Planet History

Tag: 18. März 2017

Buch: Die Vermessung der Ozeane – Welt- und Seekarten von der Antike bis zur Neuzeit

Im Buch Die Vermessung der Ozeane: Welt- und Seekarten von der Antike bis zur Neuzeit (Verlag Delius Klasing) schildert der Autor Olivier de Carrer die Entwicklung der Kartographie sowie das sich wandelnde Bild, das die Menschheit im Lauf der letzten Jahrtausende von der Erde gewann.
Beispielsweise haben wir einem Schreiber des ägyptische Herrschers Snofru die erste historisch überlieferte, formelle Erwähnung einer Seereise zu verdanken; bereits um 3000 v. Chr. verzeichnete dieser die Ankunft von 40, mit Zedernholz beladenen Schiffen aus Byblos (Libanon). 
Auch die Forschungsarbeit von so berühmten Wissenschaftlern wie Eratosthenes von Kyrene (berechnete Erdumfang) und Hipparch von Nikaia (teilte Erdumfang als erster in 360 Grad) werden in allgemein verständlicher Weise erläutert.
Der Fortschritt der Kartographie wird überdies mithilfe großformatiger Abbildungen alter Karten veranschaulicht. Anhand dieser erklärt der Autor unter anderem, welchen Zweck Windrosen und das für Laien verwirrend wirkende Netz von sogenannten Rumbenlinien haben (siehe z.B. das abgebildete Buchcover). 
Da die meisten der überlieferten Welt- und Seekarten (sog. Portolane) aus dem europäisch-westlichen Kulturkreis stammen, nehmen sie und ihre Entwicklung naturgemäß mehr Raum im Buch ein, als etwa die Kartographie und Seefahrt in Asien. Trotzdem wird auch auf die Kulturen abseits Europas nicht völlig vergessen; beispielsweise würdigt der Autor die navigatorischen Fähigkeiten der Polynesier, die bereits vor Jahrtausenden auf abenteuerlichen Fahrten, unter Zuhilfenahme heute oft nicht mehr bekannter Navigationshilfen, die Besiedelung der Pazifikinseln in Angriff nahmen.
Überhaupt ist ja die Geschichte der Kartographie auch immer eine der Entdeckungsreisen. Daher ist z.B. von berühmten Männern wie Kolumbus die Rede, aber auch von João Vaz Corte-Real, der bereits 1472 – also 20 Jahre vor Kolumbus – (Nord-)Amerika (wieder-)entdeckt haben könnte. Im Gegensatz zu Kolumbus hatte er freilich keine mächtigen Gönner und spielte auch nicht dermaßen geschickt auf der PR-Orgel, sodass seine Aktivitäten in Vergessenheit gerieten. Doch selbst der Portugiese Corte-Real war vielleicht nicht der erste Europäer des ausgehenden Mittelalters, der amerikanischen Boden betrat. Es ist nämlich denkbar, dass Kabeljau-Fischer bereits Mitte des 15. Jahrhunderts bei Neufundland an Land gegangen sind. Darauf deuten französische Karten hin, die Teile der nordamerikanischen Küste bereits vor den offiziellen Entdeckungsfahrten in dieser Gegend zeigten. Kolumbus könnte davon gewusst haben …

Fazit: Der Autor ermöglicht in Die Vermessung der Ozeane Nichtfachleuten einen unkomplizierten, sehr schön illustrierten Einblick in die historische Entwicklung der Kartographie. Manch neugierigem Leser werden die Erläuterungen punktuell vielleicht aber etwas zu sparsam sein. Ich hätte mir beispielsweise Näheres zu der berühmten Karte des Piri Reis gewünscht; ein Thema wie dieses sollte man nämlich nicht bloß Erich von Däniken überlassen 😉
Der Preis für dieses großformatige Buch (36,5 cm x 27,3 x 2,5 x ) beträgt knapp 50 Euro.
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Inhaltsverzeichnis:

Eine Welt erfinden – Von der Frühzeit bis Eratosthenes
Ein sehr langer Schlaf – Von Ptolemäus bis zum Mittelalter
Zurück auf die offene See – Von der Pisaner Karte zur Schule von Mallorca
Der vierte Kontinent – Vom „Atlas catalan“ bis Magellan
Eine Karte für die Seefahrer – Von den ersten Seebüchern zum Seeatlas
Ein anderer Blick auf den Ozean – Vom „Dépôt des cartes et plans“ zum GPS

