Dumme Roboter auf Raubkopiererjagd

Es ist schon eine Weile her: Ich wollte irgendwas bei Scribd.com herunterladen und Scribd gehört zu diesen Firmen mit merkwürdigen Buisness-Praktiken. Um etwas herunterzuladen, muss man einen Account einrichten. Und um einen Account einzurichten, muss man etwas auf der Seite hochladen. Das ist zwar etwas merkwürdig (und ich hatte dummerweise gerade die Existenz der großartigen Seite bugmenot verdrängt), aber was soll man tun? Also schnell in meine kleine eBook-Sammlung nebenan gegriffen und zwei Dateien hochgeladen – Mary Shelleys Frankenstein und Bram Stokers Dracula. Dann lud ich die gewünschte Datei herunter und war kurz darauf sehr irritiert, als ich eine Mail bekam, in der mir von irgendeiner obskuren Firma vorgeworfen wurde, eine Urheberrechtsverletzung begangen zu haben. Sowohl Frankenstein als auch Dracula wären urheberrechtlich geschützt und seien daraufhin von Scribd gelöscht worden. Etwas irritiert habe ich dann nochmal die Todesdaten der zwei Autoren recherchiert: Bram Soker starb 1912, Mary Shelly schon 1851. Urheberrechte gibt es an diesen Werken nicht mehr. Ich habe dann ein kleines Experiment gemacht und weitere Werke diverser Autoren hochgeladen und spaßigerweise wurde ein größerer Teil dieser Werke ebenfalls gelöscht. Mein Favorit ist immer noch, dass Ciceros “Reden gegen Verres” und Caesars “De bello gallico” im originalen Latein einen Schutz besitzen sollen und gesperrt wurden. Gesperrt wurde dann übrigens auch mein Account, wegen wiederholtem Hochladen von urheberrechtlich geschütztem Material.

Das System ist so im amerikanischen DMCA vorgesehen und im Kern ist es sogar sinnvoller als unser deutsches Abmahnwesen: Wer eine Urheberrechtsverletzung feststellt und die Rechte an dem Werk hält, kann einen Take Down vom Anbieter fordern. Die großen Plattformen wie YouTube bieten mittlerweile auch automatisierte Scanprogramme an, mit denen ein Anbieter nicht mehr aktiv nach seinen Inhalten suchen kann, sondern einfach alle neu hochgeladenen Inhalte überprüfen kann. Das funktioniert erstaunlich effektiv und hat etwa dazu geführt, dass die GEMA hunderttausende Videos mit “ihren” Liedern auf YouTube sperren konnte.

Dummerweise funktioniert das System nicht. Nicht nur meine Erfahrungen auf Scribd zeigen, dass sich anscheinend einige Firmen darauf spezialisiert haben, falsche Takedowns zu stellen. So hat die NASA letztens mehrere Milliarden Dollar ausgegeben, um einen ferngesteuerten Rover auf den Mars zu schießen. Oder auch nicht – YouTube informierte die Nutzer, dass der Rover eigentlich von einer Organisation namens “Scripps Local News” auf den Mars geschickt wurde und dass diese daher das Urheberrecht an den Marsaufnahmen besitzt. Die NASA sollte sich schämen!

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Es ist aber nicht nur die NASA, die Liste der falschen Takedown Notices ist lang und wird immer länger. Jüngst hat es zwei weitere prominente Veranstaltungen getroffen. Zum einen wurde der Stream der Verleihung der Hugo-Awards von Ustream mitten in der Veranstaltung gestoppt und konnte nicht wieder aufgenommen werden. Tausende Science Fiction-Fans, die wissen wollten, welcher Autor jetzt die begehrten Preise bekommt, mussten auf Twitter ausweichen und entsprechend war natürlich auch die Empörung. Hier hat wieder ein automatisiertes Inhalte-Erkennungssystem eine falsche Einschätzung gegeben. Die Veranstalter hatten Ausschnitte aus den nominierten Fernsehserien gezeigt und diese triggerten die Sperrung. Abgesehen davon, dass die Veranstalter die Rechte daran besaßen und z. T. die Urheber sogar im Publikum saßen – so ein Clip ist nach US-Urheberrecht als Fair Use erlaubt. Aber wie schon Lawrence Lessig festgestellt hat: Code is Law, es ist egal, ob etwas eigentlich erlaubt ist, wenn die Software es nicht erlaubt.

Die Liste der angeblichen Urheberrechtsverletzer ist aber noch länger: Auch US-Präsident Barack Obama gehört zu den fiesen Raubmordkopierern. Oder eben auch nicht: Was hier Amok läuft, ist ein kaputtes System. Und wir können noch froh sein, dass die meisten dieser Anbieter in den USA sitzen – hierzulande hagelt es statt nerviger, aber doch recht einfach abzuschmetternder und kostenloser DMCA Takedowns gerne kostenpflichtige Abmahnungen. Und wenn demnächst wieder ein Politiker über rechtsfreie Räume im Internet schwafelt, wäre es sicherlich nicht unangebracht, ihm einfach mal ein paar YouTube-Videos zu sperren.

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