Der Amazon-Gutschein im Kinderbuch

Plakat im Schaufenster einer Buchhandlung in Dortmund (CC-BY-SA 3.0 von mir selbst)

Erinnert sich noch jemand an die Debatte um Ottfried Preußlers Kinderbuch „Die kleine Hexe“, in dem in einer neuen Ausgabe das Wort „Negerlein“ gestrichen wurde? Erinnert sich noch jemand an die Untergangspropheten, für die das Abendland dadurch endgültig untergegangen ist. Wir leben zwar immer noch trotz Neuauflage der Kleinen Hexe, es gibt jetzt aber einen viel interessanteren Fall:

Der neue Band der auch bei meinen Nichten beliebten Kinderbuchserie „Conni“ enthält folgende Passage, in der sich die immer unerträglich gut gelaunte Conni mit einer Brieffreundin austauscht:

„Mandy hat mir neben ihrer Karte, auf die sie unzählige Kreuze und Os – für jede Menge Hugs and Kisses – gekritzelt hat, einen Amazon-Gutschein geschickt, den ich online einlösen kann. Spitze!“

Derartiges Productplacement in Kinderbüchern ist natürlich grundsätzlich abzulehnen – es wäre mir auch nicht bekannt, dass Kinder jetzt ihren Brieffreunden plötzlich Amazon-Gutscheine schicken würden.

Ebenfalls nicht begeistert von der Sache sind die Buchhändler – immerhin müssen sie jetzt ein populäres Buch verkaufen, das direkt Werbung für das verhasste Amazon macht. Entsprechend haben einige Buchhändler angekündigt, das Buch nicht mehr zu verkaufen und der Carlsen Verlag hat darauf reagiert: Die Passage wird in der nächsten Auflage geändert und Buchhändler können das Buch retounieren.

Jetzt darf man sich an die ganze Diskussion um die Kleine Hexe erinnern und das nochmal mit den gleichen Argumenten durchdenken: Wenn es angeblich ein enormes Sakrileg ist, ein rassistisches Wort zu verändern, wie sieht es dann mit klarem Product Placement aus, das aufgrund von kommerziellen Interessen des Buchhandels gelöscht wird? Geht jetzt das Abendland unter, weil der heilige Text der Autorin verändert wurde? Oder wurde das Abendland gerettet, weil Dschingis Amazon vertrieben wurde?

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6 Antworten zu Der Amazon-Gutschein im Kinderbuch

  1. Gebloggt: Der Amazon-Gutschein im Kinderbuch http://t.co/KXUUStQ9Uh

  2. RT @biblioblogs: Der Amazon-Gutschein im Kinderbuch http://t.co/kwItoCKxH8

  3. Erbloggtes sagt:

    „Derartiges Productplacement in Kinderbüchern ist natürlich grundsätzlich abzulehnen“, schreibst Du. Product Placement ist aber laut Wikipedia nur „gegen Geld/Vorteile vorgenommene Integration des Namens […] in Massenmedien, ohne dass der Rezipient das als störend empfinden soll“. Das ist hier aber nicht gegeben, bzw. nicht bekannt, und ein Kommentator unter dem verlinkten Börsenblatt-Artikel fragt richtig:

    „Bekommt Carlsen für das Product Placement wenigstens Geld von Amazon, wenn der Verlag jetzt schon den Shitstorm hat?“

    Ich weiß es nicht. Und ich bezweifle, dass es irgendeine Aufsichtsbehörde gibt, die das ermitteln wird. Wenn es sich um Product Placement handeln würde, könnten die empörten Buchhändler ja Amazon abmahnen, solches Product Placement künftig zu unterlassen. Sie könnten es aber nicht beweisen. Daher machen sie mediales Trara, um Amazon wegen Product Placement zu brandmarken, ohne das explizit sagen zu müssen. – Machst Du ja für sie. Kriegst Du da eigentlich Geld für? ;)