Weiterführende Informationen:

Weitere interessante Themen auf diesem Blog: 

BarCamps 2017: Bibliotheken, Archive und Museen

In diesem Jahr finden nicht nur das bereits zehnte (!) deutsche BibCamp  (16./17. Juni 2017, Hannover) sowie das erste deutschsprachige ArchivCamp (19. Juni 2017, Duisburg) statt, sondern auch der Deutsche Museumsbund geht bei seiner diesjährigen Bundesvolontärstagung (3.-5. März 2017, Berlin) neue Wege: Die kommende BVT wagt das Experiment. Denn das Herzstück der Tagung bildet das Barcamp am Samstag. Barcamps, auch „Unkonferenzen“ genannt, unterscheiden sich deutlich von klassischen Konferenzen. Anstelle gebuchter Referent*innen, gibt es hier nur Teilnehmer*innen. Am Morgen des Veranstaltungstags wird spontan ein gemeinsames Programm … BarCamps 2017: Bibliotheken, Archive und Museen weiterlesen

Российско-индийская археологическая экспедиция в Занскаре, штат Джамму и Кашмир

Russisch-indische archäologische Kampagne in Zanskar, Bundesstaat Jammu und Kaschmir

Eine russisch-indische archäologische Expedition startete mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung ihre Forschungsarbeiten in Zanskar im indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir, in einem gebirgigen Land, das auch Klein-Tibet genannt wird, auf einer Höhe von 4000 Meter über dem Meeresspiegel. Ziele der Expedition sind die Suche nach den Spuren der alten vorbuddhistischen Kulturen und Religionen in der Region und die Untersuchung der Verbindungen zwischen der alten Bevölkerung von Zanskar und der großen Welt der zentralasiatischen Nomaden. Zanskar ist eins der abgelegensten tibetischen Gebieten, es wurde bisher nicht so sehr durch das schnelle Eindringen der modernen Zivilisation beeinflusst. Aber die Anwohner, vor allem junge Menschen, freuen sich auf die Veränderungen, die sicher in der nahen Zukunft kommen werden. Und die Mönche können nur die Tatsache beklagen, dass die Menschen die lokalen Götter und Geister vergessen und immer weniger den alten Traditionen folgen.
An diesem Ort sind noch buddhistische Tempel aus dem 11. Jahrhundert erhalten, die mit schönen Fresken verziert sind, auch gibt es zahlreiche Steinstelen mit Bildern von buddhistischen Gottheiten. In Zanskar sind noch Spuren der alten Bon-Religion sichtbar, die im Altertum alle Völker Zentralasiens verbinden könnte. Trotz der Tatsache, dass in den letzten Jahren Vieles für die Erforschung von Zanskar gemacht wurde, stehen die Archäologen erst am Beginn eines langen Weges.
 
Weitere Infomationen zur Kampagne in englischer Sprache

Российско-индийская археологическая экспедиция в Занскаре, штат Джамму и Кашмир

Russisch-indische archäologische Kampagne in Zanskar, Bundesstaat Jammu und Kaschmir

Eine russisch-indische archäologische Expedition startete mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung ihre Forschungsarbeiten in Zanskar im indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir, in einem gebirgigen Land, das auch Klein-Tibet genannt wird, auf einer Höhe von 4000 Meter über dem Meeresspiegel. Ziele der Expedition sind die Suche nach den Spuren der alten vorbuddhistischen Kulturen und Religionen in der Region und die Untersuchung der Verbindungen zwischen der alten Bevölkerung von Zanskar und der großen Welt der zentralasiatischen Nomaden. Zanskar ist eins der abgelegensten tibetischen Gebieten, es wurde bisher nicht so sehr durch das schnelle Eindringen der modernen Zivilisation beeinflusst. Aber die Anwohner, vor allem junge Menschen, freuen sich auf die Veränderungen, die sicher in der nahen Zukunft kommen werden. Und die Mönche können nur die Tatsache beklagen, dass die Menschen die lokalen Götter und Geister vergessen und immer weniger den alten Traditionen folgen.
An diesem Ort sind noch buddhistische Tempel aus dem 11. Jahrhundert erhalten, die mit schönen Fresken verziert sind, auch gibt es zahlreiche Steinstelen mit Bildern von buddhistischen Gottheiten. In Zanskar sind noch Spuren der alten Bon-Religion sichtbar, die im Altertum alle Völker Zentralasiens verbinden könnte. Trotz der Tatsache, dass in den letzten Jahren Vieles für die Erforschung von Zanskar gemacht wurde, stehen die Archäologen erst am Beginn eines langen Weges.
 
