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Liebe Leserinnen und Leser,
wer wie ich in einer bestimmten Alterskohorte unterwegs ist, dem sind definitiv beim Ausrümpeln der Wohnungen der Großeltern diese kleinen Weihwasserflaschen aus Lourdes in die Hände gefallen. Doch was ist eigentlich Lourdes, dieser kleine Ort am Fuße der Pyrenäen, der durch die angeblichen Marienerscheinungen 1858 zu einem der größten Wallfahrtsorte des Christentums wurde? Was geschieht dort? Wieso gibt es überall in Deutschland Nachbauten der Lourdesgrotte? Kurt Tucholsky besuchte Lourdes ausführlich auf seiner im „Pyrenäenbuch“ beschriebenen Reise durch die Pyrenäen. Er, der alte Spötter, war vom dortigen Treiben nicht wirklich angetan – doch lest selbst!
Alle Details zur Installation und was die Nachrichtensortiermaschine alles kann, findet ihr drüben. Daher hier einfach nur ein paar Erkenntnisse aus der ganzen Übung:
Ganz überraschenderweise bin ich mit dem selbstgebastelten Tool, das genau auf meine Bedürfnisse zugeschnitten ist und auf das ich schon etwas stolz bin, höchst zufrieden. Es ist höchst angenehm, Artikel aus dem Internet einfach in Ruhe auf dem eReader zu lesen. Das Sofa ist dann doch besser geeignet, um in Ruhe zu lesen als der PC am Schreibtisch und gerade lange Reportagen profitieren davon, wenn sie nicht neben achtzehn anderen Tabs, neben blinkenden Werbebannern und dem Feed einen Tab weiter platziert sind. Denn mal ehrlich – wann habt ihr das letzte Mal einen 6000 Wörter-Artikel am Rechner oder Handy gelesen?
Ich habe seit einiger Zeit kein Werbebanner in einem Artikel mehr gesehen. Es ist aber auffallend, wie viel Textmüll in Artikeln steckt. Werbeblöcke für Premiumabos. Komische Textfragmente, die andere Artikel empfehlen. Textmüll, der schräg in die Artikel eingepflegt wird.
Das Konzept der „Aktions-Ordner“ könnte noch einiges Potenzial haben. Aktuell kann ich einen Mastodon-Beitrag veröffentlichen, indem ich eine Mail in einen Ordner schiebe und einen Artikel direkt bei Diigo/Pinboad bookmarken, ebenfalls indem ich ihn in einen anderen Ordner schiebe. Von dort aus wird er dann ebenfalls bei /r/geschichte gepostet. Diese Art der Verbreitung ist wirklich erstaunlich gut und ich überlege gerade, was man damit noch automatisieren könnte.
Python hat sich gewissermaßen als eine „Superpower“ erwiesen. Es ist wirklich großartig, wenn man eine Idee hat und diese relativ unabhängig von bestehender Software umsetzen kann. Das hat sich auch als halbwegs einfach zu lernen erwiesen, von daher kann ich nur empfehlen es einfach zu versuchen. Gerade wenn man ein konkretes Projekt umsetzen möchte, ist es motivierender als alle Trockenschwimmübungen bei Codeacademy & Co. – denn mal ehrlich gesagt, diese gerne etwas mathematischen Übungen sind stinklangweilig.
Ganz hart gesagt: Programmieren hat ja den Ruf, dass dort kluge Köpfe mit viel Gehirnschmalz alles extrem optimieren und irgendwas mit Primzahlen und sonstigen arkanen mathematischem Zeugs machen, was für Normalsterbliche völlig undurchdringbar ist. Moderne Rechner sind aber so leistungsstark, dass es am Ende für solche kleinen Privatprojekte egal ist, ob alles absolut optimiert oder ob der eine Job dann 30 Sekunden länger läuft. Das mag bei zigtausenden Usern gleichzeitig relevant sein, aber im Zweifelsfall funktioniert das kleine Skript auch anders. Daher keine Berührungsängste – bei einer industriellen Warenproduktion ist es auch wichtig, dass alles extrem optimiert ist, aber wenn man sich selbst in der Garage ein Vogelhäuschen zusammenbastelt, ist diese Optimiererei egal. Auch der industrielle Landwirt darf sein Gewächshaus mit den Tomaten extrem optimieren, es beheizen und mit CO₂ begasen, aber am Ende kann man auch im eigenen Garten Tomaten pflanzen und erntet dann trotzdem leckere Früchte. Der Heimwerker bekommt auch ohne Profi-Handwerker einen Nagel in die Wand und vielleicht ist er krumm, aber er hält das Bild.
