Sieh an, sieh an: Der langen Saga um WikiWatch, Wolfgang Stock & Co wurde ein neues Kapitel hinzugefügt. Im Wikipedia Kurier erschien folgender Artikel, den ich aufgrund der absoluten Unverlinkbarkeit des Kuriers einfach mal komplett hier übernehme:
Im Zusammenhang mit der Lobbyarbeit der PR-Beratung Bell Pottinger wurden auf en.wikipedia.org einigeNutzerkonten gesperrt. Bell Pottinger hatte gegenüber Journalisten der Zeitung The Independent, die sich als potentielle Auftragsgeber tarnten, Möglichkeiten der Lobbyarbeit zugunsten eines zentralasiatischen Landes dargestellt. Neben Kontakten zu britischen Spitzenpolitikern wurde auch die Verbesserung der Darstellung des Landes in Wikipedia-Artikeln ins Gespräch gebracht. (siehe beispielsweise Wikipedia investigates PR firm Bell Pottinger’s edits (BBC), Lobbyisten prahlen mit dunklen Künsten (Spiegel Online) und Caught on camera: top lobbyists boasting how they influence the PM. (The Independent)).
Lobbyarbeit zugunsten eines ganzen Landes bzw. dessen Regierung – gibt es das? Ein Beispiel aus der deutschsprachigen Wikipedia soll darstellen, wie verblüffend klein die Welt ist, wenn es um das Wohl Mazedoniens geht.
Der „arbeitsfreie Sonntag“
Martin Kastler ist ein CSU-Politiker und Mitglied des Europaparlaments. Die Eignung für einen eigenen Wikipedia-Artikel ist gemäß den Relevanzkriterien für Politiker ohne Zweifel gegeben. Dies dachte sich auch der Benutzer „Mkassist“, der im Mai 2009 einen Artikel über Kastler anlegte. Man kann mutmaßen, dass ein Benutzerkonto dieses Namens keinem interessierten Bürger zuzuordnen ist, sondern dem Umfeld des Politikers. Das ginge sicher transparenter, soll aber kein Anlass für Kritik sein. Einige Tage nach Artikelanlage wandte sich Benutzer „Kan900“, damals noch als Benutzer „Wsto“ unterwegs, dem Artikel zu und änderte einige Kleinigkeiten. Über die nächsten zwei Jahre nahm eine IP-Adresse des Europäischen Parlaments zahlreiche Änderungen am Artikel vor. Auch dies ist wenig verwerflich, nur verzichtete man leider auf externe Belege für diese Bearbeitungen. Der Text dreht sich um biographische Informationen, Ämter, ehrenamtliches Engagement. Kritisierte Positionen eines Politikers, parteiinternen Zwist und ähnliche Themen kann ein Artikel mit dieser Entstehungsgeschichte natürlich nicht bieten.
Am 2. September 2010 nahm Benutzer „Madi89“ seine kurze Wikipedia-Karriere auf. Er ergänzte im Politiker-Artikel einen geschliffenen Text zur Ersten Europäische Bürgerinitiative für einen europaweiten Sonntagsschutz, eine Kampagne Kastlers. Dessen politische Positionen waren im Text bis dato eher zwischen den Zeilen zu finden, der Verweis auf die Kampagne nimmt nunmehr einen nicht unerheblichen Teil der Darstellung der politischen Aktivität ein. Die Kampagne wurde im Februar 2010 gestartet, die Berichterstattung darüber war überschaubar und fand primär auf christlichen Medienplattformen statt (vgl. Google News). Weiterhin legte „Madi89“ einen Text über Kastler in der englischsprachigen Wikipedia an, offenbar eine Übersetzung des deutschen Textes. Damit endeten die Beiträge dieses Benutzers.