Weitere Infomationen zur Kampagne in englischer Sprache

cityofbostonarchives: Have you ever had something happen that…

cityofbostonarchives:

Have you ever
had something happen that you thought was out of your control? Long before
women gained the right to vote, schoolgirls from the Franklin School worked to
prevent something that many might have just let happen.  On December 6, 1837, the School Committee of
Boston received a petition from thirty-four Franklin School girls expressing
their dissatisfaction with the school board’s choice to move them from their
school to the Johnson School.

 As you can
see in the letter pictured, the girls grew up with this school and loved their
teachers. They ended the petition with their most compelling argument, “But
when we are further allowed to suggest to the honourable Board, that some of
us, who reside South of our school, must inevitably be deprived not only of
constant instruction from teachers we love, but afar, we fear will be deprived
for a part of the year, of all knowledge derived from any of the Public Schools
of our City…” Not only did these girls try to fight this decision, they also
very clearly stated why they were unhappy with this choice and the consequences
it would have on their education.

Letter
from the Franklin School, 1837, 0008-B1 Proceedings of the City Council,
Collection 0100.001, Boston City Archives

Blog post by Monica Haberny, City Archives Outreach Intern

Kolloquium „Kulturen des Risikos im Europa des Mittelalters und der Frühen Neuzeit“ von Professor Benjamin Scheller am Historischen Kolleg München

