Orwells Tagebücher

George Orwell wird viel zu häufig auf seine zwei bekanntesten Bücher reduziert. 1984 und Animal Farm sind großartige Bücher, diese sind allerdings nicht die einzigen lesenswerten Bücher Orwells. Mal Hand auf’s Herz – welche anderen Bücher fallen einem spontan ein außer diesen zwei?
Homage to Catalonia schildert eindrucksvoll seine Erlebnisse als Freiwilliger auf Seite der Republik im Spanischen Bürgerkrieg. Anschaulich zeigt er zum einen die Entbehrungen und die Langeweile an der Front, an der in Orwells Abschnitt einfach fast nichts passiert. Orwell zeigt aber auch die internen Kämpfe innerhalb des antifaschistischen Lagers. Die anarchistische Organisation, der er sich angeschlossen hatte, war auch von den dortigen ideologischen Grabenkämpfen betroffen – Orwell entgeht nur knapp der Verhaftung und kann als von Informationen abgeschnittener Frontkämpfer die Situation nur schwer überblicken. Er muss tagelang auf der Straße leben und sich verstecken bis ihm schließlich die Flucht aus dem Spanien gelingt, das er verteidigen wollte.
Neben den „großen“ Büchern ist auch George Orwells Tätigkeit als Journalist und Essayist sehr produktiv gewesen. Orwell, stets von einem tief sitzenden Gerechtigkeitsgefühl getrieben, analysierte in ihnen mit scharfem Verstand die britische Gesellschaft. Wer sich etwas einlesen will, findet die Essays auf dieser russischen Internetseite einige versammelt.
Eigentlich soll dieser Artikel aber etwas anderes empfehlen: George Orwell war auch ein fleißiger Tagebuchschreiber. Diese Tagebücher gibt es natürlich auch gedruckt, aber viel interessanter ist die Variante von The Orwell Prize. Auf dieser Seite werden die Tagebücher 70 Jahre zeitversetzt als Blog veröffentlicht. Der Leser kann also den RSS-Feed abonnieren und erhällt so alle paar Tage einen Einblick in das, was Orwell damals gerade beschäftigte. Orwells Tagebücher sind manchmal etwas skurill, er hat beispielsweise einmal über Wochen nur festgehalten wie viele Eier seine Hühner gelegt haben. Die Zeit jetzt gerade vor 70 Jahren ist allerdings deutlich spannender – der Zweite Weltkrieg tobte, die Wehrmacht hat Frankreich überrannt und England war massiv bedroht. Orwell analysiert die Lage auf der Insel mit dem leicht zynischen Blick eines desillusionierten Linken und zeichnet damit ein lesenswertes Bild des sich verteidigenden Großbritannien. Fast jeden Tag. Im Feedreader oder im Browser.

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