Eine Münze und die Konstruktion der afrikanischen Vergangenheit

Geschichte und Archäologie sind nicht nur irgenwelche Wissenschaften aus dem Elfenbeinturm. Historiker sind nicht die freundlichen Geschichtenerzähler mit zotteligem Bart und Archäologen buddeln nicht einfach nur Löcher in den Boden und hoffen auf alte Tongefäße. Wir wissen alle, dass Historiker eine wichtige (und z.T. gefährliche) Rolle bei der Konstruktion von Identitäten, Nationen, Rassen und natürlich damit auch von Konflikten, Hass, Kriegen und Gewalt. Es gibt wohl kaum einen Konflikt auf dieser Erde, bei dem es keine historische Dimension gibt. Und da sich grundsätzlich alle Seiten im Recht sehen, ist es natürlich von Vorteil, wenn man beweisen kann, dass der Gegner

1) angefangen hat

2) schon immer furchtbar böse war

3) irgendeine Rechnung noch offen ist.

Und wenn es die Rechnung für die verlorene Schlacht im Sumpftal im Jahre 832 ist, bei der der eigene Lokalpotentat Wigibald der Kahlköpfige von den fiesen (und natürlich ungewaschenen) Schergen der anderen Seite brutal dahingemetzelt wurde. Das bietet den Brandstiftern auch noch Jahrhunderte später einen Anlass, um brandschatzend durch die Dörfer der anderen Seite zu ziehen. Historiker (und Archäologen) mischen da ganz vorne mit.

Moderne Historiker sind sich dieses Problemes durchaus bewusst und versuchen auch dies zu reflektieren und zu vermeiden. Viele. Aber auch nicht alle. Es ist aber immer wieder faszinierend, Leute dabei zu erwischen, wie sie ganz bewusst eine bestimmte Sicht der Vergangenheit konstruieren, die ihnen oder ihrer Gruppe reale Vorteile im Hier und Jetzt bringen soll. Westliche Historiker und Archäologen sind was das betrifft häufig vorsichtiger (oder wissenschaftlicher? verschlagener?), aber die “BBC News Africa” haben vor kurzem einen Artikel veröffentlicht, der das ganze Problem und die verwendeten Mechanismen so anschaulich vor Augen führt, dass es eine wahre Freude ist. Viel anschaulicher kann man die Konstruktion von Vergangenheit nicht mehr darstellen.

Es geht um eine archäologische Ausgrabung in Kenia, die von chinesischen Wissenschaftlern finanziert und geleitet wird. Bei dieser Ausgrabung wurde eine chinesische Münze aus dem Zeitraum zwischen 1403 und 1424 gefunden, also noch aus der Zeit vor den europäischen “Entdeckungen”. Damit sind chinesisch-kenianische Kontakte vor diesen bestätigt. Das verwundert natürlich gar nicht, denn es ist schon länger bekannt, dass im Indischen Ozean fleißig Handel betrieben wurde.

BBC Afrika stellt das ganze in einen aktuellen Kontext. Als Kronzeuge dient hier der kenianische Archäologe Herman Kiriama:

“We’re discovering that the Chinese had a very different approach from the Europeans to East Africa. Because they came with gifts from the emperor, it shows they saw us as equals. It shows that Kenya was already a dynamic trading power with strong links to the outside world long before the Portuguese arrived. A long time ago, the East African coast looked East and not West. And maybe that’s why it also gives politicians a reason to say: ‚Let’s look East‘ because we’ve been looking that way throughout the ages.”

Während sich China also aus geostrategischen Gründen in Afrika engagiert, dort große Ländereien zur Versorgung der eigenen Bevölkerung aufkauft, sich den Zugriff auf die afrikanischen Rohstoffe sichert und zunehmend an Einfluss gewinnt, kann man hier den Versuch beobachten, eine gemeinsame afrikanisch-chinesische Vergangenheit zu konstruieren. Egal, ob diese in der Zwischenzeit in Vergessenheit geriet und egal, dass China nach dem legendären Seefahrer Zeng He die großen Expeditionen eingestellt hat. Die zunehmende Durchdringung des afrikanischen Kontinents kann so historisch begründet werden. “A reason to look East”, wie Herman Kiriama so schön sagt. Irgendwann wird auch er lernen, dass man seine Mythenkonstruktion nicht allzu platt betreiben sollte. Denn so fällt das schon extrem auf.

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