Historisches Kolleg München | 30. März – 1. April 2017

Im Zentrum des Kolloquiums steht die Frage, wie in Mittelalter und Früher Neuzeit Risiken wahrgenommen und bewältigt wurden. Dabei soll ein besonderer Akzent auf Praktiken der aktiven Bewältigung von Risiken durch Prävention, Kalkül etc. gesetzt werden. Damit knüpft das Kolloquium an Fragen an, die in der Geschichtswissenschaft gegenwärtig hochaktuell sind und in verschiedenen Forschungszusammenhängen aus unterschiedlichen Perspektiven angegangen werden.
Der Begriff der „Kultur des Risikos“ geht auf Herfried Münkler zurück. Dieser bezeichnet damit Arrangements, die künftige Bedrohungen und Schäden berechen- und kalkulierbar machen. Die Frage des Kalküls und damit des Wissens über Risiken gehört zu den zentralen Fragen des Kolloquiums. Risiken fallen vielfach unter jenen Typus von kontingenten Ereignissen, die mit Ulrich Bröckling als known unknowns bezeichnet werden können. Sie sind also künftig mögliche Geschehnisse, über die sich durch die Beobachtung vergangener Zukünfte Erwartungen bilden lassen. Dies wirft eine Reihe von Fragen auf: Wie beobachteten die Akteure diese vergangenen Zukünfte? Welcher Techniken des Informationsmanagements bedienten sie sich? In welchem Verhältnis standen unterschiedliche Formen des Wissens, etwa „gelehrtes“ und praktisches? Welche Erwartungen bildeten unterschiedliche Akteure in unterschiedlichen Feldern schließlich auf der Basis unterschiedlicher Wissensformen?
Ein weiterer zentraler Aspekt der vormodernen Kulturen des Risikos ist die Frage der Zurechnung. Akteure können künftig mögliche Bedrohungen und Schäden unterschiedlich zurechnen: Entweder führen sie sie auf Entscheidungen, die sie selbst getroffen haben, oder aber auf Ereignisse in ihrer sozialen oder natürlichen Umwelt zurück. Niklas Luhmann zufolge kann nur im ersten Fall von einer Beobachtung eines möglichen Schadensereignisses als Risiko die Rede sein, im zweiten Fall dagegen werde es als Gefahr beobachtet. Unabhängig davon, ob man den Begriff des Risikos in dieser Form eingrenzen möchte, gilt jedoch, dass die Zurechnung auf Entscheidungen die Handlungsoptionen der Akteure kontrolliert erweitert. Denn sie eröffnet ihnen die Möglichkeit, Schäden zuzulassen, die im Prinzip vermeidbar wären, sofern die Kalkulation von Schadenswahrscheinlichkeit und/oder etwaiger Schadenshöhe dies als vertretbar erscheinen lässt. Als Kehrseite des Risikos gerät dann zunehmend die Chance ins Blickfeld. Ganz in diesem Sinne betonte bereits Bernardino von Siena (1380–1444), dass das spätmittelalterliche Versicherungswesen das Handelsvolumen in den jeweiligen Gemeinwesen erhöhe, da die Kaufleute Geschäfte tätigten, die sie nicht wagen würden, wenn sie keine Versicherer für diese fänden.
Dennoch dominiert bis in die unmittelbare Gegenwart in der Geschichtswissenschaft die Auffassung, dass mögliche künftige Schäden im Mittelalter und zum Teil auch in der Frühen Neuzeit nicht als Risiken, sondern vor allem als Gefahren wahrgenommen wurden. Ihnen gegenüber habe sich der Mensch letztlich hilflos gefühlt und passiv verhalten, da sie als gottgegeben wahr- und hingenommen wurden. Erst in der Neuzeit bzw. der Moderne seien kontingente Schäden dann zusehends auf Entscheidungen zurückgeführt und Gefahren so in Risiken transformiert worden.
Eine Fülle von Einzelforschungen aus ganz unterschiedlichen Bereichen der Geschichtswissenschaft, vor allem der Rechts- und Wirtschaftsgeschichte, aber auch der Umweltgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit hat zwar immer wieder zeigen können, dass diese Sicht sehr verkürzt, wenn nicht grob falsch ist. Doch ist die Frage nach der Beobachtung, Zurechnung, Einschätzung und Bewältigung von Risiken und Gefahren in Mittelalter und Früher Neuzeit im Spannungsfeld bzw. Wechselspiel von innerweltlich und außerweltlich bisher selten grundsätzlich und vergleichend aufgeworfen worden.
Auf dem Kolloquium „Kulturen des Risikos in Mittelalter und Früher Neuzeit“ sollen unterschiedliche soziale Felder behandelt werden, auf denen Risiken eine besondere Herausforderung für die historischen Akteure darstellten, und danach gefragt werden, welche Formen des Wissens über Risiken und welche Praktiken der Risikobewältigung in diesen Feldern entstanden.
Von Bedeutung erscheint dabei zunächst einmal das ökonomische Feld mit seinen spezifischen Verlustrisiken und Gewinnchancen, das seit dem Hochmittelalter im mediterranen Seehandel als erstes einen Begriff des Risikos ausbildete, außerdem Krieg und militärische Expansion, bei denen das Risiko der Niederlage eine geradezu existenzielle Dimension und die Produktion von Wissen über das Ungewisse daher eine besondere Dringlichkeit hatte, und die „natürliche Umwelt“, deren Extremereignisse Gesellschaften, die ihnen ausgesetzt waren, herausforderten, Praktiken der Prävention und der Anpassung zu entwickeln. Aber auch das Feld des Politischen lässt sich als spezifische Kultur des Risikos fassen. Denn die Entscheidungen, die in ihm getroffen und durchgesetzt werden müssen, sollen zumindest dem Anspruch nach Wirkungen entfalten, die für politische Gemeinwesen als ganze Verbindlichkeit besitzen, sodass die Frage der Kalkulierbarkeit dieser Wirkungen hier besondere Brisanz besitzt. Daneben spielten aber auch Felder wie das Glücksspiel oder die soziale Formation des Rittertums eine Rolle, die seit dem Mittelalter Alternativkonzepte zum Risiko herbrachten: Hasard und Abenteuer.
Dabei gilt es freilich zu beachten, dass die erwähnten Felder in praxi nicht immer klar voneinander abgegrenzt waren, etwa wenn Wetten auf den Ausgang von Pferderennen im spätmittelalterlichen Italien von denselben Kaufleuten angenommen wurden, die Schiffsladungen versicherten und die diese Wetten gemeinsam mit den Versicherungen in denselben Konten ihrer Rechnungsbücher verbuchten. Doch wirft gerade dies die Frage nach Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen sozialen Feldern und ihrer Wahrnehmung und Praktiken der Bewältigung von Risiken auf.
 
