Goslar und Werla – zwei ehemalige Kaiserpfalzen, zwei Orte, die eng miteinander verknüpft sind und deren Geschichte doch so derartig anders verlief, dass sie als Musterbeispiel für das unterschiedliche Schicksal, das einem Ort wiederfahren kann, gesehen werden können.
Werla war vom 10. Jahrhundert bis 1015 Versammlungsort der sächsischen Stämme, so archaisch der Begriff Stämme hier auch klingt. In einer Welt, in der Herrschaft an Personen gebunden ist und Kommunikation schwierig, benötigte man einfach einen Ort, an dem man sich treffen konnte und Entscheidungen traf. Für die Kaiser war die Pfalz in Werla aber nicht der ideale Ort – er war eben der Versammlungsort der sächsischen Stämme und so kam der Kaiser symbolisch zu ihnen und nicht umgekehrt. Außerdem trafen sich die Mächtigen Sachsens dort zum Teil auch ohne die Anwesenheit des Kaisers – und das zeugt von klaren Bestrebungen den Kaiser der eigenen Macht zu unterwerfen, ihn kleinzuhalten und ihm klare Grenzen zu setzen.
Heinrich II. verlegte daher die Kaiserpfalz nach Goslar und machte so zumindestens symbolisch eine klare Ansage – wer etwas von ihm wollte, mussste zu ihm kommen. (Die reichen Silbervorkommen im Rammelsberg spielten dabei sicherlich auch eine Rolle).
Die Pfalz von Werla blieb natürlich trotzdem bestehen und erlebte zunächste sogar einen wirtschaftlichen Aufschwung. Zyniker behaupten, dass dies daran lag, dass nicht ständig Kaiser mit ihrem großen Gefolge einfielen wie die Heuschrecken und alles wegfutterten. Trotzdem: Ab ca. 1500 verfällt Werla und verschwindet. Verschwinden ist hier wörtlich gemeint: Der Ort gerät nicht nur in Vergessenheit, sondern er verschwindet auch im Erdboden, überwuchert, die Holzgebäude verfallen, die Steine werden woanders verwertet und heute ist die einstige Pfalz nur noch ein Feld. Viel ist nicht mehr erhalten – ein paar Grundmauern der wenigen Steinbauten und selbst die mussten erst von den Archäologen gefunden werden. Ansonsten erkennen nur Experten die Landschaftsmerkmale.
Mittlerweile versucht das Land Niedersachsen hier einen archäologischen Park zu errichten, der die Überreste der Pfalz wieder sichtbar machen und natürlich auch Touristen anlocken soll. Dafür wurden z.B. die Fundamente der ehemaligen Pfalzkapelle wieder aufgemauert.
Das Team der Grabung hat uns über das Gelände geführt, die Grabung erläutert, erklärt, wie man archäologisch an so einen Ort herangeht, das Konzept des archäologischen Parks erläutert und die Probleme erklärt, die schlecht dokumentierte frühere Grabungen bei der Auswertung der Funde verursachen. Kurz gesagt: Ich habe noch nie zuvor auf einem Feld so viel wissenswertes und interessantes gelernt. Für Historiker, die zwar eigentlich genau auf die Archäologie schauen müssten, diese aber auch gerne einfach ignorieren, ist vor allem die Tatsache von Interesse, dass eine Grabung neue Erkenntnisse schafft und damit auch einen Teil der bisherigen historischen Forschung revidieren kann. Werla ist hier das Paradebeispiel – die vorhandene Literatur ist durch die neueren Grabunden praktisch veraltet, dummerweise gibt es noch keine neue.
Goslar ist heute das genaue Gegenteil von Werla. Das Gegenteil eines Feldes ist in Niedersachsen ein boomender Tourismusort, der mit der im 19. Jahrhundert (natürlich nicht originalgetreu) restaurierten Pfalz tausende Schaulustige anlockt und UNESCO-Weltkulturerbe ist. Von den Touristen lebt der streckenweise richtig malerische Ort nicht schlecht.
Das Pfalzgelände an sich hat allerdings nur noch wenig mit dem Mittelalter zu tun. Der Dom ist mittlerweile der Busparkplatz und das Pfalzgebäude wurde im 19. Jahrhundert restauriert und ist vor allem eine Verherrlichung und eine historische Begründung und Legitimierung des 1871 neu entstandenen Kaisertums. Die Pfalz wurde sehr frei aufgebaut und vor ihr reiten Kaiser Friedrich Barbarossa und Kaiser Wilhelm I. (hier mit dem Zusatztitel "der Große" versehen, welcher sich nicht durchsetzen konnte) flankiert von Nachbildungen des Braunschweiger Löwen, dem Symbol Heinrich des Löwens.
Im Innenraum, dem sogenannten Kaisersaal, wird diese Verbindung so dermaßen offensichtlich hergestellt, dass auch wirklich jeder sie bemerken muss. Den Kaisersaal schmückt nämlich ein Gemälde, das den Übergang des alten in das neue Kaisertum darstellen soll. Zu sehen sind diverse Szenen aus dem Mittelalter so wie man sie sich im 19. Jahrhundert vorstellte und glorifizierte: Heldenhafte, mächtige Herrscher begehen sagenumwobene Heldentaten – ein Fantasyroman ist nichts dagegen. Große Männer, die Geschichte machen. Hier sieht man z.B. Friedrich Barbarossa, der aus seinem Schlaf im Kyffhäuser erwacht, um das deutsche Reich zu retten:
Im Zentrum des Raumes errichtet dann Wilhelm I. gefolgt von dem späteren Kurzzeitkaiser Friedrich III. das neue Kaiserreich, flankiert von den großen Heldentaten der "Vorfahren". Viel plakativer geht es eigentlich nicht mehr. Wer Lust hat, kann sich hier in den symbolischen Details ergötzen; besonders verklärend ist natürlich die Verleihung der Kaiserkrone durch den bayrischen König.
Ich habe leider den Bilderzyklus nicht online gefunden (und aufgrund der miesen Lichtverhältnisse dort kaum Fotos gemacht), sonst würde ich noch genauer auf einzelne Episoden oder Bilder eingehen.
Bonusmaterial: Die "Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen" huldigen den Geldgebern der Grabung in Werla auf etwas sehr übertriebene Art und Weise: