Das Internet, Computer und die Neuen Medien bieten Lehrern vielfältige Möglichkeiten, wie sie ihren Schülern Wissen mit neuen Methoden und besser vermitteln können. Die Zeiten, in denen ein lädierter 16mm Projektor alte Lehrfilme mit ausgeblichenen Farben oder die schlechte VHS-Aufnahme Stand der Technik waren, sind lange vorbei. Auch die leicht nach Alkohol riechenden Matritzenabzüge mit dem unscharfen lila Farbbild dürften der Vergangenheit angehören.
Einige Visionäre wecken momentan die Utopie einer globalen Schule, in der die besten Lehrer ihre besten Unterrichtseinheiten per Internet allen Menschen weltweit zur Verfügung stellen. So zeigen Plattformen wie die Khan Academy oder Duolingo, dass Lernen auch außerhalb oder parallel zum Schulunterricht funktioniert. Große Konzerne stehen in den Startlöchern, um den Milliardenmarkt Bildung aufzurollen: Apple prescht bereits vor, Bill Gates will den “flipped classroom” fördern, in dem Schüler per Videoaufzeichnungen von den besten Lehrern der Welt lernen sollen und Harvard und das MIT kooperieren mit der Online Lernplattform edX. Andere Anbieter wie Udacity wollen auch ein Stück vom Kuchen ab. Einige Schulen in den USA integrieren mittlerweile etwa die Khan Academy in den normalen Unterricht – gamifizierte Hausaufgaben sind im Zweifelsfall spannender als die Aufgabe 3b unten von Seite 74 aus dem Mathebuch. Dazu kommt eine unglaubliche Verfügbarkeit von Wissen. In einer idealen Welt könnten Lehrer etwa bestimmten Schülern für sie geeignete Materialien oder weiterführende Bücher zur Verfügung stellen, um sie speziell zu fördern.
Soweit die Utopie. Der handelsübliche Lehrer kämpft natürlich mit zu großen Klassen und der Tatsache, dass Schüler natürlich nicht immer wissensgierige, aufmerksame Lernmaschinen sind. Im Zweifelsfall ist dann doch das aktuelle Computerspiel, der angesagte Popstar oder Klaus-Jürgen aus der Parallelklasse interessanter als die noch so spannende Schulbildung. Und selbst die beste Lernumgebung wird nicht die Tatsache umgehen können, dass Lernen eben harte Arbeit und kein Vergnügen ist. Team Fortress 2 ist immer spannender als lateinische Vokabeln.
Den deutschen Lehrer kann das frustrieren: Diese Entwicklung findet momentan (noch?) in Übersee statt und die meisten Angebote sind daher auf Englisch. Wer keine soliden Sprachkenntnisse hat, wird von der schönen neuen Bildungswelt vorerst ausgeschlossen – die wenigsten Mittelstufenschüler dürfen in der Lage sein, Vorlesungen, den Statistikkurs von Udacity oder die komplexeren Videos der Khan Academy auf Englisch zu verstehen. Gleich Spanisch per Englisch zu lernen wie Duolingo es momentan anbietet, ist ebenfalls doppelt kompliziert. Auch viele coole Lernvideos wie etwa die des Crash Course World History oder von TedEd gibt es nur auf Englisch. Deutsche Initiativen in dieser Richtung sind kaum auszumachen, viele Universitäten beschränken sich darauf, simple Vorlesungsmitschnitte als Podcast online zu stellen. Wenn überhaupt.
Es gibt aber noch ein weiteres Problem: Die deutschen Schulbuchverlage. Diese sind extrem restriktiv, was die digitale Nutzung ihrer Inhalte betrifft. Schon vor einer Weile gab es die Diskussion um den Schultrojaner, welcher die internen Server der Schulen nach urheberrechtlich geschützten Dateien durchforsten sollte. Ein öffentlicher Aufschrei beerdigte dieses schon recht fortgeschrittene Projekt. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass ein Umdenken bei den Verlagen stattgefunden hat. Mario Sixtus verlinkte via Twitter auf die Nutzungsbedingungen des Cornelsen-Verlages und stellte fest, dass diese “von der Realität nur ein wenig weiter entfernt [hätten] als die Schriften der Zeugen Jehovas”. Da kann man nur zustimmen, was der Verlag fordert, ist erstaunlich:
Die Lehrerinnen und Lehrer dürfen kleine Teile urheberrechtlich geschützter Werke so auf dem Schulserver ablegen, dass die Schüler sie im Unterricht über PCs abrufen können. Voraussetzung ist allerdings, dass es sich bei diesen eingestellten Werken nicht um Inhalte aus Schulbüchern oder anderen speziell für den Unterricht hergestellten Materialien handelt und
- nur ein kleiner Teil eines Werkes oder ein Werk geringen Umfangs abgespeichert wird,
- das benutzte Werk vorher bereits veröffentlicht wurde und
- ein Zugriff auf das Werkteil nur den Schülern einer bestimmten Klasse im Rahmen des Unterrichts ermöglicht wird.
Bereits zum Zeitpunkt des Abspeicherns des Werkteils auf dem Server muss feststehen, in welcher Unterrichtseinheit welcher Klasse dieses verwandt werden sollen. Eine vorsorgliche Vorratsabspeicherung auf dem Server ist in keinem Fall gestattet.
Die Schüler dürfen im Rahmen des Unterrichts auf die auf dem Server abgespeicherten Werkteile von den in der Schule vorhandenen PCs dann „zugreifen“. Sie dürfen sich die Werke folglich „ansehen“. Außerhalb des Unterrichts, d.h. in Pausen, Freistunden und von Zuhause (zur Vor- oder Nachbereitung) darf ein Zugriff nicht ermöglicht werden.
Das Herstellen einer Kopie, d.h. das Speichern der abgerufenen Daten auf der Festplatte des einzelnen PCs oder einem Datenträger, ist dagegen nur dann zulässig, wenn eine solche Kopie selbst für den Unterricht tatsächlich erforderlich ist. Dies wird in der Regel nicht der Fall sein. Um das Werkteil auf dem Schulserver abzulegen, kann dieses entweder eingescannt oder aber – soweit es digital vorliegt – auf den Server überspielt werden.Eine Nutzung von Schulbüchern und anderen Unterrichtsmaterialien ist ohne Einwilligung des jeweiligen Verlages niemals zulässig. Dies gilt selbst für kleinste Teile solcher Medien. Umfasst sind sämtliche Werke, die für den Unterricht und den Lerngebrauch hergestellt wurden, d.h. auch Lern- und Bildungssoftware. Darauf, ob diese Software auf einer CD-ROM oder direkt über die Websites der einzelnen Verlage vertrieben wird, kommt es dabei nicht an.
Zugriff nur während der Schulstunden, Sperrung während der Pausen? Keine Kopien aus Schulbüchern, noch nicht mal “kleinste Teile”? Werke dürfen “zugegriffen” und “angesehen” werden, aber dann wohl nicht ausgedruckt oder weiterverarbeitet werden? Kombiniert man das mit den geforderten Schutzmechanismen und dem Schultrojaner, dann zeigt sich hier, wie weltfremd diese Bestimmungen sind. Damit kann kein Lehrer irgendwie sinnvoll arbeiten – abgesehen davon, dass das Urheberrecht nicht zur herkömmlichen Lehrerausbildung gehört. Durch solche Bedingungen wird die Nutzung neuer Medien in den Schulen behindert und ich kann jeden Lehrer verstehen, wenn er gleich auf die Nutzung des Schulservers verzichtet und wie bisher Kopien verteilt. Oder gleich den überwachungsfreien Umweg über E-Mail und Dropbox nimmt. Wenn die Nutzung eines Videos ein juristisches Staatsexamen verlangt, ist der TV-Schrank mit der VHS-Kassette plötzlich doch die bequemere Lösung. Bis dann irgendwann die großen Anbieter aus den USA kommen und den Markt aufrollen.
Zum Schluss noch ein paar Gedanken, die irgendwie nicht in den Text gepasst haben:
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Viele dieser Anbieter richten sich nicht direkt an Schüler, sondern an Erwachsene, die eine Weiterbildung wollen oder auch an Personen aus Entwicklungsländern, die keinen Zugang zu Universitäten haben.
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Wichtig ist hierfür die Ausstellung von Zertifikaten, die zeigen, dass jemand den Kurs bestanden und etwas gelernt hat. Dabei ist besonders EdX von Harvard und dem MIT interessant. Einen dort bestandenen Kurs kann man durchaus bei Bewerbungen etc. angeben. Deutsche Universitäten bieten dies nicht an, dort kann man sich zwar Podcasts von Vorlesungen anschauen, hat am Ende aber “nur” etwas gelernt. In einer von Zertifikaten und getunten Bewerbungen dominierten Berufswelt bringt das erstmal nichts.
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Im Kern ist das Verhalten der deutschen Schulbuchverlage auch das ideale Einfallstor für freie Inhalte. Ein freies Schulbuch etwa unter CC-Lizenz kann auch digital genutzt werden, die deutsche föderale Schulbuchkontrolle könnte hier einige Probleme verursachen. Andere Länder wie Polen sind hier schon einen Schritt weiter.
Frisch gebloggt: Wie man sich selbst abschafft – deutsche Schulbuchverlage und die digitale Zukunft http://t.co/XGgnct9G
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