Ein Begriff, der unter den Atomkraftgegnern in den 70er und 80er Jahren verbreitet war, ist der “Atomstaat”, in dem sich das Misstrauen der Anti-Atombewegung gegenüber dem Staat manifestiert. Nur mit gewaltiger Repression und mit massivem Polizeiaufgeboten sei es der Bundesrepublik möglich, Atomkraft einzusetzen. Die Erfahrungen mit der sehr martialisch auftretenden Polizei während der Proteste und die massiven Sicherheitsvorkehrungen an den Baustellen und AKWs taten ein übriges: Der Begriff impliziert auch ein Abdriften der Bundesrepublik in einen neuen Faschismus – die Atomkraft benötige wegen ihrer immensen Sicherheitsrisken einen nicht akzeptablen Sicherheitsapparat. Jedes Atomkraftwerk sei eine kleine Bombe, die ständigen Transporte atomarer Stoffe müssten mit einem Großaufgebot beschützt werden, die Arbeiter in den Kraftwerken müssten funktionieren wie Maschinen, damit keine menschlichen Fehler zu Katastrophen unvorstellbaren Ausmaßes führen.
Geprägt hat diesen Begriff der Zukunftsforscher Robert Jungk 1977 in seinem wütenden Werk “Der Atomstaat”. Wie eng allerdings die befürchtete Anlehnung des Atomstaates an den Nationalsozialismus war, hat mich selbst überrascht: In einem lesenswerten Artikel der ZEIT über die Vordenker der Anti-Atombewegung wird beschrieben, wie Jungk auf diesen Begriff kam:
»Zum ersten Mal«, sagte Robert Jungk, »habe ich es in Brokdorf benutzt.« Es war im Herbst 1976, auf der großen Demonstration gegen die ersten Spatenstiche für das Atomkraftwerk an der Elbe. »Ich wusste noch nicht, was ich sagen würde, und ging ein paar Schritte zur Seite, sah den Zaun, sah die Polizei mit ihren Helmen und Stöcken und Hunden.« Da sei ihm Eugen Kogon eingefallen, der linkskatholische Publizist, KZ-Häftling, Verfasser des SS-Staates, und »auf der Tribüne sprach ich dann zum ersten Mal vom ›Atomstaat‹. Es war eine spontane Eingebung.«