Grundsätzlich kann ich nur eine klare Empfehlung für mehr Selbstbestimmung im Nachrichtenkonsum geben: Gerade in einer Welt, in der man praktisch nonstop mit schlechten Nachrichten bombardiert wird, vom Radiowecker morgens über zig Pushnachrichten bis hin zur Windows-Taskleiste, dem Infoscreen in der U-Bahn-Haltestelle und dem Geschrei auf Social Media, ist es wichtig, dass man Nachrichten bewusst konsumiert. Klingt jetzt wie eine Binsenweisheit, aber man muss sich nicht alles Leid und den Wahnsinn der großen weiten Welt den ganzen Tag in die Synapsen spülen.
Weiter geht es in der Reihe der Ankündigungen: Es gibt nun auch ein Subreddit für @die_reklame. Wer dort unterwegs ist, darf gerne /r/die_reklame abonnieren und wird auch dort stetig interessante historische Werbeanzeigen finden.
Wer auf Reddit unterwegs ist, darf übrigens auch gerne einen Blick auf /r/geschichte werfen. Mein kleines Geschichts-Subreddit ist mittlerweile nämlich gar nicht mehr so klein, sondern dürfte mit bald 75.000 Abonnenten eines der größten deutschsprachigen Geschichtsforen überhaupt sein.
Veröffentlicht unter@die_reklame|Kommentare deaktiviert für @die_reklame auch auf Reddit
Das Prinzip kennt Ihr von @die_reklame: Über den Tag verteilt veröffentlichen wir mehrere historische Werbeanzeigen. Nur diesmal aus dem englischsprachigen Raum. Wer @die_reklame mag, wird auch @pastvertising mögen.
Als Technik kommt diesmal etwas selbstentwickeltes zum Einsatz – nach den API-Eskapaden der letzten Monate bei Twitter besteht bei mir wenig Motivation auf der Twitter-API aufsetzende Software zu nutzen. Daher habe ich ein Tool geschrieben, das ganz stumpf die Beiträge von der öffentlichen Twitter-Seite ausliest und dann zu Mastodon schiebt. Das sollte stabiler sein als sich mit dem offiziellen Weg herumzuplagen. Wer einen ähnlichen Usecase hat, findet das Skript auf GitHub.
Veröffentlicht unter@die_reklame|Kommentare deaktiviert für Pastvertising jetzt auch bei Mastodon
Wer dort aktiv ist und Interesse daran hat, was Geschichtswissenschaftler, Archäologen und Archivare alles in ihren Blogs veröffentlichen, der darf gerne folgen. Wer nicht auf Mastodon aktiv ist, für den gibt es natürlich die Webseite, den RSS-Feed und den Twitter-Account. Beim Twitter-Account ist noch offen, ob er die wilden Änderungen bei Twitter überleben wird. Ich werde kein Geld zahlen, um dem reichsten Menschen der Welt Content für seine Plattform zu liefern, von daher darf der Twitter-Account vorerst weiter leben, bis Twitter selbst ihn tötet.
Das Erstellen des Accounts und des automatisierten Veröffentlichens war übrigens wirklich einfach: Einfach auf einer passenden Mastodon-Instanz einen Account einrichten, dann mit den Login-Daten bei MastoFeed anmelden und den RSS-Feed eures Blogs dort einfügen. Und schon veröffentlicht der Dienst brav alle neuen Beiträge. Wer also ein Blog, einen Aggregator oder eine andere Seite mit RSS-Feed betreibt, der kann seine Inhalte wirklich schnell und einfach auch zu Mastodon bringen.
Eine andere Möglichkeit wäre es gewesen, dass man das eigene WordPress direkt mit einem ActivityPub-Plugin aufmotzt. Damit wird es dann Teil des Fediverses und man kann direkt aus Mastodon oder anderen Fediverse-Programmen dem WordPress-Blog folgen. Ich habe mich nur für die Lösung RSS plus separater Account entschieden, weil ich mich ehrlich gesagt noch nicht vertieft mit der ActivityPub-Technik auseinandergesetzt habe und das auch keine Technik ist, mit der ich aktuell herumspielen möchte.
