Wie geht es weiter in Stralsund?

Die Nachrichten aus Stralsund sind momentan eher durchwachsen – nachdem der Verkauf der historischen Gymnasialbibliothek von der Stadt rückgängig gemacht wurde, ist die Sache damit immer noch nicht ausgestanden. Immer noch werden Bücher aus dem Stadtarchiv zum Verkauf angeboten und es zeigt sich immer deutlicher, dass der Verkauf eine bereits seit langem bestehende Praxis eines chronisch unterfinanzierten Archives war.

Der Pommersche Greif e.V. wird in diesem lesenswerten Artikel einen sehr pessimistischen Blick auf die Zustände in Stralsund. Demnach ist das Archiv seit Jahren oder gar Jahrzehnten chronisch unterfinanziert gewesen, die Mittel gingen größtenteils für Personalkosten drauf und für die „Pflege und Unterhaltung von Kunstgegenständen“ stehen laut aktuellem Haushaltsplan 100 (!) Euro zur Verfügung. Mit dieser wahrlich gigantischen Summe kann das Archiv die riesigen Bestände natürlich nicht ansatzweise bewahren, erhalten oder gar restaurieren. Entsprechend scheint sich die Praxis des Bücherverkaufes etabliert zu haben, um die knappen Kassen zu füllen. Die ehemalige Archivleiterin nimmt nach Ostsee-Zeitung-Informationen folgendermaßen Stellung:

Wie sie erklärte, hätte das Archiv bereits seit den 90er-Jahren um mehr Geld für die Pflege der historischen Bestände gebettelt. Man sei damit aber immer wieder bei den Vorgesetzten abgeblitzt. So habe ihr Vorgänger, Dr. Hans-Joachim Hacker, schließlich als eine Art Verzweiflungsakt die Methode entwickelt, Dubletten zu verkaufen, um etwas Geld für die Restaurierung der wertvollen Bestände zu erhalten. Sie habe diese Praxis dann seit 2009 fortgeführt.
Die Gymnasialbibliothek, an der sich jetzt der ganze Skandal entzündete, sei immer mehr vergammelt. Deshalb habe man sich entschlossen, durch den Verkauf noch etwas Geld einzunehmen, bevor man einiges ganz wegschmeißen müsste.

Es ist jetzt kein Geheimnis, dass Archive in den Haushaltsplanungen vieler Städte eher eine untergeordnete Rolle spielen. Sie sind eher lästige Pflichtaufgabe und mit der mühsamen Restaurierung einer in der Stadt anscheinend komplett vergessenen Bibliothek kann sich kein Politiker profilieren. Da investiert man das knappe Geld doch lieber in prestigeträchtige Projekte. Noch unklar ist, ob diese Art der Archivfinanzierung der Stadtspitze bekannt war – laut Archivleiterin war dem Vizeoberbürgermeister Holger Albrecht diese Praxis bekannt, dieser bestreitet dies allerdings. Teile der Bürgerschaft werfen ihm nun vor, die Unwahrheit gesagt zu haben. Die Affäre ist also noch nicht vorbei und man darf weiter die Nachrichten aus Stralsund verfolgen.

Die vielleicht wichtigste Frage steht jetzt aber noch aus: Was passiert jetzt mit den Büchern? Der Pommersche Greif berichtet, dass diese nun in Thermocontainern gelagert werden sollen, bis ein anderes Gebäude für die Aufnahme bereit sei. Ebenfalls habe die Universitätsbibliothek Greifswald angeboten, die Bestände sofort zu übernehmen, elektronisch zu erfassen und instand zu setzen. Unklar ist auch, was bei der Rückabwicklung des Verkaufes genau passiert ist – denn immer noch sind Bücher aus der Bibliothek im Handel. Einzelne Bürger der Stadt Stralsund sollen diese Bücher nun laut einem Zeitungsbericht gezielt aufkaufen, um sie zu retten. Der Antiquar macht damit wohl ein gutes Geschäft.

Das Kernproblem ist aber auch mit der Rettung der Bibliothek (trotz enormer Verluste) nicht gelöst: Die Unterfinanzierung des Stadtarchives Stralsund. Jetzt werden natürlich schnell irgendwelche Mittel zur Verfügung gestellt, aber ohne eine langfristige und ausreichende Finanzierung des Archives wird sich nicht viel ändern. Dann ist diese Bibliothek gesichert, andere Archivalien werden weiter vor sich hin gammeln. Ohne das Bewußtsein, dass hier unersetzliche Schätze liegen, die es verdient haben, der Nachwelt erhalten zu werden, kann man auch gleich die bisherige Praxis fortführen und einfach alles verkaufen. Die privaten Sammler, welche viel Geld für diese Bücher zahlen, lassen sie wenigstens nicht einfach so verschimmeln.

Wer mehr wissen will, sollte den ausführlichen Artikel des Pommerschen Greif lesen, aus dem ich die meisten Informationen hier entnommen habe. Archivalia ist Pflichtlektüre und man darf einen Blick auf die neuste Artikelserie der taz.nord werfen: Diese wirft einen Blick auf weitere Bibliotheken Norddeutschlands und ihre Probleme. Den Anfang macht die einst so wohlhabende Hauptstadt der Hanse, Lübeck, welche mittlerweile mit über 1,3 Milliarde Euro in den Miesen sitzt und ebenfalls entsprechend wenig Geld besitzt.

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