Während der Londoner Unruhen der letzten Tage schwirrte plötzlich ein interessanter Tweet durch meine Timeline:
Die daraus entstandene Diskussion war interessant und zeigte, dass die Staaten, welche Kolonien besaßen, noch einige Leichen im Keller haben. Den Begriff Leichen kann man hier durchaus wörtlich nehmen: So kommt kaum ein Museum ohne Mumiensammlung aus und nicht nur im Keller der Freiburger Universität liegen haufenweise Schädel aus der Kolonialzeit, sondern im Prinzip sind z.B. alle völkerkundlichen Sammlungen auf eher unethische Art und Weise erworben worden.
Mittlerweile gibt es eine breite Bewegung von Ländern, Gruppen und Einzelpersonen, welche bestimmte Kulturgegenstände restituieren wollen: Ägypten fordert energisch die Büste der Nofretete aus dem Berliner Neuen Museum zurück, Griechenland will den Parthenonfries aus dem British Museum haben (und hat sich schon extra ein Museum dafür gebaut) und die Türkei hat es letztens erreicht, dass die Sphinx von Hattuscha zurückgegeben wird – und musste dafür sogar mit dem Entzug von Grabungsgenehmigungen für das DAI drohen.
Doch die Forderungen gehen noch weiter: Die Entschädigungen und Wiedergutmachungen, welche Deutschland an Opfer des Nationalsozialismus gezahlt hat, haben einen juristischen Präzedenzfall geschaffen. So sind auch die Herero und Nama mit Entschädigungsforderungen an die Bundesregierung herangetreten, beißen damit aber (noch?) auf Granit. Aber auch in anderen Ländern regt sich jetzt der Gedanke, dass die Kolonialmächte etwas wiedergutmachen müssen: So berichtet der EastAfrican von Vertretern des ehemaligen Bunyoro-Kitara Königreiches in Kenia, welche den britischen Staat und Queen Elisabeth II höchstpersönlich verklagen, um Entschädigungen für während der Kolonialzeit erlittenes Unrecht zu bekommen.
“At all material times the says the suit plaintiffs’ forefathers, and through succession, the plaintiffs themselves, were customary owners of the land comprised in what is today known as Kibaale District (the suit land), which they used for settlement, cultivation, grazing, wood harvest, herbal medicines, and as hunting, burial, religious and other cultural performances, among others.
“Between 1893 and 1900 the British, using their armed forces and collaborating with the forces of the Kingdom of Buganda, invaded or trespassed, plundered, pillaged, looted, destroyed, devastated the suit land and killed the forefathers of the plaintiffs in their hundreds of thousands.
“Well documented accounts of the above stated evils from the diaries of the Field Commanders of the British who orchestrated the above stated trespass and human rights abuses; and other scholarly accounts; indicate that upwards of 300,000 inhabitants of the suit land were either killed or not accounted for and properties worth over £1.5 billion were looted, converted, lost or destroyed in the suit land.”
Mr Krispus Ayena, of Ayena-Odongo and Co, Advocates said: “The suit in London will be about the role of the British in the human rights abuses such as loss of life and properties, violation of the culture of the Banyoro and the resultant damages suffered.”
Und was soll man sagen? Kolonialverbrechen sind nicht immer – wie bei dem Hereroaufstand oder hier geschildert – immer 100 Jahre alt, sondern die Zeit der Kolonialkriege ist noch gar nicht so lange her. Erst letztes Jahr haben wir an 50 Jahre afrikanische Unabhängigkeit gedacht – mit einem eher wehmütigen Tonfall, denn auch das Ende des Kolonialismus hat Afrika keine Freiheit gebracht, sondern vor allem Bürgerkrieg, Diktatur, Not und Staatsversagen, an dem die Kolonialmächte nicht unschuldig waren. Die verantwortlichen Personen leben z.T. noch oder sind wie Queen Elisabeth II sogar noch an der Macht. Das Argument, dass diese Verbrechen ja bereits lange verjährt seien, zieht hier nicht – und die Entschädigungen für Holocaustopfer haben gezeigt, dass entsprechende Forderungen auch nach 60 oder 70 Jahren noch durchsetzbar sind. Die Kolonialmächte werden sich also warm anziehen müssen, denn ich bin mir sicher, dass dies nicht die letzte Forderung sein wird.