Veröffentlicht unterPlanet History|Kommentare deaktiviert für PlanetHistory jetzt auch auf Mastodon
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Egon Erwin Kisch ist immer besonders gut, wenn er mit scharfem und spöttischem Blick bestehende Machtstrukturen in den Blick nimmt. In unserer heutigen Reportage besucht er das Seeamt in Hamburg, welches Schiffsunglücke untersucht.
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Henry Stanleys Suche nach dem verschollenen Dr. Livingstone gehört zu den großen Geschichten des 19. Jahrhunderts und seine Begrüßung „Dr. Livingstone, I presume?“ ist eines der wohl bekanntesten Zitate der Weltgeschichte. Stanley unternahm seine Expedition im Auftrag des New York Herald. Heute habe ich für euch den originalen Bericht Stanleys zum Höhepunkt der Expedition, dem Treffen mit Dr. Livingstone in der Übersetzung von Egon Erwin Kisch. Nach einem strapaziösen Marsch, nach zig Toten in seiner Truppe, nach zahlreichen Entbehrungen und wochenlangem Marsch durch den Dschungel… schreibt er diesen Bericht. Der einfach in sich eine pure Frechheit ist, aber lest selbst.
Tja. Ich hatte gerade meine neu gewonnenen Superkräfte eingesetzt, um das alte, seit einiger Zeit unbenutzte Subreddit von @die_reklame zu reaktivieren und dort wieder regelmäßig Content einzustellen, als aus dem Twitter Musks eine neue, irrsinnige Entscheidung das ganze Projekt in existenzielle Probleme gestürzt hat: Die API soll kostenpflichtig werden.
Wir sitzen natürlich nicht den ganzen Tag vor dem Rechner, um mehrfach am Tag alte Anzeigen zu posten. Das ist mit Hilfe des von Jürgen Hermes entwickelten AutoChirp automatisiert. Wir sammeln das ganze Jahr über Anzeigen in einer Dropbox und stellen dann einmal zu Jahresbeginn die Beiträge ein und dann läuft alles automatisiert durch. Und zwar mit Hilfe der API, welche für genau solche „Bots“ wie unseren Account gedacht ist.
Twitter lebt zu einem gewissen Teil von solchen automatisierten Accounts, da diese perfekt geeignet sind, um Informationen zeitnah und automatisiert zu verbreiten. So gibt es Bots, welche Verspätungen auf einzelnen Bahnlinien posten. Bots, welche Wetterbedingungen posten. Bots, welche Webcambildern eine größere Reichweite geben oder aktuelle Satellitenbilder posten. Bots, die Wikipedia-Edits aus dem Bundestagsnetz beobachten. Bots, welche diese praktisch unlesbaren Threads in lesbare Formate bringen. Und natürlich auch den berühmten Bot, der veröffentlicht, was der reichste Mann der Welt für eine Umweltsau ist, indem er einfach nur zeigt, wie dieser mit seinem Privatjet über den Globus jettet.
All diese Bots haben eins gemeinsam: Ohne API können sie nicht existieren. Sie haben kein Geschäftsmodell. Die Reklame hat kein Geschäftsmodell und will als Hobbyprojekt auch keins haben. Vielleicht könnten wir Firmen anbieten, dass wir ihre Retro-Werbung über den Kanal schicken, aber das würde den gesamten Charakter des Projektes zerstören.
Es ist daher aktuell völlig ausgeschlossen, dass wir für einen API-Zugang bezahlen werden. Denn hier schlägt eine weitere Besonderheit des neuen Twitters zu: Kurzfristigkeit und miserable Kommunikation. Die Zahlungspflicht soll schon nächste Woche kommen. Aktuell wurde aber noch nicht veröffentlicht, was der Spaß denn kosten soll. Es gibt nur einen Tweet von Musks selbst, in dem dieser von 100 Dollar pro Monat spricht – Kommunikation aus der Hölle und definitiv keine Summe, die man in so ein kleines Hobbyprojekt steckt. Vor allem, wenn der Empfänger der 100 Dollar einen so behandelt und quasi erpresst.
