zurück zu den germanischen Göttern wollten. Da gab es konservative Revolutionäre, klassische Opportunisten, Leute, die an die Volksgemeinschaft glaubten und Leute, die sich einfach nur am jüdischen Eigentum bereichern wollten.

Diese Fraktionen bekämpften sich untereinander, wie auch verschiedene Organisationen innerhalb des Staates einen Machtkampf führten. Gerade diese Doppelbesetzung staatlicher Funktionen etwa in Form der Wehrmacht und der bewaffneten Truppen der SS ist eines der Kennzeichen des nationalsozialistischen Staates. Und gerade diese Pluralität macht die Ideologie so schwer zu greifen. Dazu kommt die schwankende Politik, die eben nicht direkt dem „Drehbuch Mein Kampf“ folgte: Die Propaganda wechselte je nach politischer Lage fleißig die Richtung. Jetzt kann man Antibolschewismus als ein Fundament der Naziideologie sehen – aber was ist mit dem Hitler-Stalin-Pakt? Auch andere später verteufelte Kriegsgegner wurden zuerst umworben – England, die USA, Polen. Und wie passt das Arier-Denken zu dem Bündnis mit Japan? Wo Ideologie so wandelbar ist, wird sie schwer zu greifen.

Es ist daher völlig fehlgeleitet, sich einzelne Strömungen herauszugreifen, den historischen Kontext zu ignorieren und diese in heutige politische Muster einzuordnen. Da die Nazis eben nicht 1933 mit einem UFO landeten und die Macht „ergriffen“, lässt sich zu fast jeder politischen Strömung ein NS-Bezug herstellen. Selbst zu den 1980 gegründeten Grünen. Hilfreich ist das nicht und es verdeckt den wahren Charakter der NS-Ideologie.

Diese wird nämlich von zwei Gedanken getragen: Zum einen vom Gedanken der Ungleichheit der Rassen. Verschiedene Menschen sind nach ihr unterschiedlich viel wert, je nachdem, zu welchem Volk sie gehören, ob sie Erbkrankheiten haben oder ob sie „Berufsverbrecher“ sind. Das deutsche Volks als arische Rasse ist dabei die hochwertigste Rasse. (Das erklärt auch zum Teil die völlig unterschiedliche Besatzungspolitik im Westen und im Osten) Die andere Komponente ist das Streben nach geopolitischer Macht. Lebensraum als zentrales Denkmuster. Damit unterscheidet sich die NS-Ideologie auch von den klassischen linken Theorien, welche mit der Gleichheit der Menschen genau das Gegenteil vertrat. Das ist der zentrale Gegensatz, der von der Totalitarismustheorie gnadenlos überfahren wird.

Diese Indifferenz machte es übrigens auch vielen Strömungen den Übergang in die BRD einfach: Gerade da sie sich in einem stetigen Machtkampf mit anderen Strömungen befanden, konnten sie die Verantwortung für den Nationalsozialismus auf andere Strömungen abschieben und fleißig weitermachen. So musste das neugegründete BKA eben nicht sein Konzept der Berufsverbrecher hinterfragen.

Zurück zu Steinbach und der AfD: Indem sie sich gewisse Bruchstücke der Naziideologie herausgreifen und diese dann fleißig als links bezeichnen, übersehen sie die Kernelemente der NS-Ideologie. Und versuchen damit ihre auch auf Ungleichheit von Völkern aufgebaute Ideologie zu übertünchen. Man sollte sie damit nicht durchkommen lassen.

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10 Antworten zu Die angeblich Linken Nazis

  1. Erbloggtes sagt:

    Vielen Dank! Vielleicht noch etwas zur anderen Komponente „Streben nach geopolitischer Macht. Lebensraum als zentrales Denkmuster.“

    Wenn man die UdSSR aus der Sicht der Geostrategie betrachtet, mag man womöglich zu der Ansicht gelangen, es sähe dort im Prinzip genauso aus. Dann ist man aber schon reingefallen. Denn die nationalsozialistische Geostrategie ist ja eben eine nationale. Sie erstrebt „Lebensraum“ und einen Machtbereich für die „Nation“ bzw. „Rasse“. Im Gegensatz dazu steht der linke „Internationalismus“, der gewiss auch nach Macht strebt, aber eben nicht primär nach der Macht einer „Nation“, sondern nach der Macht einer internationalen „Partei“ oder „Klasse“ oder eines Prinzips.

