Die Rückkehr des nationalen Rechts

 

 

Nun also auch Twitter: Der Microblog-Dienst hat einen Account der kürzlich verbotenen Hannoveraner Neonazi-Gruppierung „Besseres Hannover“ für deutsche Nutzer gesperrt. Wer ihn aus Deutschland aufrufen will, bekommt nur ein „@hannoverticker unterdrückt

This account has been withheld in: Germany“ zu sehen. Um die Propaganda der gewalttätigen Rassisten ist es natürlich nicht schade, der Trend ist aber beunruhigend: Das Netz wird wieder nationaler, die Nationalstaaten holen sich Schritt für Schritt verlorenen Einfluss zurück und setzen die großen Internetanbieter unter Druck. Google zensiert nicht nur seine Suchergebnisse in Deutschland. Indizierte Webseiten, semilegale Seiten mit Raubkopien, Pro Ana-Seiten, aber auch Seiten, die sich mit Tattoos und Piercings beschäftigen, werden deutschen Nutzern nicht angezeigt. Die Liste ist lang und Deutschland gehört zu den Staaten, die am massivsten in Googles Index wildern. Auch auf YouTube lauert nicht nur die GEMA, sondern auch zigtausende andere Videos sind aus rechtlichen Gründen bei uns nicht verfügbar. Facebook hält sich erstaunlicherweise mit Sperren zurück.

Wir haben uns als Nutzer in den ersten Jahrzehnten des Internets daran gewöhnt, dass das Internet global ist und wir haben gezielt die unterschiedlichen nationalen Gesetze ausgenutzt. Entsprechend werden unzählige Webseiten in den USA gehostet, deren Inhalte in Deutschland zu einer Strafverfolgung führen würden. Dienste wie Rapidshare wandern gezielt in Staaten, in denen ihr Geschäftsmodell legal ist, bedienen aber natürlich auch eine deutsche Klientel. Wir profitieren täglich vom amerikanischen Fair Use und vom in Vergleich zu unserem Abmahnwesen liberalen DMCA. Und wenn Computerspiele, Technik oder Klamotten nicht in Deutschland verkauft werden, dann importieren wir sie einfach. Die Versandkosten aus China sind billiger als aus dem Nachbarort. Geübte Nutzer navigieren so geschickt zwischen den Jurisdiktionen und sichern sich so die maximale Freiheit.

Doch der Gegenschlag läuft: Internationale Abkommen wie das (zum Glück erfolgreich verhinderte) ACTA oder die geplante europäische Datenschutzrichtlinie vereinheitlichen die Rechtslage und verkleinern die nationalen Unterschiede. Und massiver Druck auf die großen Anbieter sorgt für eine weitere regionale Zersplitterung. Noch lassen sich viele der regionalen Sperrungen auf einfachste Weise umgehen. Ein simples Browser-Addon wie Proxtube macht die GEMA zum Papiertiger und auch Twitters Sperre lässt sich umgehen. Die Frage ist aber, wie lange es sich etwa die GEMA bieten lässt, dass sie derart vorgeführt wird und wann sie vor Gericht wirkungsvollere Sperren fordern wird. Eine Sperre, die von jedem innerhalb von wenigen Sekunden automatisiert ausgehebelt werden kann, ist de facto keine Sperre. Es gibt wirkungsvollere Techniken und es wird nicht schwer sein, ein Gericht zu finden, welches das ebenso sieht.

Und dann? Dann bleiben teure, für den Normalnutzer unverständliche Techniken. Man kann sich per VPN in die USA tunneln. Einen passenden und langsamen TOR-Exit-Node nutzen oder gleich dort hosten. Vielleicht hilft auch ein Proxy, aber wirklich viele Follower wird der zensierte Twitter-Account damit nicht gewinnen können. Dabei sind es nicht nur Nazis, Hassprediger wie kreuz.net oder sonstige Spinner, welche ins Ausland ausweichen. So wird die deutsche Wikipedia bewusst in den USA betrieben und damit alle inhaltlichen Beeinflussungen durch Dritte abgewiesen. Versuche, vor einem deutschen Gericht Artikelinhalte zensieren zu lassen, gab
es
genug. Große Dienste wie Facebook, Amazon, Ebay verlagern ihre Aktivitäten nach Irland oder Luxemburg. Und zigtausende deutsche Blogs liegen auf Tumblr, WordPress.com oder anderen US-Anbietern, weil dies nun mal die besten Anbieter sind.

Schritt für Schritt werden so die Mauern hochgezogen und die (durchaus positive) Umgehung nationalen Rechts immer schwieriger. Es wird nicht mehr lange dauern bis die ersten Politiker Proxy & VPN-Verbote fordern. Staaten wie China oder Iran schotten sich bereits radikal nach außen ab. Uns droht es auch, dass diese Schlupfwinkel und Freiräume zunehmend verschwinden.

Die Rückkehr des nationalen Rechts kann aber auch einen positiven Nebeneffekt haben. Wenn sich der Nerd einfach per VPN der Vorratsdatenspeicherung entziehen kann, schmerzt sie nicht so. Je härter das Urheberrecht durchgesetzt wird, desto lauter werden die Rufe nach einer Veränderung. Wenn sich katastrophale Kopierschütze nicht mehr per Klick auf GameCopyWorld aushebeln lassen, steigt der Druck auf den Hersteller. Wenn man nicht einfach kurz vor Sonnenuntergang nach Mexiko reiten kann, um dort zu trinken und Glücksspiel zu betreiben, dann steigt der Druck auf die lokalen Autoritäten. Auch nationales Recht kann verändert werden!

 

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