Fernsehdokumentationen

Der Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski ätzt in der FAZ in einem lesenswerten Artikel gegen „unsägliche TV-Dokumentationen“:

„Damit der letzte Zweifel an der Seriosität der Dokumentation verfliegt, tritt Professor Dr. Schlaumeier auf. Er sagt: „Hitler liebte Hunde, er fand aber auch Gefallen an Frauen. Juden mochte er nicht.“ Schnitt. Musik. Hitler schaut finster in die Kamera. Jetzt hat der Zuschauer das Gefühl, etwas wirklich Bedeutendes gesehen und gehört zu haben. Ohne Professor Dr. Schlaumeier, der an der Universität Geschichte lehrt, wäre die Dokumentation nur die Hälfte wert. Deshalb nennt sich Guido Knopp neuerdings auch Professor Dr. Guido Knopp.“

Dem kann ich nur zustimmen – auch jenseits aller Dokus über Nazi-UFOs oder Geheimwaffen des Dritten Reiches sind die allermeisten TV-Dokus absolut unterirdisch. Die Machart ist zu sensationsheischend, die Musikuntermalung zu dramatisierend, schlechte Schauspieler in schlechten Kulissen spielen schlecht historische Szenen nach und der Kommentar ist häufig besserwisserisch. Gleichzeitig wird der Artikel kontrovers diskutiert und Baberowski vorgeworfen, dass er die Bedingungen des Mediums Fernsehen verkennt und nur die alte, schon lange bekannte Kritik aus dem fachwissenschaftlichen Elfenbeinturm widerkäuen. Ich bin gespannt, ob sich im Zuge des Artikels eine Diskussion über Fernsehdokus entwickelt, es wäre auf jeden Fall zu begrüßen.

Passend dazu legt sich unsere Qualitätszeitung Nr. 1 richtig ins Zeugs, um ihren alten Überschriftenklassiker „UFO-Sekte will Hitler klonen“ zu übertreffen:

UnbenanntDer Artikel ist leider Teil des kostenpflichtigen Angebotes BildPlus und daher müsste ich jetzt dem Springer-Verlag Geld bezahlen, um herauszufinden, mit welchen Reichsweltnetzfunkverbindungsstandard dem Führer dem sein Schreibtisch ausgestattet war. Muss die Geschichte des Dritten Reiches neu geschrieben werden? Sir Ian Kershaw hat zum Glück schon vor einigen Jahren die passenden Worte zu diesem Hitler-Unfug gefunden:

“Es ist, wie auch immer, schwer zu erkennen, wie dies beitragen könnte zu einem besseren Verständnis der dramatischen Geschichte von Hitlers Aufstieg zur Macht in Deutschland, der Ausweitung seiner Macht über den deutschen Staat und das Volk, sowie der Expansion, des Kriegs, des brutalen Kriegs und des Völkermords, mit denen sein Name für immer unauslöschlich verbunden sein wird.”

Das ist auch das Ziel, welches sich eine NS-Doku im Fernsehen setzen sollte. Die Dokus von Guido Knopp und in anderen öffentlich-rechtlichen Sendern sind dabei noch Gold gegen den Blödsinn, den andere Sender verzapfen. Der History Channel interviewte etwa den völlig durchgedrehten Verschwörungstheoretiker Axel Stoll in einer Doku über Nazi-Ufos. Der britische Channel 4 analysiert gerade die DNA von verstorbenen Berühmtheiten und kommt dabei zu der bahnbrechenden Erkenntnis, dass Elvis zu Übergewicht neigte. Und National Geographic sendete gleich mehrere Serien, in denen Raubgrabungen und Grabschändung betrieben wurden. Die Liste kann man fast beliebig fortführen. Zu solchen Sendungen kann man dann nichts positives mehr sagen.

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9 Antworten zu Fernsehdokumentationen

  1. Dierk sagt:

    Das Thema der verknoppten Yellow-Press-Geschichts-Soap-operas ist natürlich nicht die Klärung der Frage ‚Wie konnte es dazu kommen?‘, sondern die Verschleierung. Lange Zeit reichte die Dämonisierung eines Dutzends Nazis, um dem Zuschauer/Hörer/Lernenden das wohlige Gefühl zu geben, dass weder er noch seine Eltern oder die Grosseltern irgendwas Böses getan hätten. Nazis – das waren die Anderen™, das waren die hinkenden Klumpfüssler, die seltsamen Schnurrbärte, die fetten Tannenbäume. Doch damit kommt man inzwischen nicht mehr durch, da sich zumindest ein leiser Zweifel rührt, wie denn eine kleine Bande Irrer einige ganze Völker – Österreich z.B. eingerechnet – unterjochen und den grössten durchorganisierten Massenmord der Menschheitsgeschichte ausführen konnte.