  2. Ronnie Grob sagt:

    Die Frage, ob die Nationalsozialisten „links“ oder „rechts“ waren, finde ich nicht sehr interessant, weil die beiden Begriffe höchst schwamming sind und weil es, wie im Beitrag schön ausgeführt, die verschiedensten Strömungen und Ausprägungen gab.

    Aber warum waren die Nationalsozialisten, abseits vom (unter „national“ bei „nationalsozialistisch“ zusammengefassten) Rassismus, nicht sozialistisch? Wenn wir die Gegenstücke zu „sozialistisch“ ausloten, also Begriffe wie vielleicht „liberal“, „libertär“, „wirtschaftsliberal“, „freiheitlich“, „freiheitlich-demokratisch“, „kapitalistisch“, „marktwirtschaftlich“, irgendwas – waren das die Nationalsozialisten? Setzten Sie nicht alles um, was die bisherigen Ausprägungen des Sozialismus in der Realität auszeichneten? Ich meine:

    – die Abschaffung der Meinungsfreiheit und Medienfreiheit
    – den rigorosen Ausbau des Staats, inklusive der Subventionierung gewünschter Lebensmodelle
    – die Instrumentalisierung von Journalisten (bei den Nationalsozialisten: „Schriftleiter“), um die eigenen Ziele zu erreichen
    – die gewissenlose Verwendung freier Bürger, um die eigenen Ziele umzusetzen
    – die radikale und brutale Bekämpfung von Gegnern des grossen Ganzen, der eigenen Ideologie
    – die Idee, dieses grosse Ganze per Propaganda von oben nach unten durchzusetzen
    – die Idee, dieses grosse Ganze per Gewalt der ganzen Welt aufzuzwingen

    Um mal betont naiv zu fragen, und ich bitte darum, das jetzt nicht als Provokation aufzufassen: Was konkret war denn am Nationalsozialismus nicht sozialistisch?

    ps. Was mich übrigens an der heutigen Begriffsverwendung von „links“ und „rechts“ in Deutschland irritiert, ist, das „links“ ein Attribut ist, das problemlos von Medien und Politikern verwendet wird, um sich und andere zu beschreiben, „rechts“ dagegen ein Begriff zu sein scheint, den möglichst niemand verwenden möchte, aktiv oder passiv. Müsste es in einer entspannten und logischen Politik-Begriffslandschaft nicht eigentlich auf der einen Seite „links“ und „linksradikal“ geben und auf der anderen Seite „rechts“ und „rechtsradikal“?

    • Erbloggtes sagt:

      Die Frage, wieviel Sozialismus im Nationalsozialismus stecke, ist bis heute in der Wissenschaft umstritten. Unumstritten ist, dass die Nazis keinen Bürgerrechtsliberalismus im heutigen Sinne verfochten, sondern bekämpften, zumal dem Individuum ein Wert nur als Bestandteil der „Volksgemeinschaft“ zugesprochen wurde. Die von Dir genannten Begriffe “wirtschaftsliberal”, “kapitalistisch” und “marktwirtschaftlich” sind aber durchaus auf den Nationalsozialismus angewandt worden, darum dreht sich eben die Kontroverse über das Verhältnis des Nationalsozialismus zum Kapitalismus. Bürgerliche Zeitgenossen haben es teilweise so empfunden, dass der Erste Weltkrieg und die Weimarer Zeit eine Krise der bürgerlich-liberalen Epoche dargestellt hätten, die in einer Entscheidungssituation zwischen Sowjetkommunismus und Nationalsozialismus kulminierte. Als das deutsche Reich erobert wurde, gingen viele davon aus, dass die Entscheidung nun zugunsten des Kommunismus gefallen sei. (Erst danach entstand der Weltmacht-Gegensatz USA-UdSSR!)

