Eine wissenschaftliche Reputation aufzubauen ist schwer. Eine wissenschaftliche Reputation selbst zu zerstören ist hingegen extrem einfach. Das fröhliche Guttenbergen ist gerade zwar sehr beliebt, aber eine doch viel unterhaltsamere Variante zeigen zwei Wissenschaftler, welche das WikiWatch-Projekt an der Europa Universität Viadrina im fernen Frankfurt/Oder betreiben. Dieses Projekt hat eigentlich einen durchaus sinnvollen Zweck: Zum einen stellt es eine Technik bereit, mit der die Zuverlässigkeit von Artikeln automatisch anhand von Autorenzahl, Quellenbelegen, Zahl der Bearbeitungen und der Verlinkung innerhalb der Wikipedia bewertet wird.* Und zum anderen soll die Wikipedia mit wissenschaftlichen Methoden untersucht werden:
Wer eigentlich bestimmt, was wir in Wikipedia nachschlagen können? Wo tobt ein Edit War? Wer sind / was machen die knapp 299 Administratoren? Welche Artikel sind gesperrt? Wo wehren sich Betroffene – zu oft vergeblich – gegen falsche Darstellungen? Wie kann man sich gegen falsche Darstellungen oder Verleumdungen in Wikipedia wehren?
Und wie kann man sein Fachwissen einbringen, ohne von Alteingesessenen weggebissen zu werden? Zu allen diesen Fragen will dieses interdisziplinäre Projekt Antworten suchen und öffentlich verfügbar machen. Wir wollen dazu beitragen, die faszinierende Wissens-Resource Wikipedia transparenter zu machen.
Im Prinzip ist das ein lobenswertes Anliegen. Es ist aber auch klar, dass ein derartiges Projekt einiges an Vertrauen, Transparenz und Neutralität benötigt. Der Wissenschaftler muss aus wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit möglichst neutral bleiben und seine Untersuchungs- und Bewertungskriterien offenlegen und zur Diskussion stellen. Blöd, wenn man sich dann beim massiven Manipulieren von Artikeln erwischen lässt. Noch blöder, wenn die Wikipedia-Community dann anfängt, das Projekt und die Beteiligten zu hinterfragen und dabei einiges an Merkwürdigkeiten zutage fördert. Blöd, wenn man beispielsweise in Vereinen aktiv ist, die Homosexualität therapieren wollen und eher der evangelikalen Ecke angehören. Auch blöd, wenn man auch in anderen Wikis völlig zurecht rausfliegt und daraufhin beleidigt reagiert wie der durchschnittliche Bewohner des Heise-Forums.
Plötzlich steht man dann mit heruntergelassenen Hosen da und kann sein schönes Projekt eigentlich gleich einstellen. Den Historiker, der fleißig im Archiv Akten schreddert, nimmt auch keiner mehr für voll. Den Mediziner, dessen Patienten reihenweise sterben auch nicht. Und den Juristen mit den fehlenden Fußnoten auch nicht. Genauso wie Wikipedia-Forscher, die auf eine so plumpe Weise in ihrem Untersuchungsobjekt manipulieren.
Zum Schluss noch etwas richtige Wikipedistik: Die Wikimedia Foundation hat eine erste Auswertung der letztens durchgeführten Nutzerbefragung veröffentlicht. Genauere Statistiken sollen noch folgen, aber der erste Eindruck bestätigt das, was wir eigentlich schon wussten: Der typische Autor ist männlich, irgendwas zwischen jugendlich und über 40 Jahre alt, sitzt durchaus längere Zeit am Rechner, hat keine Kinder (welche ihn auch vom Rechner zerren würden ;) ), recht gebildet und hat häufig Zeit übrig.
*Diese Technik wurde übrigens nicht selbst entwickelt, sondern basiert auf Wikitrust der University of California, die Eigenleistung der Frankfurter dürfte in der Installation auf dem Server liegen.
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