„Mazedonien in Brüssel und Straßburg sichtbar machen“
Martin Kastler interessiert sich nicht nur für arbeitsfreie Sonntage, sondern auch den EU-Beitritt Mazedoniens. Dieser Interessenschwerpunkt fand keinen Eingang in den Wikipedia-Artikel des Politikers, dabei war er Mitbegründer des „Freundschaftsvereins“ Friends of Macedonia. Dem „Club“ zufolge verdiene „Mazedonien mehr als bisher Aufmerksamkeit und Unterstützung durch die Europäische Union. Die mazedonischen Bürger wollen bewusst und engagiert den Weg in Richtung EU beschreiten. wir Friends of Macedonia wollen ihnen dabei helfen. Wir werden mehr Europa in Skopje und anderen Städten sichtbar machen. Und umgekehrt: mehr und öfter Mazedonien in Bruessel und Strassburg sichtbar machen.“ Über die Einladung zur Club-Gründungberichtete am 10. Februar 2011 auch die derzeit nicht aufrufbare Seite mazedonien-info.de. Die Internetseite widmete sich schon länger wohlwollend dem EU-Beitritt des Landes und der konservativen Regierung des Ministerpräsidenten Nikola Gruevski.
Der Wikipedia-Artikel Nikola Gruevski hatte bereits am 5. August 2008 Zuwendung durch Benutzer „Wsto“/„Kan900“ erfahren. Am 6. und 7. August 2008 erweiterte Benutzer „Investor“ den Text deutlich (Difflink1,Difflink2). Der Leser erfährt, dass der Ministerpräsident nach seiner Wahl „sehr viele neue, junge Politiker in seine Regierung, darunter auch im Ausland aufgewachsene und/oder ausgebildete Makedonen“ berief,„Sympathien und Ansehen in der Bevölkerung erwarb“, unter anderem mit einer „flat tax“, „energischer Korruptionsbekämpfung“ und „intensivem Werben um Auslandsinvestitionen“. Während „dieser Modernisierung Makedoniens“ schlug man einen „neuen Kurs in der Kulturpolitik ein“. In einer späteren Wahl „konnte Gruevski als anerkannter Wirtschaftsreformer und Verteidiger der makedonischen Identität überzeugen“. Die Änderung schließt mit einem privaten Detail, der Ergänzung einer Tochter. Keine der Informationen oder Einschätzungen wird durch externe Belege untermauert. „Wsto“/„Kan900“ sichtet die Änderungen für „Investor“. Der Text ist bis heute nahezu unverändert aufrufbar.
„Investor“ kannte auch die Seite mazedonien-info.de. Bei Bearbeitungen im Landesartikel (29. August 2009, Teil 1, Teil 2) ergänzte er sie als Beleg für eine inhaltliche Änderung. Als „unabhängiges News-Portal“ setzte „Investor“ die Seite in die Rubrik Weblinks.
Verschiedene Aktivitäten unterschiedlicher Personen?
Für Konzept und Realisierung der Internetseite Martin Kastlers ist Convincet GmbH verantwortlich, eine Unternehmensberatung aus Berlin. Ihr Geschäftsführender Gesellschafter ist Wolfgang Stock. Dieser war auch für die Konzeption der Kampagnen-Website free-sunday.eu verantwortlich. In der Zeitschrift Lebensforum (Nr. 93, März 2010, S. 12) wird er gefragt, ob Konservative das Internet ausreichend nutzten. Die Antwort: „Ganz bestimmt nicht. Aber es gibt auch Ausnahmen wie zum Beispiel der Europaabgeordnete Martin Kastler (CSU). Er hat vor Kurzem mit meiner Unterstützung eine Online-Kampagne für den Sonntagsschutz gestartet (www.freier-sonntag.de). Innerhalb weniger Tage hat er tausende Unterstützer für sein Anliegen gefunden, den Sonntag in allen EU-Ländern als Feiertag zu schützen.“ Stock war ebenso einer von drei Redakteuren der Seite mazedonien-info.de und Verfasser der Nachricht zur Gründung von Friends of Macedonia. Meinungsbildung für den EU-Beitritt des Landes betrieb Stock auch anderswo (Beispiel 1, Beispiel 2).
Und Wikipedia? Das Konto „Kan900“/„Wsto“ wurde von Wolfgang Stock betrieben. Auch das Benutzerkonto „Investor“ wurde durch ihn betrieben, so Wolfgang Stock (vgl. Wiki-Watch Juni 2011 und eigene Aussage zum Thema). (R2-D2XP 14.12.2011)
(Lizenz: CC-BY-SA 3.0 Unported, R2-D2XP)
Zur Verlinkbarkeit des Kuriers siehe: Hilfe:Permanentlink
Schon klar – und da der Kurier ja Überschriften benutzt, könnte ich sicherlich auch irgendwie auf den eigentlichen Artikel verlinken, aber das ist dann doch deutlich komplizierter als nötig.