      Das Grundproblem, das nach 1945 bei der Diskussion der Frage bestand, wie kapitalistisch der Nationalsozialismus war, hat Klaus Hildebrand im Lehrbuch „Das Dritte Reich“ so zusammengefasst (S. 193, Download bis 31. August 2013 gratis hier):

      „Mit der Klärung dieses Problems ging es gleichzeitig auch um die Legitimität der freiheitlichen, politischen und gesellschaftlichen Ordnung des Westens: […] Im Zeichen des Kalten Krieges war, wie Henry A. Turner schlicht feststellte, ‚das Thema … wichtig: entspricht die weit verbreitete Ansicht, daß der Faschismus ein Produkt des modernen Kapitalismus ist, den Tatsachen, dann ist dieses System [Kapitalismus] kaum zu verteidigen. Ist diese Meinung jedoch falsch, dann ist es auch die Voraussetzung, auf der die Einstellung vieler Menschen im Osten wie im Westen zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung beruht'“.

      Es ist klar, dass die Auffassung, der Nationalsozialismus sei sozialistisch gewesen, im Kalten Krieg so ihre Unterstützer im Westen hatte. Dass der Faschismus die höchste Form des Kapitalismus sei, ist hingegen im Osten verfochten worden. Und dann gab es noch die Kritische Theorie, die im Westen beheimatet und antisowjetisch, aber neomarxistisch orientiert, von einem „totalitären Monopolkapitalismus“ sprach.

      Mich überzeugt von der Position, dass der Nationalsozialismus nur propagandistisch einen Volksgemeinschaftsegalitarismus vertrat, die tatsächliche Wirtschaftspolitik, in der nur Eigentum von „Juden“ und „Emigranten“ enteignet wurde (und das nicht einmal überwiegend verstaatlicht, sondern privat „arisiert“), und in der die 1931 verstaatlichten Großbanken reprivatisiert wurden.

      Die „planwirtschaftlichen“ Elemente der NS-Wirtschaft lassen sich hingegen auf die Kriegsvorbereitung zurückführen. Als Ludwig Erhard („Wirtschaftswunder“) 1942 begann, für die „Reichsgruppe Industrie“ die Nachkriegswirtschaft zu planen, verfolgte er ein marktwirtschaftliches Konzept. Das Wirtschafts- und das Rüstungsministerium (Speer) planten ebenfalls den Abschied von der kriegsbedingten Planwirtschaft.

      (Mal ganz abgesehen davon, dass die sozialistische Ideologie ursprünglich humanistisch, individuell und liberal [in nichtwirtschaftlichem Sinne] auf Selbstverwirklichung der einzelnen Menschen zielte, die nationalsozialistische Ideologie aber völkisch, kollektiv und illiberal auf Verwirklichung der übergeordneten Rasse.)

      P.S.: Wer in deutscher Politik als „links“ bezeichnet wird, ist eine rote Socke. In Deutschland ist man Mitte, wenn man gewählt werden will. ;)

    • wortwart sagt:

      Dein Denkfehler ist, dass du Nationalsozialismus ohne Rassismus betrachten willst. Das geht aber nicht, weil genau das in der Theorie und in der Praxis neben dem Führerkult das zentrale Element gewesen ist. Bei konkreten Ausprägungen wie auch beim Namen hat sich die Bewegung vom Kommunismus inspirieren lassen, aber das ist sekundär. Im Übrigen treffen die von dir genannten Punkte auf so gut wie alle Diktaturen zu.

      (Tipp für Linke: Versucht doch mal, den Stalinismus als „rechts“ hinzustellen. Könnte klappen.)

    • Mario sagt:

      Herr Grob, das links/rechts Problem liegt darin, dass Organisationen, die zumindest vorgeben gegen Neonazis und Faschismus zu sein selten „Anti-Nazis“ heißen oder „Gegen Rechtsextremismus“ sondern „Gegen Rechts“ bspw „Rock gegen Rechts“. Da geht schon deutlich gegen alles was nicht der eigenen politischen Sichtweise entspricht. „Rechts“ ist durch solche gezielten Kampagnen mit Faschismus gleichgesetzt worden.

      Und wie so häufig bei Ideologen wehren sich die gleichen Leute, die so reden, wenn jemand einen Fehler bei „Islam“ und „Islamismus“ macht. Auch dort wird versucht es mit dem Islam gleichzusetzen und der eigentliche Begriff wird bewusst nicht verwendet. Wenn man also dagegen ist sollte einem normal einleuchten, dass es auch auf „rechts“ zutrifft und die gleichen Leute dort keine Problem haben bewusst den allgemeinen Begriff mit dem radikalen zu verwechseln.

