Momentan dreht ein Clip die Runde durch das Internet, in dem Science Fiction-Autor Arthur C. Clarke (2001: Odysee im Weltraum) im Jahr 1964 diverse Prognosen für die Zukunft abgibt:
So wie der Clip geschnitten ist, scheint Clarke geradezu perfekt das Internet vorhergesehen zu haben. Globale Vernetzung über Satelliten und Arbeiten von zuhause aus kennen wir. Alles klingt so, als ob Clarke fast hellseherische Fähigkeiten hat – auch wenn sich die Städte noch nicht selbst abgeschafft haben und Millionen Menschen pendeln immer noch zu ihrer Arbeitsstelle. Auch die fantastisch klingenden, transkontinentalen Gehirnoperationen gehören vielleicht nicht zum täglichen Erfahrungshorizont, sind aber erstaunlicherweise bereits seit 9 Jahren möglich. Da Menschen dazu neigen in solche Vorhersagen dann ihr eigenes Leben zu projizieren und finden sich daher dann in Clarkes Vision bestätigt. Außerdem ist Clarkes Einleitung so genial, dass es kein Wunder ist, dass der Clip sich viral im Internet verbreitet:
„Trying to predict the future is a discouraging, hazadrous occupation., because the prophet inev falls between two stools. If his predictions sound at all reasonabe you can be quite sure that in twenty or most fifty years the progress of science and technology has made him seem ridicously conservative. On the other hand if by some miracle a prophet could describe the future exactly as it is going to take place his predictions would sound so absurd, so far fetched that everybody would love him to scorn.
This was true in the past and and it will be true in the century to come. The only thing we can be sure of the future is that it will be absolutly fantastic.“
Wer etwas nachforscht, findet relativ schnell den Ursprung des Clips, eine BBC Sendung von 1964. Die längere Version ist dazu noch viel großartiger als die gekürzte Fassung:
Es fängt schon mit dem irrsinnigen 60er Jahre-Design und Musik an, aber viel faszinierender ist der Aufbau der Sendung. Nach einer kurzen Einleitung, die aus heutiger Sicht merkwürdig ruhig und langsam wirkt, tritt mit Clarke ein etwas steif wirkender Mann mit komisch sitzender Brille vor der Kamera und spricht einfach die restlichen 10-15 Minuten der Sendung einfach, breitet seine Vision der Zukunft aus, macht einen leicht verklemmten Witz über Atombomben und redet einfach. Das ist Fernsehen, wie wir es heute gar nicht mehr zu sehen bekommen. Kein Kameraschwenk stört, nur zwischendurch wird einmal ein Modell einer Zukunftsstadt gezeigt. Ansonsten steht Clark im Studio und erzählt.
Was er erzählt, entlarvt wie geschickt der kürzere Clip geschnitten wurde, denn Clarke holt noch weiter aus und diese Vision der Zukunft klingt im Rückblick doch etwas anders und holt den vermeindlich perfekten Propheten wieder etwas auf den Boden der Tatsachen zurück. Clarke spricht von denkenden Maschinen, die irgendwann den Menschen ablösen, wie der Homo Sapiens den Neandertaler. Er spricht von domestizierten Affen, die als Arbeitsklaven genutzt und die Gewerkschaften gründen werden. Er spricht von Maschinen, die uns Informationen direkt ins Gehirn beamen, so dass jeder Mensch über Nacht zum Experten in einem bestimmten Gebiet werden kann. Schlechte Erinnerungen lassen sich löschen, das Gehirn steht der Manipulation offen. Schwerkranke und intergalaktische Reisende werden einfach eingefroren bis entweder ihre Krankheit zu heilen ist oder sie an ihrem Reiseziel angelangt sind. Menschen leben auf dem Mond und betreiben dort Terraforming. Und zum Schluss werden Star Trek-Fans daran erinnert, dass Gene Roddenberry seine Ideen auch nicht alle selbst erdacht hat: Clarke spricht von einer Maschine, die in der Lage ist, jeden Gegenstand exakt zu duplizieren – dem Replikator.
Das sind Ideen, die uns heute eher wie abgedroschene Science Fiction vorkommen – einfach, weil sie entweder bereits so langsam in unser Leben gekommen oder haben so wenig Effekt, dass man sie kaum wahrnimmt. Delfine beispielsweise werden mittlerweile, wie Clarke es gefordert hat, domestiziert und entweder als Therapietiere benutzt oder von der US-Armee Welt als Minensucher missbraucht. Trotzdem hat im täglichen Leben kaum einer etwas mit ihnen zu tun. Das gilt auch für den Kälteschlaf – es gibt ein paar Verblendete, die sich eingefroren haben, aber ihre Chancen jemals wieder zum Leben erweckt zu werden sind gering – nicht nur, weil die entsprechenden Firmen extrem unseriös sind, sondern weil es sich als wissenschaftlicher Quatsch herausgestellt hat.
Ich finde es extrem spannend, wie sich Menschen früher die Zukunft vorgestellt haben. In der Geschichtswissenschaft wird diese Frage etwas sehr randständig behandelt, aber es ist von großer Bedeutung. Menschen handeln, fühlen, leben anders, wenn sie an eine bessere Zukunft mit Replikatoren, Robotern und Raumschiffen glauben als wenn sie das Gefühl haben, dass alles bergab geht und die Zivilisation entweder kurz vor der nuklearen Katastophe steht oder die bösen Russen schon am Rhein stehen. Wer heute Science Fiction liest, der wird entweder mit düsteren und apokalyptischen Szenarien konfrontiert oder mit einer Flucht in ein idealisiertes Viktorianisches Zeitalter, dem Steampunk. Die Zeitungen sind voller Untergangsszenarien und ich sage, dass wir mehr Replikatoren brauchen. Mehr Raumschiffe. Mehr Roboter. Oder wenigstens Affensklaven. Mit eigener Gewerkschaft.