 
Programm:
 
Donnerstag, 30. März 2017 15:45 Uhr Begrüßung durch Prof. Dr. Susanne Lepsius (Historisches Kolleg) 16:00 Uhr Benjamin Scheller (Duisburg-Essen/München): Einführung 16:30 Uhr Steffen Patzold (Tübingen): Known Unknowns. Wissen über Risiken und Zurechenbarkeit von Entscheidungen im frühen Mittelalter 18:00 Uhr Susanne Reichlin (München): Sexuelle und ökonomische Risikophantasien in spätmittelalterlichen Mären Freitag, 31. März 2017 9:00 Uhr Arndt Brendecke (München): Zur Semantik und Ökonomie des Risikos in der spanischen Conquista 10:00 Uhr Marina Münkler (Dresden): Figurationen und Narrative von Risiko in der Frühen Neuzeit 11:00 Uhr Kaffeepause 11:30 Uhr Wolfgang Wagner (Münster): „Ein bisschen Zufall“? Losverfahren an der mittelalterlichen Universität 12:30 Uhr Mittagspause 14:30 Uhr Gabriela Signori (Konstanz): „Risikominimierung“ im städtischen Kreditwesen des 15. Jahrhunderts 15:30 Uhr Martin Clauss (Chemnitz): Zwischen Absicherung, Kalkül und Heldentum: Krieg und Risiko im Spätmittelalter 16:30 Uhr Kaffeepause 17:00 Uhr Albrecht Cordes (Frankfurt am Main): Abenteuer: Schicksal oder Kalkül? 18:00 Uhr Hiram Kümper (Mannheim): War die Frühe Neuzeit eine abenteuerlose Zeit? Etappen der Konzeptgeschichte von Abenteuer und Risiko Samstag, 1. April 2017 9:00 Uhr Gerrit Schenk (Darmstadt): Die Zukunft zähmen? Deutungs- und Handlungsmuster beim Umgang mit Naturrisiken in der Renaissance aus begriffsgeschichtlicher und lebensweltlicher Perspektive 10:00 Uhr Cornel Zwierlein (Bochum): Versicherungsbetrug durch frühen Tod. Das Reichskammergericht und die Lebensversicherung (1755 bis 1770) 11:00 Uhr Kaffeepause 11:30 Uhr Christian Jaser (Berlin): Merkur, Fortuna und San Giovanni – Pferderennen, Wetten und merkantiles Kalkül im Florenz der Renaissance 12:30 Uhr Gerhard Fouquet (Kiel): Abschlusskommentar anschließende Abschlussdiskussion ca. 13:30 Uhr Ende der Tagung
 
 
Anmeldung bis spätestens 16. März 2017 an:
Elisabeth Hüls Historisches Kolleg Kaulbachstr. 15
80539 München elisabeth.huels@historischeskolleg.de

Kolloquium „Kulturen des Risikos im Europa des Mittelalters und der Frühen Neuzeit“ von Professor Benjamin Scheller am Historischen Kolleg München

Historisches Kolleg München | 30. März – 1. April 2017

Im Zentrum des Kolloquiums steht die Frage, wie in Mittelalter und Früher Neuzeit Risiken wahrgenommen und bewältigt wurden. Dabei soll ein besonderer Akzent auf Praktiken der aktiven Bewältigung von Risiken durch Prävention, Kalkül etc. gesetzt werden. Damit knüpft das Kolloquium an Fragen an, die in der Geschichtswissenschaft gegenwärtig hochaktuell sind und in verschiedenen Forschungszusammenhängen aus unterschiedlichen Perspektiven angegangen werden.
Der Begriff der „Kultur des Risikos“ geht auf Herfried Münkler zurück. Dieser bezeichnet damit Arrangements, die künftige Bedrohungen und Schäden berechen- und kalkulierbar machen. Die Frage des Kalküls und damit des Wissens über Risiken gehört zu den zentralen Fragen des Kolloquiums. Risiken fallen vielfach unter jenen Typus von kontingenten Ereignissen, die mit Ulrich Bröckling als known unknowns bezeichnet werden können. Sie sind also künftig mögliche Geschehnisse, über die sich durch die Beobachtung vergangener Zukünfte Erwartungen bilden lassen. Dies wirft eine Reihe von Fragen auf: Wie beobachteten die Akteure diese vergangenen Zukünfte? Welcher Techniken des Informationsmanagements bedienten sie sich? In welchem Verhältnis standen unterschiedliche Formen des Wissens, etwa „gelehrtes“ und praktisches? Welche Erwartungen bildeten unterschiedliche Akteure in unterschiedlichen Feldern schließlich auf der Basis unterschiedlicher Wissensformen?
Ein weiterer zentraler Aspekt der vormodernen Kulturen des Risikos ist die Frage der Zurechnung. Akteure können künftig mögliche Bedrohungen und Schäden unterschiedlich zurechnen: Entweder führen sie sie auf Entscheidungen, die sie selbst getroffen haben, oder aber auf Ereignisse in ihrer sozialen oder natürlichen Umwelt zurück. Niklas Luhmann zufolge kann nur im ersten Fall von einer Beobachtung eines möglichen Schadensereignisses als Risiko die Rede sein, im zweiten Fall dagegen werde es als Gefahr beobachtet. Unabhängig davon, ob man den Begriff des Risikos in dieser Form eingrenzen möchte, gilt jedoch, dass die Zurechnung auf Entscheidungen die Handlungsoptionen der Akteure kontrolliert erweitert. Denn sie eröffnet ihnen die Möglichkeit, Schäden zuzulassen, die im Prinzip vermeidbar wären, sofern die Kalkulation von Schadenswahrscheinlichkeit und/oder etwaiger Schadenshöhe dies als vertretbar erscheinen lässt. Als Kehrseite des Risikos gerät dann zunehmend die Chance ins Blickfeld. Ganz in diesem Sinne betonte bereits Bernardino von Siena (1380–1444), dass das spätmittelalterliche Versicherungswesen das Handelsvolumen in den jeweiligen Gemeinwesen erhöhe, da die Kaufleute Geschäfte tätigten, die sie nicht wagen würden, wenn sie keine Versicherer für diese fänden.
Dennoch dominiert bis in die unmittelbare Gegenwart in der Geschichtswissenschaft die Auffassung, dass mögliche künftige Schäden im Mittelalter und zum Teil auch in der Frühen Neuzeit nicht als Risiken, sondern vor allem als Gefahren wahrgenommen wurden. Ihnen gegenüber habe sich der Mensch letztlich hilflos gefühlt und passiv verhalten, da sie als gottgegeben wahr- und hingenommen wurden. Erst in der Neuzeit bzw. der Moderne seien kontingente Schäden dann zusehends auf Entscheidungen zurückgeführt und Gefahren so in Risiken transformiert worden.
Eine Fülle von Einzelforschungen aus ganz unterschiedlichen Bereichen der Geschichtswissenschaft, vor allem der Rechts- und Wirtschaftsgeschichte, aber auch der Umweltgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit hat zwar immer wieder zeigen können, dass diese Sicht sehr verkürzt, wenn nicht grob falsch ist. Doch ist die Frage nach der Beobachtung, Zurechnung, Einschätzung und Bewältigung von Risiken und Gefahren in Mittelalter und Früher Neuzeit im Spannungsfeld bzw. Wechselspiel von innerweltlich und außerweltlich bisher selten grundsätzlich und vergleichend aufgeworfen worden.
Auf dem Kolloquium „Kulturen des Risikos in Mittelalter und Früher Neuzeit“ sollen unterschiedliche soziale Felder behandelt werden, auf denen Risiken eine besondere Herausforderung für die historischen Akteure darstellten, und danach gefragt werden, welche Formen des Wissens über Risiken und welche Praktiken der Risikobewältigung in diesen Feldern entstanden.
Von Bedeutung erscheint dabei zunächst einmal das ökonomische Feld mit seinen spezifischen Verlustrisiken und Gewinnchancen, das seit dem Hochmittelalter im mediterranen Seehandel als erstes einen Begriff des Risikos ausbildete, außerdem Krieg und militärische Expansion, bei denen das Risiko der Niederlage eine geradezu existenzielle Dimension und die Produktion von Wissen über das Ungewisse daher eine besondere Dringlichkeit hatte, und die „natürliche Umwelt“, deren Extremereignisse Gesellschaften, die ihnen ausgesetzt waren, herausforderten, Praktiken der Prävention und der Anpassung zu entwickeln. Aber auch das Feld des Politischen lässt sich als spezifische Kultur des Risikos fassen. Denn die Entscheidungen, die in ihm getroffen und durchgesetzt werden müssen, sollen zumindest dem Anspruch nach Wirkungen entfalten, die für politische Gemeinwesen als ganze Verbindlichkeit besitzen, sodass die Frage der Kalkulierbarkeit dieser Wirkungen hier besondere Brisanz besitzt. Daneben spielten aber auch Felder wie das Glücksspiel oder die soziale Formation des Rittertums eine Rolle, die seit dem Mittelalter Alternativkonzepte zum Risiko herbrachten: Hasard und Abenteuer.
Dabei gilt es freilich zu beachten, dass die erwähnten Felder in praxi nicht immer klar voneinander abgegrenzt waren, etwa wenn Wetten auf den Ausgang von Pferderennen im spätmittelalterlichen Italien von denselben Kaufleuten angenommen wurden, die Schiffsladungen versicherten und die diese Wetten gemeinsam mit den Versicherungen in denselben Konten ihrer Rechnungsbücher verbuchten. Doch wirft gerade dies die Frage nach Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen sozialen Feldern und ihrer Wahrnehmung und Praktiken der Bewältigung von Risiken auf.
 
