Zwei Bücher über Wikileaks

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Na, erinnert sich noch jemand an Wikileaks? Diese Internetplattform um den charismatischen und mysteriösen Assange, welche mit der Veröffentlichung von tausenden streng geheimen US-Botschaftsdepeschen ein Erdbeben auslöste? Um den riesigen Skandal, als Assange auf dem Höhepunkt der der Affäre in Schweden der Vergewaltigung beschuldigt wurde und sich nach London absetzte, wo er bis jetzt unter Hausarrest steht und gegen seine Auslieferung kämpft? Wer erinnert sich noch an die internen Kämpfe in der Organisation, die zwischendurch handlungsunfähig war und von allen Banken und Zahlungsdienstleistern blockiert wurde? Die Enthüllungen des bisherigen Vizes Daniel Domscheidt-Berg, die Schlammschlachten, die juristischen Winkelzüge und viele interessante Veröffentlichungen? Es ist erstaunlich still geworden um Wikileaks, dabei werden fast täglich immer neue Depeschen veröffentlicht und neue Informationen über die US-Politik gelangen ans Licht der Öffentlichkeit.

Gleichzeitig stellt sich auch die Frage nach der Motivation dieses so seltsam androgynen, blonden Mannes, der einerseits fast schüchtern wirkt, andererseits aber sehr meinungsstark seine Thesen von völliger Transparenz staatlichen Handelns vertritt. Wer ist dieser geheimnisvolle Mensch? Es gibt zwei Bücher, die etwas Licht in die Motivationen Assanges bringen können: Das eine ist Susanne Dreyfus “Underground”, ein älteres, jetzt aber auch auf Deutsch erschienenes Buch über die frühe australische Hackerszene. Das andere, John Brunners “Schockwellenreiter”, ist ein Science Fiction-Roman aus dem Jahr 1975 dessen Plot so dermaßen an Wikileaks erinnert, dass man das Gefühl bekommt, dass Assange gerade diesen Roman nachstellt.

Fangen wir mit Underground an: Susanne Dreyfus beschreibt anschaulich und wirklich spannend die Geschichte der frühen Hackerbewegung in Australien, welche zu den größten weltweit gehörte. Anfang der Achtziger Jahre ist die Technik da: Vergleichsweise billige Heimcomputer ermöglichten es auch Jugendlichen, ihre ersten Erfahrungen mit Computern zu machen und Modems ermöglichten es den Pionieren zum ersten Mal, ihre Rechner mit anderen zu vernetzen, sich in Großrechenanlagen einzuwählen und von dort Informationen abzurufen. Wir haben uns daran mittlerweile gewöhnt, aber die Faszination, plötzlich mit Menschen aus aller Welt kommunizieren zu können und Daten von fremden Rechnern auf der ganzen Welt abzurufen, war etwas ganz besonderes. Eine völlig neue Welt. Die jungen Menschen fingen an, die Möglichkeiten der neuen Technik auszukundschaften und wurden so fast zwangsläufig zu Hackern: Der Weg ins weltweite Datennetz führte über die Großrechner von Firmen und Universitäten, auf denen sie keine Accounts bekommen konnten. Also wurden Schwachstellen gesucht, Rechner gekapert und der Zugriff illegal hergestellt. Dabei half natürlich, dass die Rechneranlagen damals noch recht primitiv gesichert waren.

Schnell wurde das Spiel zum Ernst: Sei es, dass Systemadministratoren, die Telefongesellschaft oder die Polizei den Hackern auf die Schliche kam, sei es, dass die illegal erlangten Informationen recht brisant waren. Dreyfus erzählt die Geschichte eines völlig unzureichend abgesicherten Rechners der Citibank, der schon beim reinen Einwählen anfing, Kreditkartennummern anzuzeigen. Ein Hacker entdeckt diesen Server, prahlt damit herum, andere Hacker suchen und finden ihn ebenfalls, gierige Menschen fangen an, die Kreditkartendaten auszunutzen und schon ist die Polizei hinter den Hackern her.

