Die Debatte um Einwanderung, den Islam allgemein und Integration insbesondere nimmt momentan geradezu hysterische Züge an und man hat manchmal das Gefühl, dass schlagartig ein ganzes Land einen ganzen Schritt nach recht und in Richtung Intoleranz gemacht hat. Die Debatte schraubt sich in immer wildere Gefilde und irgendwie fragt man sich: Woher kommt eigentlich diese radikale Ablehnung des Islams in breiten Kreisen unserer Bevölkerung? Auf dem Historikertag hat sich eine Sektion zumindestens an einem Teil einer Erklärung versucht: Die Sektion “Ansichts-Sachen. Fremd- und Selbstwahrnehmung des Islams in Bildmedien” stellte die Frage, wie in unseren Medien das Thema Islam bebildert wird.
Als Ausgangspunkt diente dabei die Feststellung der Visual History, dass Bilder eine enorme Wirkung auf die Wirkung eines Textes haben können. Ein und derselbe Text kann auf einen Leser unterschiedlich wirken, je nachdem, wie er bebildert wird. Ein ausgewogener Artikel über die Ölförderung wird unterschiedlich wirken, wenn neben ihm Bilder von ölverschmierten Babyrobben gezeigt werden oder wenn Bilder von fröhlich tankenden Autofahrern angeboten werden. Diese Wirkungen sind schwer zu kontrollieren, da sie häufig bestehende Stereotype aktivieren, die auch unbeabsichtigte Wirkungen entfalten können und die kulturell geprägt sind. So kann z.B. ein Bild einer Muslimin mit Schleier einen Muslim freuen, da sich hier vielleicht eine gewisse Frömmigkeit zeigt, aber gleichzeitig einen rechtsradikalen PI-News-Leser zum schäumen bringen. Dazu kommt, dass Bilder an sich gar nichts erzählen, sondern nur einen Moment einfangen. Ohne den passenden Kontext, Erklärungen und Vor- und Nachgeschichte ist ein Bild nichts wert. Gerade diese Unterschiede machen die Bebilderung eines Themas so kritisch.
Zu Beginn der Sektion sprach Dr. Michael Wobring von der Universität Augsburg. Er hat verschiedene Schulbücher aus Deutschland, Frankreich und Spanien aus verschiedenen Jahren auf ihre Darstellung des Islams untersucht. Schulbücher sind besonders elementare Werke für die Vermittlung von Wissen, da sie zum einen natürlich von zumindestens einer Generation Schülern als Standardwerk benutzt werden müssen. Und häufig ist es dann leider so, dass viele Menschen sich über ihr Schulwissen nicht weiterbilden und ihr Leben lang damit argumentieren und sich damit die Welt strukturieren. Zum anderen werden Schulbücher staatlich geprüft, bevor sie zugelassen werden. Die Darstellung des Islams in einem deutschen Schulbuch ist daher auch die offizielle, staatliche Darstellung dieser Religion.
Wobring hat festgestellt, dass es in den deutschen, französischen und spanischen Schulbüchern eine Art “europäisches Masternarrativ” mit nationalen Varianten gibt. Die Geschichte des Islams wird dabei v.a. als eine Geschichte des Niedergangs erzählt. Nach einer kulturellen Blütezeit im Mittelalter beginnt ein Niedergang, der vom “Kranken Mann am Bosporus” bis zum heutigen islamistischen Terrorismus anhält. Dabei stehen v.a. die Krisen im Vordergrund.
Dabei sind auch Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern festzustellen: Während in Spanien der mittelalterliche Islam als kulturelle Wurzel des Landes dargestellt wird, ist die Wahrnehmung in Frankreich vor allem durch die kolonialen Erfahrungen geprägt während in Deutschland die Einwanderung im Vordergrund steht. Die Kreuzzüge stehen aber in allen Ländern häufig separat neben dem Islam an sich. Dazu kommt ein Unterschied in der zeitlichen Thematisierung – Spanien und Frankreich thematisieren den Islam deutlich früher in Schulbüchern als Deutschland. (Leider war der Vortrag an dieser Stelle etwas schnell, so dass ich die gesamte Statistik nicht aufschreiben konnte. Hier lohnt sich ein Blick in die irgendwann erfolgenden Veröffentlichungen).
