Linktipp: Das Kriegstagebuch des Dieter Finzen

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Ich bin bekanntlich ein großer Fan von zeitversetzt gebloggten historischen Tagebüchern – das Blogformat bietet sich ideal für die Wiedergabe von Tagebüchern an und durch die RSS-Technik landet (fast) jeden Tag ein Stückchen und ein Einblick aus einer vergangenen Epoche im eigenen Feedreader. Das Tolle an Tagebüchern ist nämlich nicht nur die jeweils sehr individuelle Sichtweise der Autoren, sondern vor allem, dass den historischen Akteuren selbst der Ausgang des Geschehens unbekannt ist. Historiker schreiben ihre Werke in Kenntnis des Ausganges. Ich habe vor einer ganzen Weile über George Orwells ebenfalls zeitversetzt gebloggte Tagebücher geschrieben: Die Webseite ist momentan im März 1940 und damit zu einem Zeitpunkt, an dem der Ausgang des Zweiten Weltkrieges mehr als ungewiss war. Wenn man den Ausgang kennt, ist es unglaublich schwierig, die Offenheit der Situation zu würdigen. Tagebücher können das, eben weil den Autoren der Ausgang unbekannt ist.

Neben Orwells Tagebüchern verfolge ich momentan das Tagebuch von Dieter Finzen. Er war Soldat im Ersten Weltkrieg und seine Tagebücher werden gerade um 93 Jahre zeitversetzt mit Zusatzinformationen versehen gebloggt. Finzen erlebt im Krieg nicht nur einiges, sondern beobachtet die Situation auch detailliert. So beschreibt er im heutigen Eintrag den Eindruck, den er im März 1918 von den ehemaligen Schlachtfeldern an der Somme gewann:

Wir sind jetzt mitten im eigentlichen Somme-Gebiet, in der Wüste im wahrsten sinne des Wortes. Von Ortschaften ist weit und breit nichts zu sehen. Ein Schild mit der Namensaufschrift bezeichnet jedoch das Dorf, das einstmal hier gestanden hat. Nicht einmal übrig gebliebene Ruinen erinnern an die einstigen Dörfer. So furchtbar hat hier 1916 die Somme-Schlacht getobt. Granatlöcher von verschiedener Tiefe, alle mit Gras überwachsen, reihen sich an Granatlöcher. Man sieht keinen Baum, keinen Strauch; alles Leben ist weggemäht. Eine öde Mondlandschaft ist zurückgeblieben. In welcher Zeit wird Menschenhand wiederaufbauen können, was hier vernichtet worden ist? Ihr armen Menschen, die ihr damals als Evakuierte eure Wohnplätze habt verlassen müssen und jetzt vielleicht irgendwo in Belgien weit hinter der Etappe sitzt, ihr werdet nicht einmal den Platz wiederfinden, an dem euer Dorf gestanden hat, viel weniger den Grund und Boden eures Hauses. Ganze Straßen sind verschwunden. Verstreut im Gelände sieht man nur häufig, ja sehr häufig kleine Holzkreuze, die damals von den Franzosen gesetzt wurden. Alle sind ohne Namen. Als Aufschrift liest man „Un soldat allemand“ oder „Un soldat francais“, oder auch sehr oft „Ici repose un brave soldat fraincais tombé pour sa patrie“. Viele englische Gräber zeigen die Aufschrift „Un soldat anglais“.
Die französischen Kreuze sind von den französischen Nationalfarben umgeben, die englischen Kreuze tragen die Zier englischer Farben. Die deutschen Kreuze sind ohne jeden Schmuck. Eine große Anzahl der Grabkreuzen ist abgerissen; viele wurden von den Granaten hinweggemäht. Die Somme-Wüste ist ein einziges Massengrab für Tausende von deutschen und feindlichen Soldaten.

Wer also das Ende des Krieges “live” mitverfolgen will, kann dies unter http://dieter-finzen.blogspot.com tun und das Blog in den eigenen Feedreader packen.

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