 
Programm:
 
Donnerstag, 30. März 2017 15:45 Uhr Begrüßung durch Prof. Dr. Susanne Lepsius (Historisches Kolleg) 16:00 Uhr Benjamin Scheller (Duisburg-Essen/München): Einführung 16:30 Uhr Steffen Patzold (Tübingen): Known Unknowns. Wissen über Risiken und Zurechenbarkeit von Entscheidungen im frühen Mittelalter 18:00 Uhr Susanne Reichlin (München): Sexuelle und ökonomische Risikophantasien in spätmittelalterlichen Mären Freitag, 31. März 2017 9:00 Uhr Arndt Brendecke (München): Zur Semantik und Ökonomie des Risikos in der spanischen Conquista 10:00 Uhr Marina Münkler (Dresden): Figurationen und Narrative von Risiko in der Frühen Neuzeit 11:00 Uhr Kaffeepause 11:30 Uhr Wolfgang Wagner (Münster): „Ein bisschen Zufall“? Losverfahren an der mittelalterlichen Universität 12:30 Uhr Mittagspause 14:30 Uhr Gabriela Signori (Konstanz): „Risikominimierung“ im städtischen Kreditwesen des 15. Jahrhunderts 15:30 Uhr Martin Clauss (Chemnitz): Zwischen Absicherung, Kalkül und Heldentum: Krieg und Risiko im Spätmittelalter 16:30 Uhr Kaffeepause 17:00 Uhr Albrecht Cordes (Frankfurt am Main): Abenteuer: Schicksal oder Kalkül? 18:00 Uhr Hiram Kümper (Mannheim): War die Frühe Neuzeit eine abenteuerlose Zeit? Etappen der Konzeptgeschichte von Abenteuer und Risiko Samstag, 1. April 2017 9:00 Uhr Gerrit Schenk (Darmstadt): Die Zukunft zähmen? Deutungs- und Handlungsmuster beim Umgang mit Naturrisiken in der Renaissance aus begriffsgeschichtlicher und lebensweltlicher Perspektive 10:00 Uhr Cornel Zwierlein (Bochum): Versicherungsbetrug durch frühen Tod. Das Reichskammergericht und die Lebensversicherung (1755 bis 1770) 11:00 Uhr Kaffeepause 11:30 Uhr Christian Jaser (Berlin): Merkur, Fortuna und San Giovanni – Pferderennen, Wetten und merkantiles Kalkül im Florenz der Renaissance 12:30 Uhr Gerhard Fouquet (Kiel): Abschlusskommentar anschließende Abschlussdiskussion ca. 13:30 Uhr Ende der Tagung
 
 
Anmeldung bis spätestens 16. März 2017 an:
Elisabeth Hüls Historisches Kolleg Kaulbachstr. 15
80539 München elisabeth.huels@historischeskolleg.de