Genetischer Unfug

Die BILD-Zeitung hat etwas wildes Ausgegraben – bzw. eher etwas wildes aus anderen Zeitungen und Agenturmeldungen abgeschrieben. Der belgische Journalist Jean-Paul Mulders hat eine DNA-Analyse bei Nachfahren Adolf Hitlers durchgeführt und gar schreckliches festgestellt – der Diktator, dessen rassistisches Weltbild die Reinheit der arischen Rasse verwirklichen wollte, ist gar nicht so arisch! Er ist *keuch* gar mit Juden oder Berbern verwandt! Angeblich besaß Hitler die Haplogruppe E1b1b, die auf dem Y-Chromosom vererbt wird. Diese ist in Deutschland und Westeuropa wenig verbreitet, findet sich aber nach Angaben des Journalisten bei 25% der Griechen und Sizilianer und bei 50-80% der Nordafrikaner, besonders häufig bei Berbern und Somalis sowie bei aschkenasischen Juden.

Daraus lassen sich natürlich unglaubliche Schlagzeilen erstellen und hat ein Thema, das unglaublich viele Klicks erzeugen wird. Die anscheinende Ironie des ganzen ist klar und funktioniert auf den ersten Blick sogar. Die BILD schreibt:

“Der Diktator, der den Massenmord an mehr als sechs Millionen Juden befohlen hat – ein Jude?”

Jetzt kann der Mensch am Frühstückstisch sich richtig herrlich amüsieren – das, was der Hitler gemacht hat, war falsch! Sein Gedankengebäude hätte ja auch bedeutet, dass er sich selbst ausrotten hätte müssen! Irrsinn! Er war nicht nur unglaublich böse, sondern auch noch ein Hochstapler und Heuchler! So einfach ist es natürlich nicht und was hier verbreitet wird, ist mehr als Unfug.

Zum einen ist die Begründung extrem lückenhaft: Selbst wenn Mulder im Erbgut von eher entfernt mit Hitler verwandten Leuten diese Haplogruppe nachweisen kann, bedeutet dies noch lange nicht, dass auch Hitler selbst sie besaß. Zum anderen bedeutet das Vorhandensein dieser Gruppe natürlich nicht, dass es sich um eine “jüdische” oder “nordafrikanische” DNA-Sequenz handelt, sie ist auch bei anderen Gruppierungen vorhanden. “War Hitler Grieche oder Sizilianer?” macht aber keine so guten Schlagzeilen.

Weiterhin sind die Recherchemethoden Mulders moralisch verwerflich. Vorherige Recherchen des Journalisten waren einfach daneben und auch diese Studie basiert auf diesen:

However, Vermeeren, a Belgian customs official, and Mulders a journalist, say three great-grandchildren of Hitler’s father Alois live on Long Island, outside New York, under the false name Stuart-Houston.

They are descendants who left Germany to escape the Nazis.

Louis and Brian Stuart-Houston share a little wooden house in East Patchogue, where they work as gardeners, while Alexander is a retired psychologist who helps veterans of another war – Vietnam.

The Belgians said they watched them for seven days and night, following 60-year-old Alexander to a fast-food restaurant where he disposed of a paper napkin after eating fried chicken which they retrieved and later matched up with ‚DNA of Hitler that we keep in a sealed, armoured chest,‘ according to Mulders.

The cigarette butts came from Hitler relatives in Austria, they said, but did not elaborate on the alleged DNA found on the stamps from France nor how they came into their possession.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – da verfolgen belgische Journalisten in den USA einen 60jährigen Mann, der nichts besonderes getan hat außer entfernt mit Hitler verwandt zu sein und dann klauen sie DNA-Spuren aus dem Müll und weisen darüber nach, dass dieser Mann eben mit Hitler verwandt ist. Und die Meldung wird danach per Presseagentur inkl. der vollen Namen über die ganze Welt verbreitet. Schmieriger kann Journalismus eigentlich gar nicht gehen.

Das große Problem an diesem Unfug ist aber natürlich, dass er das Rassendenken der Nazis nicht nur übernimmt, sondern auch noch mit Hilfe der Gen-Technik auf den modernen Stamm bringt. Jetzt muss man, um wirklich arisch und deutsch zu sein, nicht nur einen Ahnenpass bis in die x-te Generation nachweisen, sondern man muss auch genetisch rein sein. Eine falsche Gensequenz reicht. In der BILD spiegelt sich sogar die falsche Vorstellung, dass Juden eine irgendwie verwandte, nachweisbare Rasse wären und eben keine Religionsgemeinschaft.

Ian Kershaw hat die Recherchen Mulders übrigens schon 2008 in wenigen Worten vernichtend kommentiert:

“Es ist, wie auch immer, schwer zu erkennen, wie dies beitragen könnte zu einem besseren Verständnis der dramatischen Geschichte von Hitlers Aufstieg zur Macht in Deutschland, der Ausweitung seiner Macht über den deutschen Staat und das Volk, sowie der Expansion, des Kriegs, des brutalen Kriegs und des Völkermords, mit denen sein Name für immer unauslöschlich verbunden sein wird.”

Dem kann ich nichts mehr hinzufügen.

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1 Antwort zu Genetischer Unfug

  1. @t4eu @CJahnz @hellojed Dazu passt dieses Kershaw-Zitat einfach zu gut http://t.co/2uyffakUq6

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