Wir wissen aktuell noch nicht, ob AutoChirp selbst einen bezahlten API-Zugang braucht, ob jeder Account, der es benutzt, einen braucht, ob es Ausnahmen für akademische Projekte gibt oder wie viel dies kosten würde. Das ist wirklich Firmenkommunikation, wie man sie nicht betreiben sollte.
Die Reklame lebt auch woanders – auf Instagram und auch der neue Mastodon-Account erfreut sich mit über 2000 Followern mittlerweile einiger Beliebtheit. Hier gibt es aber ein Problem: AutoChirp ist ein Twitter-Tool und Twitter ist hier das Master-System. Die Inhalte von Twitter werden zu Mastodon gecrosspostet und von dort aus rüber zu Reddit. Fällt Twitter, sitzen die anderen Netzwerke auch erstmal auf dem Trockenen.
Gleichzeitig stellt sich mir die Frage, ob Twitter mittlerweile wirklich noch das richtige Medium für geisteswissenschaftliche Inhalte ist. Es ist nicht nur die Rückkehr von Rechtsradikalen, Nazis, ehemaligen US-Präsidenten und sonstigen unangenehmen Gestalten – das alleine würde ja schon ausreichen, um den Hut zu nehmen und zu gehen, wie ich es mit dem privaten Account bereits gemacht habe. Der Account war für nicht eingeloggte Leser in den letzten Monaten „dank“ der harten Twitter-Loginwall praktisch unlesbar. Nach nur wenigen Beiträgen schiebt sich ein Fenster über die Inhalte und fordert zum Anmelden auf. Zusätzlich werden die Inhalte dann durch Werbung, Trending Topics voller diversem Irrsinn und sonstigen Störern flankiert, so dass es für „Twitter-Laien“ höchstwahrscheinlich unmöglich ist, den Account vernünftig zu verfolgen. Gerade der Umstieg auf Mastodon hat mir gezeigt, wie furchtbar Twitter geworden ist – als langjähriger Nutzer sitzt man dort wie der sprichwörtliche Frosch im immer heißer werdenden Kochtopf.
Die Zukunft von PlanetHistory auf Twitter ist völlig offen: Es nutzt aktuell den FreeTier von Buffer, um die Beiträge der geisteswissenschaftlichen Blogs auf Twitter zu posten. Ich gehe mal davon aus, dass Buffer auch jetzt schon aufgrund der Menge an Tweets für die Nutzung der API zahlt und dass der FreeTier vorerst bestehen bleiben wird. Sollte dies nicht der Fall sein oder Buffer aufgrund höherer Kosten den kostenlosen Service einstellen, dann ist der Twitter-Account tot. Ich habe bislang keinen Mastodon-Account eingerichtet, einfach da – ihr habt es gemerkt – gerade die große Motivation zur Seitenpflege fehlt. Ich habe auch eine ganze Weile keine neuen Blogs mehr eingepflegt – wer wie ich jetzt länger nicht mehr beruflich in der Geschichtswissenschaft unterwegs ist, verliert irgendwann den Zugang zur Community und auch die Motivation, jetzt das zwölfte hoffnungsvoll gestartete Doktorandenblog oder Lokalarchiv aufzunehmen, das dann nach drei Beiträgen stirbt. Von daher: Wer mich unterstützen will, darf sich gerne melden.
Update 20.02.: Auch ein paar Wochen weiß man noch nichts genaues. Aktuell funktioniert alles noch.
Veröffentlicht unter@die_reklame, Planet History|Kommentare deaktiviert für Ein kleines Update zu @die_reklame
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Josef Stalin wird der Satz „Ein Toter ist eine Tragödie, eine Millionen Tote sind eine Statistik“ zugeschrieben und so ungerne man es auch zugeben will: Er hat dabei leider Recht. Die großen Zahlen mit den Millionen Toten und die Statistiken zu den Verwundeten und Vermissten schaffen es selten das Grauen eines Krieges begreifbar zu machen. Oder kann von euch jemand die Zahlen aus dem Ukraine-Krieg wirklich begreifen? Sie sind zu abstrakt. Was ist schon der Unterschied zwischen 1.000 und 10.000 und 100.000 Toten? Eine oder zwei Nullen auf dem Papier. Große Zahlen kann man so schwer mit dem Gehirn verstehen.
Die großen Zahlen verdecken auch alles Leid im Kleinen. Die individuelle Trauer und Verzweiflung. Der Geist schützt sich bei großen Zahlen instinktiv auch davor sie wirklich in ihrer Grauenhaftigkeit zu erfassen. In der heutigen Reportage berichtet Hanns Heinz Ewers über einen Mann, der im Nachgang des Ersten Weltkrieges vom Leid anderer profitieren zu versucht. Und gerade das zeigt die menschliche Tragödie, die hinter der amtlichen Statistik „Vermisst im Felde“ steht.
Irgendwann demnächst kommt der Tag, an dem der letzte SS-Scherge das zeitliche segnet und keiner wird es mitbekommen. Aber wie viele leben eigentlich aktuell noch? Eine amtliche Statistik wird darüber nicht geführt und daher können wir nur überschlagen und etwas rechnen.
„ Im Juni 1944 zählte die SS 794.941 Mitglieder. Davon gehörten 264.379 zur Allgemeinen SS. Vor dem Internationalen Gerichtshof in Nürnberg machte Robert Brill, ehemaliger Leiter des „Ergänzungsamtes der Waffen-SS“, am 5. und 6. August 1946 Angaben zur Personalentwicklung der Waffen-SS:Bei Kriegsende war die Waffen-SS noch ca. 550.000 Mann stark; bis Ende Oktober 1944 waren ca. 320.000 Mann gefallen oder schwerstverletzt. […] In der Waffen-SS dienten etwa 400.000 Reichsdeutsche, 300.000 Volksdeutsche und 200.000 Angehörige anderer Völker. […] Im Jahr 1944 wurde die Masse der noch Kriegsverwendungsfähigen aus den Wachmannschaften der Konzentrationslager herausgezogen und für den Wehrdienst freigemacht. Bis dahin wurden die Wachmannschaften aus Notdienstverpflichteten der Allgemeinen SS und des ehemaligen Frontkämpferbundes ‚Kyffhäuser‘ gestellt. 1944 kam noch ein starkes Kontingent aus der Wehrmacht. Es handelte sich meines Wissens zunächst um 10.000 Mann. Später mehr. […] Meines Wissens setzten sich die Wachverbände in den KZs im Jahre 1944 aus 6.000 Notdienstverpflichteten, 7.000 Volksdeutschen, 7.000 Heeresangehörigen und einer Anzahl von Luftwaffenangehörigen zusammen. […]“
– Documents of the Major War Criminals. Vol. XX, S. 371–471
Das setzt uns schonmal eine Obergrenze. Irgendwo zwischen den 550.000 Mitgliedern der Waffen-SS bei Kriegsende und den knapp 800.000 Mitgliedern allgemein Mitte 1944. Die SS hatte aber natürlich gerade gegen Kriegsende enorm hohe Verluste zu verzeichnen und seit Kriegsende sind jetzt auch schon fast 78 Jahre vergangen.
Das führt uns auf eine weitere Spur: Da das Eintrittsalter bei 18 Jahren lag und die Mitgliedschaft auf Männer begrenzt waren, können eigentlich rein formal nur Männer, die im Geburtsjahrgang 1927 bis zum 8. Mai geboren wurden, Mitglied gewesen sein. Ausnahmen, gerade gegen Kriegsende, sind bekannt, betreffen dann aber eher die 17-Jährigen als die 16-Jährigen. Daher macht es teilweise Sinn den gesamten Geburtsjahrgang 1927 zu betrachten. Aber der Geburtsjahrgang 1927 wird 2023 auch schon 96 Jahre alt. Selbst die jüngsten SS-Mitglieder müssten jetzt deutlich, deutlich über der durchschnittlichen Lebenserwartung für Männer liegen.
