Was ist seit meinem Artikel vom 3. Juli zur Affäre um das Frankfurter WikiWatch-Projekt passiert? Wir erinnern uns: Es geht um Vorwürfe, dass Mitarbeiter des an der Uni Frankfurt/Oder angesiedelten Projektes Wiki-Watch gezielt im Auftrag der Pharmaindustrie Artikel zu Diabetesmedikamenten in der Wikipedia manipuliert haben. Die FAZ veröffentlichte einen Artikel dazu, welcher schnell aufgrund rechtlicher Schritte wieder offline genommen werden musste. Sie hat ihn mittlerweile aber etwas überarbeitet wieder online gestellt. Wer also wissen will, was die ganze Kontroverse so hochgeschaukelt hat, darf ihn hier nachlesen. Leider kennzeichnet sie nicht, was in der “überarbeiteten Fassung” genau überarbeitet wurde. Außerdem führte sie ein Interview mit dem anonymen Wikipedia-Mitarbeiter, der sich die Mühe machte, allen Edits von Stock nachzuforschen und sie in einem Dossier zusammenzufassen.
Ebenfalls berichtet der Spiegel in der heutigen Ausgabe in einem längeren Artikel, der leider noch nicht jetzt auch online verfügbar ist, über die Affäre. Der Artikel beleuchtet klarer als der FAZ-Artikel die Hintergründe der Edits: Der Pharmakonzern Sanofi-Aventis erwirtschaftet einen größeren Teil seines Umsatzes mit sogenannten Analoginsulinen. Genau dieses wichtige Produkt steht aber laut einer Studie des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Verdacht, Krebs zu verursachen fördern. Stock hat nicht nur die Artikel zu Sanofi-Aventis, sondern auch zum IQWiG und dessen Leiter Peter Sawicki editiert. Er fügte hier jeweils längere Blöcke mit heftiger Kritik ein. Die weiteren Vorwürfe kann man wie gesagt im entsprechenden PDF nachlesen, welches der Spiegel erstaunlicherweise sogar im gedruckten Artikel verlinkt.
Ebenfalls interessant ist der Twitter-Account @LobbyistenWatch, der mit Screenshots auf Twitpic Aussagen und Verbindungen von Stock auseinandernimmt. (Der Wert einer eidesstattlichen Versicherung / Neue Sprachregelung / Lobbyisten auf Facebook / Lobbyisten 2) Weitere Enthüllungen und Nachforschungen gibt es dort. Interessant ist aber die Art und Weise der Auseinandersetzung, die zeigt, was man mit einem Twitter-Account und Google alles recherchieren kann. Ohne das Internet wäre das so nicht möglich und gerade deshalb liebe ich das Internet so.
Nach längerem Schweigen, das nur von Drohungen mit juristischen Schritten unterbrochen wurde, reagierte auch endlich Wiki-Watch selbst und nimmt im eigenen Blog Stellung zu den Vorwürfen:
“Die FAZ insinuiert einen Manipulationsverdacht zwischen einigen wenigen Edits (insbesondere im Artikel „Insulin glargin“) im April / Anfang Mai 2009 (!) und der Bewertung in Wiki-Watch (heute). Dazu ist zu sagen: Der Verdacht ist absurd und haltlos, ebenso wie die anderen Verdächtigungen des freien Autoren und Unternehmensberaters Wittkewitz.”
Daraufhin folgt eine Erklärung der für die automatische Prüfung der Wikipedia-Artikel verwendeten Technik. Stock & Co gehen also nicht auf die viel schwereren Vorwürfe ein, dass sie im Auftrag eines Pharmaunternehmens gezielt Artikel manipuliert hätten und baut eine andere Verteidigungslinie auf, indem sie implizieren, dass die FAZ das Prinzip von Wiki-Watch einfach falsch verstanden hätte und daher auch alle anderen Vorwürfe haltlos seien. Außerdem greift man den Autoren des FAZ-Artikels, Jörg Wittkewitz, an und versucht seine persönliche Motivation zu hinterfragen (siehe Verlinkung im Zitat).
Es bleibt also spannend und ich bin gespannt, wie es weiter geht. Es kann aber auch gut sein, dass Stock persönliche Konsequenzen befürchten muss. Der Spiegel schreibt:
Seine Arbeitsstelle Wiki-Watch ist angesiedelt am Lehrstuhl für Öffentliches Recht bei Prof. Dr. Wolff Heintschel von Heinegg. Der Jurist erklärt, dass Stock eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt habe, seit der Ansiedlung von Wiki-Watch an der Uni keine Wikipedia-Artikel mehr bearbeitet zu haben. Dennoch ärgert von Heinegg der ganze Vorgang. „Ich bin bisher immer von der Integrität unserer Dozenten ausgegangen.“ Sollten sich die Vorwürfe gegen Stock aber bewahrheiten, „dann müssen wir in letzter Konsequenz das Ganze einstampfen“
Die eidesstattliche Versicherung hat @LobbyistenWatch bereits widerlegt.
Update: Und kaum blogge ich diesen Artikel, legt Jörg Wittkewitz in der FAZ nach.
Update 2: Der Spiegel-Artikel ist jetzt auch online zu finden.
Im Sinne der Korrektheit:
„Genau dieses wichtige Produkt steht aber laut einer Studie des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Verdacht, Krebs zu verursachen. “
– Was die Studiensituation angeht, so geht das seit Jahren hin- und her. Seit der IQWIG-Veröffentlichung ist viel darüber geschrieben und diskutiert worden. Allerdings sind zwei Jahre vergangen. Ein „zu denen Veröffentlichungen über eine mögliche Erhöhung des Krebsrisikos vorliegen“ ist sicher differenzierter und bezieht sich nicht nur auf die IQWIG-Arbeit.
– „verursachen“ ist so nicht richtig, eher „fördern“ (s.o.).
Grüße!
Danke für den Hinweis, ich hab das Wort geändert.
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