Eine Gruppe kritischer Historikerinnen hat das Deutsche Historische Museum gehackt. Die Gruppe kritisiert die Darstellung der kolonialen Vergangenheit Deutschlands in der Dauerausstellung und hat nun – nachdem zuerst einige alternative, vom Museum unabhängige Führungen angeboten wurden – einen eigenen Audioguide vorgestellt, der eine andere als die offizielle Sicht vermitteln soll.
Die koloniale Vergangenheit unseres Landes wird im DHM eher stiefmütterlich behandelt. Es gibt genau einen Schaukasten zum Thema, der etwas verloren in einer Ecke steht und anscheinend auch nicht sonderlich gut gemacht ist:
Die Vitrine selbst enthält ein Sammelsurium unterschiedlicher Erinnerungsstücke. Darunter befinden sich ein Gemälde des Kilimandscharo, die Uniform eines Kolonialsoldaten, Porträtzeichnungen afrikanischer Menschen, Kaffeedosen, ein Schnupftuch, ein Album, in das Fotos mit Szenen von Folter und Mord eingeklebt sind, sowie ein Bild, das aus einem chinesischen Tempel entwendet wurde. Die Auswahl wirkt willkürlich. Auf welche Weise die Objekte in Beziehung zueinander stehen, erschließt sich in Ermangelung genauerer Informationen kaum, geschweige denn die hinter den Objekten stehenden Geschichten. Das einzige, was die Exponate zusammenhält, ist die Perspektive derjenigen, für deren Benutzung oder Unterhaltung sie geschaffen oder angeeignet wurden, und das ist die Perspektive der Kolonisierenden. Was hier versammelt wurde, sind koloniale Erinnerungsstücke. Der Schaukasten ist mehr Rumpelkammer eines Kolonialbeamten denn Museumsvitrine.
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich diesen Schaukasten bei meinem letzten Besuch des Museums überhaupt wahrgenommen hätte. Ansonsten taucht die kurze, aber durchaus bedeutsame Kolonialzeit in der weiteren Ausstellung nicht auf. Auch die kolonialen Verstrickungen diverser Firmen oder Forscher werden nicht thematisiert. Die Initiative verdeutlicht das am Beispiel eines Fotos von Robert Koch:
Nehmen wir zum Beispiel den Ausstellungsabschnitt zum Thema „Technik und Wissenschaft“. Hier finden wir in einer Schublade das Bild des Mediziners Robert Koch. Das Foto zeigt den Nobelpreisträger am Mikroskop, in einem Labor in Südafrika, wie aus der Bildunterschrift hervorgeht. Tatsächlich forschte Koch viel außerhalb Deutschlands, insbesondere in Afrika. In der Schublade daneben liegt eine Zeichnung von Trypanosomen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Erreger der sogenannten Schlafkrankheit identifiziert wurden. Mit Unterstützung der deutschen und britischen Kolonialbehörden hielt sich Koch eineinhalb Jahre in Ostafrika auf, um dort die Schlafkrankheit zu erforschen. Auf einer der unter britischer Herrschaft stehenden Sese-Inseln im Victoria-See errichtete er ein Schlafkrankenlager und führte medizinische Versuchsreihen an dort internierten Afrikanerinnen und Afrikanern durch. Ohne Kolonialismus wäre diese Forschung nicht möglich gewesen. Die Kolonien dienten Koch und anderen Wissenschaftlern als Testfelder – und ihre Bewohnerinnen und Bewohner als Testpersonen.
Ausgehend von dieser Kritik wurden zuerst vom Museum unabhängige Führungen organisiert, welche die Ausstellung kritisch hinterfragten. Der jetzt vorgestellte Audioguide ergänzt diese Aktionen perfekt. So lässt sich die alternative Sicht auf die Geschichte auch unabhängig von den seltenen Führungen erkunden.
Das ist natürlich der perfekte Hack – mittlerweile besitzt fast jeder ein Smartphone oder wenigstens einen MP3-Player und auf diese Weise wird die Deutungshoheit des Museums geschickt unterlaufen. Dieses Beispiel wird Schule machen und in der nächsten Zeit wohl häufiger auftauchen. Statt sich mit inflexiblen Organisationen* herumzuschlagen, wird einfach parallel eine Alternative aufgebaut und auf diese Weise natürlich auch Druck auf die Macher der eigentlichen Ausstellung ausgeübt.
In Deutschland könnten noch einige Museen kritische Alternativführer gebrauchen; ganz vorne etwa das Panzermuseum Munster. Und wer etwa das komplett unmögliche belgische Militärmuseum in Brüssel, welches immer noch stolz koloniale Beutestücke zeigt. Da wird ein alternativer Audioguide schnell zur Notwendigkeit.
Links
- Offizielle Seite
- Beitrag auf H-Soz-u-Kult
- Artikel in der taz
- Weiterer Artikel in der taz
- Berlin Postkolonial (Hinweis: Es gibt viele weitere dieser Seiten, welche den Kolonialismus lokalhistorisch aufarbeiten)
- Zeitgeschichte online – Die Geschichtsbilder des Deutschen Historischen Museums
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Museumshacken noch weithin unterschätzt. Beim DHM eine verdienstvolle Attacke http://t.co/9essnnTEn1
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Das ist alles faszinierend, wirft aber natürlich auch Probleme auf. Neonazis, die ihren „alternativen Audioführer“ für eine KZ-Gedenkstätte anbieten… Gut, das ist natürlich ein Extrembeispiel. Aber grundsätzlich finde ich schon auch: Solange andere Benutzer nicht gestört werden, sollte das „Hausrecht“ der Museumsleitungen im Bereich „alternative Führungen“ grundsätzlich keine Rolle spielen dürfen.
Im WWW wären als „Hack“ z. B. auch von Benutzer oder Benutzergruppen kuratierte und mit eigenen Texten versehene Sonderausstellungen aus dem Depot einfachst möglich. Das wird leider m. W. auch nirgendwo aktiv angeboten.
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