    Ich gehe einfach (bis es Hinweise auf das Gegenteil gibt) mal davon aus, dass kein formales Product Placement vorliegt. Und die oben zitierte Stelle erscheint mir auch deutlich realistischer als Dir. Warum? Dazu möchte ich eine zweite Stelle aus dem Börsenblatt zitieren, die Aufschluss über weitere Elemente der Geschichte gibt:

    „Nach Rücksprache hat Conni-Autorin Dagmar Hoßfeld den Verlag gebeten, bei der nächsten Auflage den Namen des Internetanbieters „Amazon“ zu streichen, so dass Conni von ihrer in Großbritannien lebenden Freundin, die sie durch einen Schüleraustausch kennt, dann einen „Geschenkgutschein“ zum Geburtstag erhält.“

    Die Figur Conni ist 15, erfahren wir außerdem. Mandy (die den Amazon-Gutschein verschickt) wird also wahrscheinlich 14-16 Jahre alt sein. Lebte sie in Deutschland, verfügte sie durchschnittlich über Taschengeld von 35-50 Euro im Monat.[1] Natürlich gibt es einige Normen, die das Verschenken von Amazon-Gutscheinen verbieten, etwa das Gebot, dass Geburtstagsgeschenke persönlich sein sollen. Aber das macht es ja nicht unrealistisch, dass gegen solche Normen verstoßen wird (sondern höchstens unidealistisch – oder unpädagogisch, sofern Kinder[Jugend?]bücher immer und ausschließlich empfohlenes Verhalten vorführen sollen, was mir unplausibel erscheint).
    Der Amazon-Gutschein hat den Vorteil, dass er quasi keine Nebenkosten produziert. Ein Gutschein in Höhe von 10 Euro kostet dann auch 10 Euro (vielleicht auch etwas weniger oder mehr, je nachdem, wie die Bedingungen zwischen deutschem und britischem Amazon sich unterscheiden). Ein anderes Geschenk (beispielsweise ein in der lokalen Buchhandlung erworbenes Buch) würde Kosten für die Besorgung in der Stadt verursachen, z.B. 5 Euro für Fahrscheine (in Großbritannien entsprechend), außerdem Paketporto – von Großbritannien! Außer natürlich, Mandy bestellt ein Buch bei Amazon und lässt es als Geschenk an Conni liefern. Kostet das Buch 9,90 Euro, dann kostet das Verschenken nach diesem Modell ebenfalls 9,90 Euro.
    Um die Norm, keine Gutscheine zu verschenken, sondern etwas Persönliches, kann es ja hier auch nicht gehen, da auch in der veränderten Fassung ein Gutschein verschenkt wird. Und dabei ist noch gar nicht berücksichtigt, dass Mandy in Großbritannien in einen Buchladen gehen müsste, um ein Geschenk für Conni auszuwählen, wobei es sicherlich schwierig ist, Connis englische Lesekompetenz (und -freude) richtig einzuschätzen, oder für Conni ein deutsches Buch (in einem britischen Buchladen) zu kaufen!?
    Ich halte es aus diesen Gründen für absolut realistisch, dass an der betreffenden Stelle Amazon erwähnt wird, und zwar erstens, weil Internetshopping inzwischen einen großen Stellenwert im realen Leben vieler Menschen einnimmt (in der idealisierten Welt sozialer Normen allerdings noch nicht so). Zweitens, weil Amazon eine solch marktbeherrschende Stellung hat, jedenfalls im Bereich Onlineshopping von Büchern, um den es hier offensichtlich geht. Drittens halte ich Amazon auch für in der Lage, grenzüberschreitende Transaktionen einfacher abzuwickeln als jedes andere Modell.
    Ich erwarte von einem Jugendbuch, dass es die Lebenswelt von Jugendlichen einigermaßen realistisch einfängt. Und wenn in der Geschichte vorkommt, dass sie etwas im Internet suchen, dann hat da zu stehen, dass sie es googeln, und nicht, dass sie es „im Internet suchen“, „mit ixquick suchen“ oder „in die Bing-Suche eintippen“. Und in der Geschichte Bücher im Internet bestellt werden sollen, dann geschieht das selbstverständlich bei Amazon, außer es spricht etwas storyinternes dagegen.