Dreyfus hat die seltene Fähigkeit, solche Geschichten packend zu schreiben. Sie kann einen Hack packend wie einen Thriller beschreiben und ihr Buch ist voller spannender Charaktere, die wagemutige Aktionen vollbringen: Sei es der Hacker, welcher jahrelang, nur von seiner Freundin in der Schweiz unterstützt, vor dem amerikanischen Secret Service flüchtet, seien es brilliante Hacks von bestens geschützten Servern oder seien es wilde Geschichten von Vertrauen und Verra oder von Personen, die durch ihre Hackeraktivitäten immer paranoider werden. Underground liest sich stellenweise wie ein Krimi.

Paranoia ist auch ein Stichwort: Die jungen Hacker haben alle einen Hang zu gewissen psychologischen Problemen. Seien es Depression, Paranoia oder das, was im englischen so schön “social anxiety” heißt: Viele der von Dreyfus vorgestellten Hacker haben ganz gehörig einen an der Waffel. Auch Assange.

Der findet nach einer schwierigen Kindheit mit vielen Ortswechseln und erzogen von Hippie-Eltern, zu den Computern, wird Hacker und führt unter dem Pseudonym “Mendrax” zusammen mit einer kleinen, verschworenen Gruppe einige große Hacks durch. Das Ganze endete mit einer Razzia der australischen Polizei, ordentlich Misstrauen zwischen den ehemaligen Verbündeten und dem Gefühl, dass Assange sich ungerecht von der Polizei behandelt fühlte.

Liest man das Buch, zeigt sich klar, wie diese Szene mit ihrem Drang, ständig geheime Informationen zu erlangen und zu verbreiten, Assange geprägt hat. Und die Geschichte der Polizeirazzia und des folgenden Gerichtsverfahrens zeigt auch, wie seine staatskritische Haltung sich noch mehr verstärkt hat. Der Schritt hin zu Wikileaks ist mehr nicht so groß.

Ebenfalls nicht so groß ist der Schritt zu anderen Hackervereinigungen: So verkündete der Chaos Computer Club beispielsweise nach einem Hack von NASA-Rechnern großspurig: “Es gibt keine Geheimnisse mehr, Orwells Großer Bruder ist ein Schweizer Käse.”

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Das zweite Buch, John Brunners Schockwellenreiter, liest sich stellenweise wie eine Blaupause für Wikileaks. Es ist eine Science Fiction-Geschichte, in der sich der Protagonist Nick Haflinger sich aus einem geheimen US-Regierungsprogramm und mit Hilfe seiner Hackerfertigkeiten abtaucht. Am Schluss – Achtung, Spoiler! – entwickelt Haflinger einen Computerwurm, der alle Geheimnisse der Welt offen legt. Und er verkündet dies in einer Pressekonferenz:

“My name is Nicholas Haflinger.” In a loud clear voice, capable of filling the auditorium without the aid of microphones. “You’re wondering why I’ve called you here. The reason is simple. To answer all your questions. I mean—all. This is the greatest news of our time. As of today, whatever you want to know, provided it’s in the data-net, you can now know. In other words, there are no more secrets. […] A couple of final points before someone asks me. First, is this an unforgivable invasion of privacy? Invasion of privacy it is; unforgivable… Well, do you believe that justice shall not only be done but shall be seen to be done? The privacy my worm is designed to invade is that privacy under whose cover justice is not done and injustice is not seen. It doesn’t care whether the poker who leeched his tax-free payoff spent it on seducing little girls; it cares only that he was rewarded for committing a crime and wasn’t brought to book. It doesn’t care if the shivver who bought that congressman was straight or gay; it cares only that a public servant took a bribe. It doesn’t care if the judge who misdirected the jury was concerned to keep her lover’s identity secret; it cares only that a person was jailed who should have been released.”

Das ist kein Zufall: Der Schockwellenreiter ist eines der Kultbücher der Hackerszene und war auch in der australischen bekannt. Ich kann nur empfehlen, einmal in dieses Buch zu schnuppern, denn es ist erstaunlich weitsichtig. Außerdem ist es dazu auch noch spannend geschrieben. Es ist toll, in einer Zeit zu leben, in der jemand einen Science Fiction-Roman liest und ihn in der Realität umsetzt.

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