Wenn wir jetzt ganz unwissenschaftlich und naiv davon ausgehen, dass fast alle ehemaligen SS-Mitglieder in Deutschland wohnen und dabei natürlich ganz Österreich und die ausländischen SS-Hilfstruppen sowie alle SS-Schergen, die sich nach 1945 in Richtung Südamerika abgesetzt haben, ignorieren, dann können wir uns einer weiteren Maximalzahl annähern: Die offizielle Statistik des Statistischen Bundesamtes weist in der „Bevölkerungsfortschreibung auf Grundlage des Zensus 2011“ zum Stichtag 31.12.2021 in Tabelle 2.1 folgendes aus:
In Summe macht dies 57.027 in Deutschland lebende Männer, bei denen die Möglichkeit bestand, dass sie in der SS waren. Das setzt übrigens auch die Obergrenze für ehemalige Wehrmachtssoldaten.
Nun wird es haarig und kaum noch zu bestimmen: Natürlich waren nicht alle Männer dieser Jahrgänge SS-Mitglieder. Von den 57.027 wird der Großteil in der Wehrmacht gekämpft haben. Die 1927 Geborenen machen 34,6 % aus, von denen ein Großteil bei Kriegsende also noch minderjährig war. Durch die Migration nach Deutschland leben hier auch Menschen, die während des Kriegs im Zweifelsfall in der Türkei, der Sowjetunion oder anderen Ländern gewohnt haben und damit eher „SS-unverdächtig“ sind.
Das 18-jährige, fanatisierte Kanonenfutter der Waffen-SS ist jetzt auch nicht der „klassische SS-Mann“. Die damalige Führungsmannschaft dürfte mittlerweile nur noch in homöopathischen Anteilen vorhanden sein: Die Nazis waren zwar alle erstaunlich jung (Adolf Hitler etwa war bei Machtübernahme 1933 erst 43 Jahre alt), aber selbst wer bei Kriegsende 25 Jahre alt war, wäre jetzt 102 Jahre alt.
Es ist seriös nicht weiter zu ergründen, wie groß der Anteil der überlebenden SS-Männer an diesen 57.027 Männern ist. Weiterhin kann man davon ausgehen, dass diverse der über 96-Jährigen in den 12 Monaten seit Ende 2021 verstorben sind. Die Tabelle zeigt deutlich, dass in dieser Altersgruppe jährlich 30-40 % versterben – und gerade gibt es ja zusätzlich noch diese Seuche.
(Die amtliche Statistik bietet übrigens auch einen Einblick in die Zahl der noch in Deutschland lebenden NS-Zeitzeugen. Ende 2021 lebten demnach 8.151.017 Menschen der Geburtsjahrgänge 1944 und früher in Deutschland. Bei Kleinkindern greift natürlich die kindliche Amnesie – man kann jetzt lange diskutieren, ab welchem Alter man seine Umgebung so begreifen kann, dass man als Zeitzeuge wirklich etwas zu berichten hat, aber von den Jahrgängen 1935 und früher waren Ende 2021 immerhin noch 2.124.811 Menschen am Leben.)
Einen anderen Anhaltspunkt bietet uns einer dieser typisch bundesdeutschen Skandale im Umgang mit NS-Verbrechern. Denn wer in der SS mordete, der erwarb Rentenansprüche. Und aufgrund eines Erlasses von Adolf Hitler persönlich gilt dies auch für ausländische Mitglieder der SS. Da die Bundesrepublik unfähig war und ist, Rentenzahlungen für die Mitgliedschaft in der vielleicht verbrecherischsten Vereinigung der Geschichte einzustellen, wird dies in unregelmäßigen Abständen in ausländischen Parlamenten thematisiert. Die letzten Zahlen dazu finde ich 2019 aus Belgien mit 18 Empfängern und den Niederlanden mit 3 Empfängern. Das ist immer noch ein Skandal, aber die Zahlen zeigen deutlich, wie wenig SS-Schergen dort noch am Leben sind. Neuere Zahlen finde ich nicht, es könnte also sein, dass die Bundesrepublik dieses Problem erfolgreich ausgesessen hat.
Es gibt sie aber noch: Die Justiz der Bundesrepublik ist hier viel zu spät aufgewacht – aber aktuell gibt es immerhin ein paar Prozesse gegen hochbetagte NS-Täter und in einem dieser tauchte Mitte 2022 ein 101-jähriges ehemaliges SS-Mitglied auf. Ganz vorbei ist der Spuk also noch nicht – lange wird er aber auch nicht mehr dauern.
Veröffentlicht unterAllgemein|Kommentare deaktiviert für Wie viele SS-Männer leben noch?