Die Bebilderung war laut Wobring in 2/3 der Fälle negativ konnotiert. Gerade in deutschen Schulbüchern tauchen zunehmend mehr Gewaltszenen auf. Die eigentlichen Symbole des Islams wie Moscheen, die Kaaba etc. sind dabei eher unterrepräsentiert. Dazu kommt ein größerer Anteil sogenannter “Burkabilder” und auch eine negative Bildauswahl. So zeigte Wobring zwei Bilder aus deutschen Schulbüchern, die die Religionsausübung von Gastarbeitern zeigen. In einem betete einer auf einem Tisch, was zumindestens eine groteske Wirkung hatte. Der religiöse Hintergrund, der das Berühren des Bodens beim Beten verbietet, wurde in diesem Schulbuch nicht thematisiert (was übrigens auch der Sinn der Gebetsteppiche ist). Ein anderes Bild zeigte Gastarbeiter beim Beten auf der Straße, während im Hintergrund zentral ein Polizeiauto stand. Leider verbietet das Urheberrecht mir, dieses Bild hier zu zeigen, aber es war ein schönes Beispiel dafür, welche bildfremden Assoziationen ein Bild wecken kann.
Typische Bildmotive waren v.a. das Zeigen von Muslimen im Gebet, in genau dem Moment, in dem sie sich verbeugen. Typisch ist dafür eine Perspektive von hinten und von oben. Die Menschen werden dabei als (meist schwarz gekleidete) gleichförmige Masse dargestellt, eine Darstellung, die sofort negative Wirkung entfaltet. Ich habe in den letzten Tagen seit dem Historikertag auch extra in den Medien darauf geachtet und das ist ein wirklich typisches und häufiges Bildmotiv. Dazu kommt häufig eine Gegenüberstellung zum Christentum – in einem Beispiel war ein freundlich winkender Papst gegenüber dieser betenden Masse zu sehen. In einigen Fällen suggerieren die Bilder schon eine Antwort: So war in einem Schulbuch ein differenzierter Artikel mit der Überschrift “Kampf oder Dialog der Kulturen?” mit einem Bild bebildert, in dem radikale Islamisten eine amerikanische Flagge verbrennen. Auf diese Weise werden die Leser bereits vor dem Lesen negativ beeinflusst. Ebenfalls häufig ist erstaunlicherweise die Koppelung von islamischen Frauen und Krankheit sowie die Koppelung Islam – Erdöl (mit dem Tenor, dass das Erdöl die Achillesferse Europas ist). Kritisiert wurde weiterhin, dass die Bildunterschriften häufig selbst minimalen Standards nicht entsprechen (Was? Wann? Wo?), dass häufig bewusst reißerische und emotionale Pressebilder benutzt wurden und dass die Bilder häufig den Texten widersprechen. Außerdem wurde festgestellt, dass die Bilder nicht zwischen dem Islam und dem Islamismus unterscheiden – zur Bebilderung beider wurden ähnliche Bildmotive benutzt, was zu einer Verwischung und Vermischung führt. Dazu fällt natürlich eine extreme Konzentration auf den arabischen Raum auf – die asiatischen Muslime tauchen trotz zahlenmäßiger Überlegenheit praktisch nicht auf.
Im Anschluss sprach Dr. Jutta Schumann (ebenfalls Uni Augsburg) über das Thema „Zwischen spannender Unterhaltung und rationaler Auseinandersetzung? Populär(wissenschaftlich)e Geschichtsmagazine bebildern das Thema Islam". Geo Epoche, Damals, P.M. History, G/Geschichte & Co boomen momentan und werden von einem wachsenden Publikum gelesen. Ihnen kommt in Deutschland eine zentrale Rolle der historischen Wissensvermittlung an der Schnittstelle zwischen Schule und wissenschaftlichen Publikationen zu. Insgesamt gibt es mittlerweile 13 Geschichtsmagazine auf dem Markt und von den untersuchten Magazinen hatten 5% der Titelthemen etwas mit dem Islam zu tun. 5x ging es um die Kreuzzüge, 2x um die Anfänge des Islams, 2x um die Reconquista und 2x um Babylon bzw. den Irak. Fünf dieser Titelbilder waren “aggressiv-aktualisierend”. So wurde z.B. dieses Cover von G/Geschichte stark kritisiert, v.a. wegen der verwendeten Collagetechnik:
Die Faszination Morgenland wird mit zwei Historiengemälden bebildert, die aus dem 19. Jahrhundert stammen und natürlich ebenfalls einen gewissen Schlag in ihrer Islamdarstellung haben. Dazu wurde ein Kämpfer irgendeiner islamistischen Miliz montiert, der eigentlich so nichts mit dem Thema des Heftes zu tun hat. Dies ist gerade bei G/Geschichte und Heften, die die Collagentechnik benutzen häufig zu beobachten. Die Gegenprobe bei anderen Religionen zeigte, dass deren Titelbilder nicht mit aktuellen Konflikten in Verbindung gebracht wurden. Hier wurde (wie übrigens auch bei den Schulbüchern) vor allem eine starke Schieflage zwischen dem differenzierten Heftinhalt und den reißerischen Titelbildern festgestellt.
