Napoleon und Europa – Traum und Trauma

„Am Anfang war Napoleon“ schrieb Thomas Nipperdey zu Beginn seiner Geschichte des 19. Jahrhunderts und er hat Recht: Ohne Napoleon wäre die Geschichte Europas wohl anders verlaufen. Die Bundeskunsthalle in Bonn zeigt momentan die vielbesprochene Ausstellung „Napoleon und Europa – Traum und Trauma“, in der versucht wird, die verschiedenen Napoleonbilder unter einen Hut zu bekommen und zusammenzubringen. Diese schwanken zwischen Verehrung als Vollender der Französischen Revolution, als Modernisierer und Lichtgestalt, welche ein neues, gerechteres Recht einführte, Straßen und Telegraphen baute und Europa aus dem Feudalismus führte und einen vorbildlichen, modernen Staat auf republikanischen Werten gründete.
Auf der anderen Seite stehen die Kritiker, welche völlig zurecht auf die Millionen Toten verweisen, welche die napoleonischen Kriege kosteten. Eine ganze Generation junger Männer kämpfte für gegen und mit dem Korsen, viele kehrten nicht oder schwer verwundet in ihre Heimat zurück. Napoleon eroberte halb Europa und ist wohl gerade deshalb immer noch so umstritten. Nicht wenige Staaten ziehen einen wichtigen Teil ihrer Nationalmythen aus dem erfolgreichen oder erfolglosen Widerstand gegen die Franzosen – sei es die Schlacht von Trafalger, der Kampf des Andreas Hofers oder der Brand Moskaus. In Deutschland wurden diese nationalistischen Mythen durch den Nationalsozialismus verdrängt, aber ein kleiner Funke ist immer noch in den Geschichten um Schiller, Jena und Auersted, die Volkerschlacht, Waterloo oder Blücher vorhanden.
Aber wie bekommt man diese Diskrepanzen zusammen? Geht das überhaupt? Die Ausstellungsmacher haben sich für ein breites Panorama entschieden, welches eben den Traum und das Trauma der napoleonischen Zeit nebeneinander stellt ohne den Besucher mit einer vorgesehen Antwort zu entlassen. Vorbildlich ist dies im Eingangsbereich gelungen. Neben mehreren Büßten Bonapartes steht eine von einer Kanonenkugel zerfetzte Rüstung und Beethovens Entwurf für eine Symphonie, die er zuerst Napoleon widmen wollte, dann aber dessen Namen so heftig ausradierte, dass das Papier riss. Ebenso eindrucksvoll ist die Darstellung der Kriege, in der die heroischen, propagandistischen Schlachtgemälde langsam nüchterneren und schließlich Bildern weichen, welche den Schrecken des Krieges zeigen, gefolgt von Amputationsbesteck, einem Bild eines jüngst gefundenen Massengrabes und den gruseligen „Waterloo-Zähnen“. Nach der Schlacht strömten Plünderer auf das Schlachtfeld, zogen den Gefallenen die Zähne und bastelten aus ihnen Zahnprotesen. In wenigen Metern wird so der Bogen vom ruhmreichen Feldherren Napoleon zur brutalen Wirklichkeit der Schlachten gezogen.

image
Der Einzug der Verwunderten in Paris. Hier leider nur sehr klein, aber die Blicke der Umstehenden zeigen die Fassungslosigkeit angesichts des Leides.

Diese Gegenüberstellung findet sich auch in anderen Bereichen. Zeitgenössische Propaganda neben zeitgenössischem Spott und Karikaturen. Kunstraub in großem Stil neben Fortschritt in Gesetzgebung, Wissenschaft und Verwaltung. Das funktioniert sehr gut und bietet den nötigen Gegenpol zu der massiven Napoleonglorifizierung vieler Exponate. Der Korse war auch ein Meister der Public Relations, der Propaganda und der Selbstdarstellung. Bilder, Büsten, Lieder, Bücher, alles wurde eingesetzt und wirkt bis heute fort.
Es ist nämlich ein Erlebnis, die altbekannten Napoleonbilder in diesem Kontext einmal in voller Größe zu sehen. Was sonst klein unten rechts im Schulbuch oder verpixelt auf diversen Webseiten auftaucht, entfaltet im Original erst seine volle Wirkung, neue, noch nie beachtete Details springen ins Auge und statt dem flüchtigen Blick gerät das sorgfältig geplante Image Napoleons in den Blick. Nehmen wir eines der drei bekanntesten Napoleonbilder, das Reiterbild, welches ihn bei der Überquerung der Alpen zeigt. Die vielen Details im Ausdruck oder in der Kleidung sind das eine, völlig überrascht hat mich aber, dass er in den Schriftzügen unten in eine Linie mit Hannibal und Karl dem Großen gestellt wird – das ist mir vorher nicht aufgefallen.
image
Die Ausstellung ist die erste, die den Versuch macht, dieses Ambivalente zu erforschen. Und gerade daher ist sie sehr sehenswert.

Dieser Beitrag wurde unter Ausstellungen abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.