    ‚Das sind doch auch nur Menschen.‘ wurde zum neuen Credo. Hitler und Konsorten werden nicht mehr zum personifizierten Bösen, sie werden jetzt zu Figuren einer Soap, deren Charakterisierung sich aus den kleinen Lächerlichkeiten ergeben soll. Durch den Überhang an uninteressanten Details, die sich im Leben eines jeden Menschen finden lassen, konzentriert der durchschnittliche Geschichte-Erzähler im TV jetzt nicht mehr auf das höllische Dutzend, sondern sucht sich die drei prominentesten aus. zufällig sind das auch jene, die bereits im Erscheinungsbild etwas von Albernheit haben.

    Der Zuschauer hat zwar noch im Hinterkopf, dass ‚dieser Hitler ja doch ein ganz schlimmer Finger‘ war. Doch labt er sich nun an den Bagatellen des Menschseins, die er irgendwie kennt. Eine Schlussfolgerung zieht er nicht, muss er nicht. Er kann sich auf seiner Couch bequem zurück lehnen, denn ’soooo einer wird bei uns nie wieder‘.

    Diese Art der Geschichts-Dokumentation blendet Zusammenhänge aus, verliert sich in Detailverliebtheit um der Faktenseeligkeit – ‚Das stimmt alles, können’se nachlesen!‘ Sie verschleiert die historischen Prozesse. Sie verdummt damit die Zuschauer schlimmer, als es die Pseudo-Unterschichten Scripted-Reality-Shows am Nachmittag können.

    Wenn ich schlecht drauf bin, denke ich, dass es auch so gewollt ist.

  2. Ralf Bülow sagt:

    Hier steht das mit dem Internetanschluss von Herrn H. – gratis: https://twitter.com/BILD_Reporter/status/472741065481797634/photo/1

  3. [http://t.co/gdHHHZAe3W] Fernsehdokumentationen http://t.co/zrP3OUpRgS

  4. http://t.co/jM8dltquyy
    Diese Grütze von Geschichtskokus sind ein echtes Greuel; der Mann hat so was von Recht!

  5. Hitler? War das nicht der Typ mit den UFOs? http://t.co/9LsmUEd7SZ

  6. J. S. sagt:

    Hi,
    ich gehöre wohl zu den wenigen, die die Knopp-Dokus nicht so negativ sehen. Ich habe mir damals sehr gerne die diversen Doku-Reihen angeschaut (die neueren erspare ich mir mittlerweile aber doch). Und zwar dienten sie mir nur zum anfixen. Und zwar: wenn die eine oder andere Geschichte hochinteressant war, habe ich mich mit Literatur eingedeckt und mich dann eingelesen, denn diese Dokuhappen können nicht die ganzem komplexen Verhältnisse umfassend wiedergeben. Andere Biographien oder historische Ereignisse, die mich dann nicht so neugierig gemacht haben, habe ich dann halt nur über diese Dokureihen wahrgenommen. Das hat mir dann auch gereicht.

    Was ich also sagen will: Die Knopp-Dokus sollen doch nur einen Überblick geben. Sie sollen dazu führen, dass man sich anderweitig umfassender informiert, um wirklich ein Bild über die Zusammenhänge zu erhalten. Wenn durch die Knopp-Dokus sich mehr Leute Bücher zu diesen Themen ausleihen oder kaufen, um sich umfassend zu informieren, dann hat der werte Herr Knopp doch alles richtig gemacht.

  7. Gerald Fix sagt:

    Ich weiß nicht, ob diese miserablen Dokus ein deutsches Problem sind. Bei den Dokumentationen, die auf Arte laufen, hat man gute Chancen für eine gelungene Sendung, wenn man sich auf französische oder englische Produktionen beschränkt.

    Ein weiteres, im FAZ-Artikel nicht angesprochenes Problem ist die ausufernde Verwendung von Reenactment in vielen deuschen Dokus.

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