Warum ich meine Statistiktools ab sofort deaktiviert habe

Das Internet lebt von Statistiken. Auf jedem Server laufen im Hintergrund mächtige Analysetools, mit denen man seine Besucher gemütlich ausspionieren kann: Wie viele sind es? Aus welchem Land kommen sie? Von welchen Seiten kommen sie? Wonach suchen sie? Wie lange bleiben sie? Klicken sie auf die Werbung? Einige Analysetools wie etwa Google Analytics bieten etwa auch noch Alter, Geschlecht und weitere Merkmale an.

Auch hier auf dem Blog lief ein Statistiktool. Die Daten von WordPress.com verraten mir, dass im letzten Jahr sich immerhin 38112 Besucher auf dieses Blog verirrt haben. Das sind immerhin 3176 pro Monat und damit etwas über 100 pro Tag. Für ein kleines privates Blog ist das wohl recht ordentlich – doch was sagen diese Statistiken überhaupt aus?

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Google Analytics

Im Onlinejournalismus zeigt es sich bereits, dass die genaue Analyse der Klickzahlen negative Konsequenzen haben kann. Leider neigen wir als Spezies dazu, gerne triviale und sensationsheischende Nachrichten zu konsumieren. Je abstruser und lustiger eine Nachricht ist, desto häufiger wird sie angeklickt. Ein Artikel mit dem Titel “Kanada-Kannibale in Berlin verhaftet” wird immer mehr Klicks erreichen als ein gut recherchierter Hintergrundartikel über die Finanzkrise. Printmedien konnten nie genau wissen, welche Artikel überhaupt gelesen wurden – so manch einer wird sich die Zeit wegen ihrer Stellenanzeigen gekauft haben und eben nicht wegen des Feuilletons.

Die genaue Analyse der Klicks führt zu Seiten wie der Huffington Post, welche A/B-Testing verwendet, um die Klickraten zu steigern. Jeder Artikel wird mit zwei Überschriften getestet. Ein Teil der Besucher bekommt eine Überschrift zu sehen, der andere Teil die andere. Nach 5 Minuten ist dann klar, welche Überschrift die meisten Klicks generiert und diese wird dann benutzt. Das Ergebnis sind Überschriften wie ‚Face-Eater‘ Autopsy Shocker, Elizabeth Hurley’s Thigh-Baring Dresses oder 24 Ridiculous Things All Parents Do. Das sensationsheischende setzt sich in den meisten Fällen durch. Andere Seiten wie Gawker sind dafür bekannt, dass sie des öfteren “Clickbaiting” betreiben. Durch absichtlich einseitige Artikel wird die empörte Zielgruppe auf die eigene Seite gelenkt, wo sie dann mit Werbung bedacht wird.

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Eine Ketchupflasche bettelt verzweifelt um Facebook-Freunde

Ich habe ja bekanntlicherweise jahrelang auf Klio Surft diverse Fundstücke des Unfugs gesammelt, der im Internet mit historischen Themen veranstaltet wird. Die Klickzahlen so manches Beitrages sind da sehr erstaunlich – es gibt mehrere tausend Leute, die sich ein Bild von Adolf Hitler mit Häschenohren oder einen Rap Battle zwischen Hitler und Darth Vader anschauen wollen. Du hast es eben auch gespürt, oder? Diese Titel verführen geradezu zum Klicken. Andere Beiträge hingegen stoßen auf deutlich weniger Interesse: Je wissenschaftlicher, je schwerer ein Beitrag zu konsumieren ist, desto seltener wird er gelesen.

Das wirft Probleme auf: Kommerzielle Anbieter, die möglichst vielen Besuchern ihre Werbung zeigen wollen, werden im Zweifelsfall die seichten Nachrichten bevorzugen. Die GMX-“Nachrichten” sind hier wohl das beste Beispiel, aber etwa auch die typischen Schlagzeilen auf Spiegel Online oder die ewigen Klickstrecken mit Bildern leicht bekleideter Promis zeigen das Problem. Wenn ich als Blogger jetzt die Besucherzahlen als oberste Maxime nehme, dann müsste ich mein Blog deutlich umgestalten: Ich würde dann auf englisch lustige Bilder, Katzenfotos und YouTube-Videos posten, ich würde meinen Content geradezu verzweifelt in alle Kanäle blasen und dann alle meine Freunde auf Facebook mit meinen vielen sinnlosen Blogeinträgen nerven und euch den Twitter-Feed vollmüllen, ich würde Überschriften so formulieren, dass Google sie mag und diversen anderen Unsinn machen müssen. Das ist schlecht.

Die Sozialen Netzwerke verschlimmern das Problem nur noch, da hier jetzt jeder eine eingebaute Statistik besitzt. Wie viele Freunde hat man auf Facebook? Wie häufig klicken diese auf den Like-Button? Und wie sieht es mit den Twitter-Followern aus oder den Google+Kreisen? Manche Leute entwickeln sich dadurch zu echt unangenehmen Klickhuren.

Das Problem für mich als Blogger ist, dass diese Statistik ständig im Hintergrund läuft. Wenn ich mich einlogge, sehe ich, welcher Beitrag gerade recht erfolgreich läuft. Dies verführt dazu, dass man ähnliches schreibt. Leider ist das Erfolgreiche auch häufig das Seichte. Was kann man also tun?

Das große Problem ist, dass ein Klick im Endeffekt eine völlig nichtssagende Zahl ist. Ein User, der via Google Bildersuche hier landet, sich nicht für den Rest des Blogs interessiert und dann auf Nimmerwiedersehen verschwindet ist deutlich weniger “wert” als jemand, der einen interessanten Kommentar hinterlässt. Wenn man seine Leser nicht als Klickvieh sieht, welches nur auf die Werbung klicken soll, werden die Statistiken schnell uninteressant. Ihr seid hier kein Klickvieh, liebe Leser.

Ich habe mich dazu entschlossen, hier die Statistikfunktionen abzuschalten und ab sofort auch nicht auf die Followerzahlen und die Facebook-Likes auf meinen Seiten zu achten. Ich bin gespannt, wie dies mein Blog verändern wird.

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17 Antworten zu Warum ich meine Statistiktools ab sofort deaktiviert habe

  1. meykosoft sagt:

    „Ich bin gespannt, wie dies mein Blog verändern wird.“

    Naja, die statistische Veränderung ist dann ja nicht mehr zu sehen… ;-)

    Ich erlebe zwischendrin mittlerweile auch Wochen ohne „Analytics“ und stelle fest, dass es auf alle Fälle die „Schreiberei“ etwas entspannt. Aber wenn mich die Neugier packt…

  2. Jeeves sagt:

    Stimmt: mein Filter sagt mir, dass auf dieser Seite „Keine Tracker vorhanden!“ sind.

    Wär schön, wenn noch mehr Blogger sich ein wenig mehr um die Hintergrund-Technik kümmern würden und Big Brother (momentan nur für die Reklamefuzzies interessant; aber wer weiß, was die Politik noch bringt) möglichst ausschalten.
    Und Facebook? Traurig, dass da einige, nee: reichlich viele nicht von Anfang an aufgepasst und aufgewacht sind; muss man denn jede neue Mode gleich mitmachen und sich damit als ahnungsloser Depp outen? Nein. … Aber lieber spät als nie. Gut gemacht.

  3. scanlines sagt:

    Danke, ein IMO sehr kluger Schritt.
    Ich bin für eine Quotenfreiheit jeglicher Publikation.

    Ich halte all das Datenerheben, Statistikenbeschwören, Zielgruppendefinieren, etc. für sinnlosen Voodoo-Zauber, der gerade dank der einfachen Machbarkeit im Netz (jeder Abruf erzeugt einen Datensatz) derart exorbitant zugenommen hat und inzwischen jeglichen Themen-Entscheidungsblick zu vernebeln scheint.

    Natürlich will jeder Rückmeldung und Bestätigung für sein Handeln bekommen. Die wenigsten schreiben/malen/etc. für sich selbst, sondern wollen dies mit anderen teilen.
    Sind aber etwa Klickzahlen eine echte Rückmeldung? Wenn ja, was sagt sie aus? Dass die Seite aufgerufen wurde. Ende. Nichts weiter.
    Dann kann man vergleichen, wie oft eine Seite im Verhältnis zu anderen aufgerufen wurde und daraus irgendetwas schlussfolgern.

    Das hat für mich aber wenig mit dem zu tun, was gerade das Netz bietet: echter Austausch durch den Rückkanal, so wie die Kommentatoren ihn hier nutzen.

    Sind nicht bereits eine Handvoll Meinungsäußerungen viel interessanter und hilfreicher als jede noch so hübsch aufbereitete statistische Datensammlung?

    Nicht zuletzt auch die Überlegung, daß bei reiner Quotenfixierung nur noch Artikel publiziert werden, die einen vorher ermittelten vermeintlichen Mehrheitsgeschmack treffen, ist sicher ein gutes Argument gegen Statistiktools.
    So abgedroschen das klingt, aber ich habe lieber „authentische“ Kost, die nicht von der vermuteten Meinung eines Publikums gesteuert wird, als einen möglicherweise massenkompatiblen Konsensbrei.
    Gerade im Netz findet sich dank Long Tail für jede Art und Inhalt ein – „das“ gibt es sowieso nicht – Publikum.

  4. Stefan sagt:

    Schon mal daran gedacht das du die Statistiktools aktiviert lässt und trotzdem nur das schreibts was dir wichtig ist? Es gibt nicht nur schwarz, weiß sondern auch grau ;-)

  5. Dr. Golz sagt:

    „Das Internet lebt von Statistiken.“

    Selten fängt ein Artikel mit einer dümmeren Verallgemeinerung an. Zum Glück.
    „Das Internet lebt von Statistiken“ – was für ein Unfug! Das Internet LEBT von den vielen Beiträgen und deren Verknüpfung.

