Wikipedia, freies Wissen und Netzneutralität

Die Meldung klingt auf den ersten Blick großartig: Die Wikimedia Foundation hat mit dem Mobilfunkanbieter Orange vereinbart, dass der Zugriff auf die Wikipedia in 20 afrikanischen und arabischen Staaten kostenlos wird. Millionen Mobilfunknutzer besitzen demnächst die Möglichkeit, ohne zusätzliche Kosten, ohne eigene Computer von überall aus auf das weltgrößte Lexikon zuzugreifen. Das hat ein ungeheures Potenzial – Wissen und Informationen sind und waren Herrschaftsinstrumente und der schnelle Zugang zu Wissen entfaltet unglaubliche Dynamiken – jeder, der schonmal von einem schnell unter dem Tisch ergoogleten Fakt widerlegt wurde, wird dem zustimmen müssen.

In einer Gegend, in der mehr Menschen Zugriff auf Mobiltelefone als auf Computer haben und in der Internetcafés für einen größeren Teil der Internetnutzung zentral sind – und das sind eben öffentliche Orte, an denen man sensible Informationen etwa über Empfängnisverhütung oder Scheidungen nachschlagen kann. Mobil über die Wikipedia geht dies.

Auf der anderen Seite gibt es zwei Probleme: Zum einen ist die mobile Wikipedia eine kastrierte Wikipedia. Sie besitzt nicht alle Medieninhalte, sie besitzt keine History-Funktion und – besonders wichtig – das Editieren ist nicht möglich. Hier sollte die Foundation einen Weg finden, denn das Wissen von Millionen Menschen aus diesem Raum wären eine Bereicherung für das Lexikon. Ansonsten besteht wieder die Gefahr, dass reiche (und europäische) Menschen die Informationsherrschaft behalten.

Das sind technische Probleme – viel dramatischer ist es aber, dass damit die Netzneutralität verletzt wird. Wir erinnern uns: Netzneutralität bezeichnet die wertneutrale Datenübertragung im Internet. Oder wie die Wikipedia es so schön definiert:

Sie bedeutet, dass Internetdienstanbieter (englisch internet service provider) alle Datenpakete von und an ihre Kunden unverändert und gleich gut übertragen, unabhängig davon, woher diese stammen, zu welchem Ziel sie transportiert werden sollen, was der Inhalt der Pakete ist oder welche Anwendung die Pakete generiert hat.

Die Netzneutralität ist für uns so wichtig, weil sie erst die unglaubliche Dynamik des Internets ermöglicht. Man stelle sich etwa ein Internet vor, in dem Provider die Daten von YouTube deutlich langsamer durchleiten als die von Vimeo. Oder eins, in dem plötzlich Skype gesperrt ist, weil die Provider auch Telefonanschlüsse verkaufen wollen. Die Folgen wären immens, das wäre nicht mehr „unser“ Internet.

Daher ist Netzneutralität so wichtig – und natürlich ist auch die Gewährung eines kostenlosen Zuganges zu einer Seite eine Verletzung der Netzneutralität. So bietet etwa E-Plus in Deutschland einen kostenlosen Facebook-Zugang an – und das ist ein klarer Wettbewerbsnachteil für andere Soziale Netzwerke. Warum sollte ich Google Plus, Twitter, StudiVZ & Co nutzen und dafür zahlen, wenn es Facebook kostenlos gibt? Ähnliches gilt auch für Lexika – warum sollte man etwa für den Datentraffic von Brockhaus.de zahlen, wenn man auch kostenlos in der Wikipedia nachschlagen kann?

Die Foundation setzt damit ein recht merkwürdiges Zeichen – die verletzte Netzneutralität wird nicht angesprochen und eine Diskussion mit der Community zum Thema wurde anscheinend nicht geführt. So löblich das Ziel ist, Wissen zu verbreiten, an der dafür elementaren Infrastruktur sollte man trotzdem nicht sägen.

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