      Zumal man überspitzt auch fragen könnte: Wendet sich Rock gegen Rechts überhaupt gegen Nazis oder eben nur gegen die Union und AFD? Wenn sie gegen Nazis wären würden sie das doch im Titel tragen.

      Zu der Bemerkung des Autors, dass „Mitte“ besser kommt: Das stimmt, die meisten Menschen sind glücklicherweise skeptisch gegenüber Menschen, die sich lückenlos einer Ideologie anschließen, niemand dem man trauen sollte ist eine Sache, sondern in gewissen Dingen links und in gewissen Dingen rechts bspw. Herr Grob hat allerdings recht, man hört deutlich häufiger „Ich bin links“, wer würde sich denn ernsthaft vor eine Kamera stellen und sagen „Ich bin Rechts?“ Und woran das liegt? Siehe oben, die bewusste Vermischung von Konservativen Werten mit Rechtsradikalen Zielen.

      Das ist nichts anderes als das frühere Brandmarken von Frauen, die einem nicht passten als Hexen.

      Und genau deshalb ist eine Diskussion über solche Dinge eigentlich unmöglich. Es hat sich nunmal durchgesetzt, dass links= gut und rechts = böse ist. Wobei es traurig ist, dass gerade aufgeklärte Menschen merken sollte, dass so eine schwarz/weiß Sicht ganz sicher nicht aufgeklärt und hilfreich ist.
      Wie fließend die Grenzen sind zwischen rechtem und linkem Antisemitismus bspw weiß man nicht erst seit der letzten Finanzkrise.

      Hier ist ein netter, selbstreflektierender Text dazu: (Amüsanterweise von einem Verein namesn Endstation Rechts :) )
      http://www.endstation-rechts.de/index.php?option=com_k2&view=item&id=3994:bestmenschen-gegen-rechts-anmerkungen-zu-einem-anthropologischen-superlativ&Itemid=419

  3. Beide Sozialismen, der nationale und der internationale, erliegen dem „Zauber Platons“ und zerstören die „offene Gesellschaft“ (Karl Popper) und die Freiheit des Individuums. Beide tun das mit einer kollektivistischen Ideologie, in der das Individuum als eigenständiges und aufgeklärtes Wesen nicht mehr existiert. Beide halten nichts vom „Ausgang der selbstverschuldeten Unmündigkeit“, aber sehr viel mehr von der Herabsetzung der Menschen zu „Hausvieh“ (Kant). Bei den einen geht der einzelne Mensch in der Rasse auf, bei den anderen in der Klasse. Je eine bestimmte Rasse/Klasse wird gerettet, alle anderen vernichtet. Die beiden Sozialismen sind nicht das gleiche, aber sie sind sich ähnlicher als ihnen lieb ist. Und sie träumen beiden den Machbarkeitswahn, dass Politik für eine ideale Staatsform, gutes und richtiges Verhalten aller in allen Details zu sorgen habe, wie wenn eine gesellschaft eine konstruierbare Maschine wäre. Auch moralisch ist die Schubladisierung in Klassen jener in Rassen meines Erachtens apriori nicht überlegen.
    Heute ist meines Erachtens hier in Mitteleuropa vor allem der internationale Sozialismus eine echte Bedrohung für die Aufklärung – zum Beispiel wenn die SPD „mehr Bebel wagen“ will, was ja nicht anders gedeutet werden kann, als dass es auch der SPD wieder um die „gewaltsame Expropriation, die Beseitigung der Privatunternehmer mit einem Schlage, einerlei durch welche Mittel“ (Bebel in „Unsere Ziele“, 1869) geht.

  4. Sagen wir es so: Das Problem an dieser Links-Mitte-Rechts-Einteilung ist, dass sie viel zu vereinfacht wirkt. Da gibt es zu viele Unterschiede – so ist etwa das „links“ der Grünen ein anderes „links“ als das der Linkspartei. Und das „rechts“ der NPD ist eben nicht die irgendwie logische Weiterführung des „rechts“ der Union. Und das Phantom der „Mitte“, in der sich ein Großteil der Gesellschaft versammelt, hilft auch nicht weiter. Das ist auch das Problem dieser Extremismustheorie von Eckhard Jesse.

    Im Prinzip ist das Modell des politischen Kompass (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Political_chart_DE.svg) ein deutlich hilfreicheres Modell. Und mehr muss man darüber eigentlich gar nicht sagen.

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