    Und dass sich Conni mit dem Wort „Spitze!“ über den Gutschein freut, ist auch nicht besonders verwunderlich.
    Doch was macht nun der Carlsen Verlag mit der Autorin Hoßfeld – auf Druck der Bundhändler? Sie verfälschen die dargestellte Lebenswelt Jugendlicher bis ins Absurde: Einen „Geschenkgutschein“ erhält Conni nun. Aha. Sofern damit ausdrücklich nicht mehr gemeint sein soll, dass es ein Amazon-Gutschein ist, was ist es denn dann? Ein Gutschein vom so unterstützenswerten kleinen Buchhändler um die Ecke? Um die Ecke in Großbritannien, oder um die Ecke bei Conni? Wie soll das gehen? Oder welche Form hat der Gutschein sonst? Es wäre ja sogar teurer und aufwändiger, Bargeld in einen Brief zu stecken – dann müsste man ja Pfund in Euro wechseln.
    Und schreiben sich Mandy und Conni überhaupt Briefe, so richtig, auf Papier, oder doch eher E-Mails, und wie kommt der Gutschein dann an?
    Aus meiner Sicht ist es unrealistisch, anzunehmen, dass es sich in der Geschichte nun um etwas anderes als um einen Amazon-Gutschein handelt. Nur darf die Autorin ihn nicht mehr Amazon-Gutschein nennen, obwohl „Geschenkgutschein“ als Bezeichnung deutlich unverständlicher ist. Es wird ein Begriff also als aus dem Buch gestrichen, obwohl das Buch dadurch inhaltlich und sprachlich schlechter wird. Die Begründung kann nicht lauten, dass es sich um die legitime Vermeidung von Product Placement handelt, denn dazu müsste die Autorin oder der Verlag ja einräumen, dass Product Placement (inkl. Vorteilsnahme) vorlag. Als sachliche Begründung kann man diesen Vorgang mit der Macht der Buchhändler erklären, die mit Boykott drohen. „Wir beugen uns der Gewalt der Marktbedingungen“, hätte Carlsen mal als Pressemitteilung herausgeben sollen. Das rechtfertigt natürlich die Verhunzung von „Kunst“ nach Belieben, denn Marktbedingungen ist jedes Produkt unterworfen. Sogar „Die kleine Hexe“.
    Die ethisch legitimierende Begründung für die Änderung, die der Verlag jedoch ausschließlich liefert, lautet jedoch: „Wir haben kein Interesse, bestimmte Kunden oder Kundengruppen zu bevorzugen“. Mit „Kunden“ meinen sie wohl Buchhändler. Und mit „bevorzugen“ meinen sie wohl, dass es unfair sei, Amazon zu nennen, den Buchhändler um die Ecke aber nicht.
    [Polemikmodus ein] Schlimm, diese Political Correctness. Darf man hierzulande nichtmal mehr Buchhändler diskriminieren? Nein, darf man nicht. Denn die kleinen Buchhändler um die Ecke, die bewahren doch die deutsche Literatur, und mit ihr die deutsche Kultur, und wenn die untergehen, dann gehen die Deutschen unter. Ohne dass die Welt zuvor an ihrem Wesen genesen ist.[Polemikmodus aus]

  4. RT @Erbloggtes: Habe diese Woche mehr kommentiert als gebloggt, das aber entsprechend langatmig: Hier http://t.co/0VRgBLx0jK und hier http://t.co/LnuqRehHMQ

  5. RT @Erbloggtes: Habe diese Woche mehr kommentiert als gebloggt, das aber entsprechend langatmig: Hier http://t.co/0VRgBLx0jK und hier http://t.co/LnuqRehHMQ

  6. Martin sagt:

    Ich kann mich erinnern, dass im 2. oder 3. Harry Potter Buch im ersten Kapitel etwas von einer Play-Station erwähnt ist, die aus dem Fenster geworfen wurde. Es hat sich kein Nintendo oder Microsoft darüber beschwert, wenn ich mich nicht irre ;)

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