Nicht nur die Titelbilder, sondern auch die Inhalte im Heft wurden völlig zurecht stark kritisiert. Häufig nutzten die Redakteure Historiengemälde aus dem 19. Jahrhundert und Bilder aus aktuellen Kinofilmen (!). Dabei stammten fast alle Bilder aus Europa, die Darstellung des Islams bleibt also stark eurozentrisch geprägt. Als Bildcodes wurden hier v.a. die Farbe Grün, der Turban, das Krummschwert und das Sitzen auf dem Boden ausgemacht. Aktuellere Bilder benutzen hingegen den Schleier, das Beten etc., also andere Bildcodes als die Historiengemälde des 19. Jahrhunderts.
Im Anschluss sprach Dr. Sabine Schiffer vom Institut für Medienverantwortung über das Thema „Unheimliche Gäste? Visuelle Bedrohungsmetaphorik in deutschen Massenmedien". Dieser Beitrag war für mich der wohl erschreckenste. Frau Schiffer untersuchte die Titelbilder der großen politischen Zeitschriften Deutschlands und die Ergebnisse sind furchtbar. Was dort an Stereotypen und Bedrohungsszenarien abgerufen und produziert wird, geht wirklich auf keine Kuhhaut mehr. Drei Beispiele aus dem Vortrag:
Na, aufgefallen? Abgesehen davon, dass hier mal wieder der Bildcode Grün verwendet wird, impliziert die Frage “Wie gefährlich ist der Islam?” automatisch, dass er gefährlich ist. Derartige Suggestivfragen sind leider recht häufig.
Ebenfalls typisch ist die Vereinnahmung oder Veränderung typisch deutscher Symbole durch Photoshop / den Islam. Dieses Spiegel-Cover ist typisch, aber noch heftiger war die Bildmanipulation der BILD-Zeitung, die auf den Reichstag Minarette gebastelt hatte.
Dieses (leider nur so klein zu findende) Titelbild ist eines der übelsten Vermischungen. Betende Muslime in Mekka (wieder übrigens nur als Masse), dann Selbstmordattentäter, Soldaten, vorne das Bild eines religiösen Rituales der Schiiten, schwarz gekleidete Frauen, Feuer und so weiter. Da werden wirklich alle Stereotype und Vorurteile abgerufen. Und auch hier ist es wieder typisch, dass zwischen Religion und Extremismus nicht unterschieden wird. Wenn der Spiegel über das Thema Christentum die Familie Phleps prominent auf’s Cover packen würde, wäre der Aufschrei sicherlich groß. Dazu kommt häufig die Verkettung von Migration und Islam.
Auch hier wurde übrigens eine starke Diskrepanz zwischen Layout und Textinhalt festgestellt: Die Texte sind häufig ausgewogen und differenzieren, während die Bilder und v.a. die Titelbilder extrem reißerisch sind. In der Diskussion wurde dies v.a. auf die Marketingabteilungen der Verlage geschoben, da diese anscheinend der Meinung sind, dass derartig reißerische Titel den Verkauf der Zeitschrift ankurbeln. Hier ist der kommerzielle Druck am Kiosk nicht zu unterschätzen.
Im Anschluss sprach Dr. Christoph Hamann vom Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg über „Global icons. Der Holocaust als visueller Referenzrahmen im Nahost-Konflikt”. Zu diesem Thema hat eigentlich Tony Judt schon alles gesagt:
“Wenn Israels beste Verteidigung Auschwitz ist, dann braucht man nur noch zu sagen, es habe den Holocaust nie gegeben…”
Neben der Holocaustleugnung gibt es noch die Tendenz, Israel selbst einen Holocaust und Völkermord vorzuwerfen. Man braucht nur mal nach “KZ Gaza” googlen, um gar garstige Webseiten zu finden. Dazu kommt natürlich auch noch die bewusste Benutzung von Holocaustikonographie z.B. in Karikaturen.
Das Fazit dieser Sektion ist wirklich erschreckend: Die Bilder, die in Schulbüchern, populären Zeitschriften und Massenmedien zum Islam auftauchen, haben häufig eine absolut negative Komponente und drehen sogar die Texte um. Betrachtet man die aktuelle Debatte aus dieser Perspektive, ist es eigentlich kein Wunder, dass die Emotionen so hoch kochen – Massenmedien, Schulbücher & Co (das Fernsehen wurde nicht untersucht, spielt aber sicherlich eine große Rolle) haben bereits seit langem ein negatives und reißerisches Bild des Islams erzeugt und diese erzeugten Ressentiments äußern sich jetzt in akuter Fremdenfeindlichkeit. Umso wichtiger ist es, einfach mal aktiv und bewusst auf die Bilder zu achten, die in Beiträgen zum Islam gezeigt werden. Macht einfach mal das Experiment und ihr werdet überrascht sein.
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Not just with words but also with images, check @mschfr or C.Buch from 2010’s Historikertag:
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