Datenjournalismus ist auch für Historiker spannend

Ein verschiedenen Personen zugeschriebenes Sprichwort verkündet, dass “Journalism is the first, rough draft of history”. Der Historiker ist zwar vielleicht nicht so begeistert darüber, dass Journalisten ihm schon einen Teil seiner Interpretation vorgeben wollen, aber spätestens der Boom der Zeitungsanalysen in den letzten Jahren zeigt, dass Zeitungen mittlerweile extrem wichtige Quellen für uns Historiker geworden sind. Dazu kommt, dass die wichtigsten bundesrepublikanischen Zeitungen mittlerweile digitalisiert vorliegen und man sich die mühsame Arbeit mit fummeligen Mikrofilmen sparen kann.

Historiker können viel von Journalisten lernen – es ist extrem wichtig, zu wissen, wie Nachrichten und Zeitungen gemacht werden, um sie nachher als Quelle überhaupt verstehen zu können. Ohne ein Verständnis von Nachrichtenagenturen, redaktionellen Abläufen, zeitlichen Beschränkungen, Redaktionsinterna, Platzbeschränkungen und Ähnlichem sind Zeitungen als Quelle nicht zu beherrschen.

Es gibt aber noch mehr zu lernen: Einer der momentanen Trends im Journalismus ist – neben der akuten Printkrise – der Datenjournalismus. Journalisten haben begonnen, die vielen digital vorliegenden Datenquellen zu verknüpfen, zu visualisieren und so eine neue Form des Journalismus zu schaffen. Führend ist hier wieder einmal der britische Guardian, dessen Datablog extrem spannende Recherchen betreibt. Wie verändert sich der Energieverbrauch in Großbritannien? Mit welchen Abgeordneten hat sich Murdoch getroffen? Wer kauft welches Land wo? Woher kommen die Schüler einer Schule? Und die Begleitung der London Riots letztes Jahr ist einfach nur beeindruckend. In Deutschland ist es vor allem die Zeit, deren ebenfalls Datablog genannte Rubrik ähnliche Recherchen betreibt.

Die Fragestellungen zeigen schon, dass sich hier auch für Historiker ein interessantes Themenfeld öffnet, das noch nicht ganz in den Digital Humanities angekommen ist. So zeigen etwa die Analysen des Guardians über die Veränderungen Großbritanniens während der Regierungszeit Thatchers spannende Ergebnisse. Es gibt abgesehen von nicht vorliegenden oder nicht digitalisierten Datenbeständen eigentlich keinen überzeugenden Grund, warum man nicht mit dem Handwerkszeug von Datenjournalisten an historische Fragestellungen herangehen sollte. Wenn die Analyse von Wahlen und Parteispenden in Finnland spannende Ergebnisse bietet, warum sollte man nicht mit dem gleichen Handwerkszeug andere Wahlen untersuchen?

Richtig – dafür gibt es kaum eine Ausrede. Abgesehen davon, dass man das Handwerkszeug nicht beherrscht, dass man Angst vor APIs, Datenanalyse, Graphen und anderen nicht gerade zur üblichen Historikerausbildung gehörigen Werkzeugen hat. Abhilfe schafft hier das Data Journalism Handbook, welches von mehreren Datenjournalisten weltweit verfasst wurde, unter einer CC-Lizenz bereitsteht und einen guten Einstieg in das Thema bietet. Wer will, darf sich hier einige Ideen und Anregungen für zukünftige Arbeiten holen. Danach darf man sich diese Liste von interessanten Datenblogs in den Feedreader packen, sich das Deutschlandradio-Feature zur Data Driven History anhören und natürlich einen Blick in den Digitalen Werkzeugkasten für Journalisten werfen. Und wenn man dann von den Daten erschlagen ist, sollte man dringend Hans Rosling zuhören.

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