  6. Michael sagt:

    Hallo, erstmal toller Blog. Die ersten zwei Artikel die ich hier gelesen habe – gefallen mir auf Anhieb. Ich beschäftige mich auch beruflich mit der Auswertung von „Traffic“. Ich kann Dir zu großen Teilen zustimmen – möchte aber noch einen weiteren Denkansatz bringen.

    Wir hatten vor Jahren schon den Fall das diese nervtötenden Banner – im Windows Look and Feel (möglichst blinkend) sehr viel mehr klicks einbrachten als Banner die „seriös“ gestaltet waren. Es gab einen regelrechten „run“ auf „Fake-Banner“ mit Titeln wie „Ihre Internet Verbindung wurde gekappt“.

    Resultat war zwar – wesentlich mehr Traffic – aber am Ende in der Conversion kam gleich viel bei rum.

    Warum? Nun, es geht um Zielgruppen um das was ein User erwartet. Und du hast schon recht wenn du schreibst das dir ein Leser der Aufmerksam deinen Blogpost liest dir lieber ist – wie jemand der sich 5min. ein Video auf deiner Seite anschaut und dich dann wieder vergisst.

    Bleibende Besucher kann man nur mit aussergewöhnlichem Content erzeugen. Mein Lieblingsbeispiel aus der „Neuzeit“ ist hier sicherlich theoatmeal.com

    Traue keiner Statistik die du nicht selbst gefälscht hast. Nachhaltigkeit ist meist besser als der „schnelle“ Klick. Insofern wünsche ich Dir dabei viel Glück! :-)

  7. Erbloggtes sagt:

    Danke. Gute Sache. Die Huffington-Post-Überschriften interessierten mich ja mehr als Hitler mit Häschenohren, aber ich habe widerstanden. (Die Statistik, wie oft Leser diese weder empfohlenen noch inhaltlich weiterführenden Links anklicken, dürfte aber interessant sein. Dagegen kann man auch ohne Statistiktool glaubwürdig schätzen, dass ein Großteil des eingehenden Traffics zu diesem Beitrag von http://www.bildblog.de/39452/thueringer-allgemeine-roma-zdf-strand/ kommt. ;-) )

    Allerdings wirft die Abkehr von einer Klickzahlen-Steuerung (und sei sie noch so dezent oder unbewusst) die Frage auf, was denn dann Inhalts- und Formauswahl steuern sollte. Anders gefragt: Wie treffen wir Relevanzentscheidungen?
    Die Aussage, dass „wir als Spezies“ zu trivialen und sensationsheischenden Nachrichten tendierten, ist mutig und interessant, aber unhistorisch. Es handelt sich zweifellos nicht um die Gene, die dies verursachen, sondern um die spezifische historische/gesellschaftliche/psychologische Situation, in der wir uns befinden.

  8. Der_Felix sagt:

    So ganz kann ich dem nicht zustimmen. Ich schaue mir äußerst gerne meine Statistiken an. Es interessiert mich einfach wahnsinnig, wie viele Leute woher kommen.
    Einfluss auf meine Posts hat das aber kaum. Klar sehe ich, was ankommt und was nicht, aber letztendlich schreibe ich, was ich für richtig halte. Trotzdem ist der Leser ein guter Maßstab, denn schließlich will man den auch beglücken. Das Niveau runterschrauben oder den Leser gar mit nicht zu haltenden Versprechungen zu ködern und dann zu enttäuschen sind aber absolut keine adäquaten Mittel.

  9. Jonny sagt:

    Interessante Einstellung. Ich frage mich nur – ob du um konsequent zu sein – nicht auch deine FB Aktivitäten einstellen müsstest. Denn auch da, oder gerade da werden die Daten die durch deine Seite geliefert werden analysiert und auch verwendet. Du schreibst selber über die „Likes“ etc. und deren potentielle Wirkung auf die Rezipienten und auf einen Seitenbetreiber. Du selber hast ja erkannt, dass die Sozialen Netzwerke die Situation noch verschlimmern…
    Also wie gesagt; interessante Einstellung und durchaus sympathisch, allerdings nicht konsequent umgesetzt!

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  12. admin sagt:

    @Jonny: Im Kern hast du recht, aber auf Twitter, Facebook & Co kann man ja die Zahl der Freunde, Follower & Co leider nicht so einfach ausblenden wie im eigenen Blog. Mir geht es in diesem Beitrag auch nicht um die Auswertung der Daten durch die Seitenbetreiber wie Facebook, sondern eben um die Auswirkungen direkt auf mich. In den letzten Tagen hab ich mich jedenfalls schon ein paar mal beim versuchten „Auf die Statistiken schauen“ erwischt, mal gucken, wann sich das legt.

    Das Tracking durch Google & Co kann man ja mit ein paar Addons recht simpel blocken.

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  14. karl sagt:

    … vor allem finde ich ja immer die Anzeige „Wiederkehrende Besucher“ oder gar die Geschlechtsanzeige von Google Analytics interessant. Sicherlich sehr zuverlässig ;)

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