Brockhaus, ein Nachtrag

Die taz sagt in ihrem Nachruf eigentlich alles, was zum Ende des gedruckten Brockhaus gesagt werden muss:

Wer sich den 30-Bänder in der aktuellen, 21. Auflage zulegen würde, bekäme für seine 2.800 Euro ein Werk, das zwischen 2005 und 2006 erschienen ist. Der „Deutschland“-Artikel datiert vom Oktober 2005, Redaktionsschluss irgendwann im Frühjahr – da war Gerhard Schröder noch Bundeskanzler. Der amtierende US-Präsident wäre unter „Bush, George W.“ zu finden. Tröstlich allerdings, dass Loriot noch lebte und Rudi Carrell und Michael Jackson auch.

Matthias Schindler äußert sich auf der VereinDE-l positiv zu einer Befreiung der Brockhaus-Inhalte, wie sie neben mir auch die taz gefordert hat:

„Als die Meldung über das (dritte?) Ende von Brockhaus innerhalb von 5 Jahren gestern über dpa lief, haben via twitter sofort einige gleich nachgefragt, ob es nicht zu einer Freigabe der Inhalte kommen könnte.

Wir hatten eine ähnliche Diskussion vor vielen Jahren, als Microsoft
das Ende der Encarta bekanntgab. Unsere Frage nach Redmont war, ob man bereit sei in welcher form auch immer Nutzungs- und/oder Markenrechte an Texten, Bildmaterial und Software der Encarta freizugeben.  Microsoft hat nach einiger Bedenkzeit dann mitgeteilt, dass man diese Option nicht ins Auge fasse, unter anderem aus Haftungsgründen. Es kam also noch nicht einmal zu Verhandlungen zur Frage, wie viel Geld oder sonstige Leistungen gefordert und geboten werden.

Ich halte Bertelsmann hier für deutlich pragmatischer.

Die Frage ist, was genau gewünscht wird:

Denkbar wäre, sich auf den enzyklopädischen Teil von Brockhaus zu
konzentrieren (oder zumindest den lexikalischen Teil) und die Produkte  wie „Brockhaus perspektiv – Vorsicht Höchstspannung!
http://www.brockhaus.de/buecher/erwachsene/sachbuecher/index.php?we_objectID=2119  zu ignorieren. Geht es um die Nutzungsrechte der Texte (und Bilder?) der gedruckten 21. Auflage, dazu noch die Texte, die seit dem Druck durch die Redaktion in die Onlineausgabe eingeführt wurden? Will man
zusätzlich die Software haben für den Betrieb von brockhaus-enzyklopaedie.de? Hier ist noch überhaupt nicht erfasst, was
man damit machen möchte. Denkbar wäre der Versuch, den Stand der BE21 (und ggf. von Vorauflagen, von denen die meisten ja ebenfalls noch urheberrechtlich geschützt sind) im Netz zu behalten und den IST-Zustand dieser Enzyklopädie zu dokumentieren. Wichtiges Feature könnte die Freigabe unter einer (dann konsequenterweise auch freien) CC-Lizenz sein. Für den Fall, dass Brockhaus-Inhalte Aspekte abdecken, die von Wikipedia grundsätzlich als enzyklopädisch relevant anerkannt werden aber noch nicht erfasst sind, wäre eine Übernahme der Inhalte und die fortgesetzte Pflege der Inhalte denkbar. Ich erinnere daran, dass die deutschsprachige Wikipedia sich leidenschaftlich beim Meyers-Lexikon von 19-irgendwas und auch technischen Lexika des frühen 20. Jahrhunderts bedient hat, was zwar urheberrechtlich vertretbar, aber inhaltlich oft gewagt war.

Im Blog von Schmalenstroer fiel das Stichwort Stiftung. Eine solche „Stiftung enzyklopädisches Erbe“ (ihr alle kennt mit Sicherheit schönere Begriffe) könnte je nach finanzieller Kraft deutschland-, germanophonie- oder weltweit Nutzungsrechte von erloschenen Enzyklopädieprojekten aufkaufen und ggf. dazu Nachlass aus den Verlagsarchiven, z.B. Entwürfe, Redaktionsanweisungen, Autorenkorrespondenz, etc und all diese Inhalte dann der Nachwelt erhalten und – bevorzugt online – zum Ansehen und Nachnutzen bereitstellen. Auch das Meyers Konversationslexikon bzw. Meyers enzyklopädisches Lexikon, die (again) Encarta, auch ältere und gemeinfreie Lexika könnten darunter fallen. Das ist dann ab er schnell
eine große Aufgabe, die von ihrem Bedarf an Ressourcen weit über das ginge, was von Vereinen wie Wikimedia Deutschland gestemmt werden könnte. Und ob so etwas an einer Akademie der Wissenschaft als Langzeitforschungsprojekt angesiedelt werden könnte, kann ich ohne Recherche nicht beantworten.

Wenn man die „Minimallösung“ von oben sich anschaut, ist es auch hier schwer zu sagen, welches Preisschild an so einem Projekt hinge und
welche Geldforderungen Bertelsmann hat. Das ist zum Teil auch davon
abhängig, wie viele andere Firmen sich um die Marken- und
Nutzungsrechte von Brockhaus reissen werden und ob deren Pläne sich
überschneiden oder beissen mit dem, was hier vorgestellt wird. Grob
ins Blaue geschätzt reden wir eher von 10.000€ als von 1 Million, aber
da ist ein riesiger Unsicherheitsfaktor dran. Die genannten
Zahlenregionen von Michael halte ich für deutlich zu hoch gegriffen.
Es ist ausdrücklich kein Kriterium, wie viel Geld in der Vergangenheit
z.B. in die BE21 gesteckt wurde oder wie viele Verluste die Sparte bei
wissenmedia/Inmedia[One eingefahren hat.

Meiner Meinung nach wäre es mehr als schade, wenn die sehr
wechselvolle Geschichte von Brockhaus jetzt einfach so endete, ohne
dass zumindest das Erreichte der Nachwelt erhalten bliebe.

Mathias

Weiterführende Literatur zum Kontext:
http://blog.wikimedia.de/2009/03/24/das-gastspiel-unfreier-inhalte-im-netz/

Die Idee einer Stiftung, welche fleißig alte, vergriffene oder unprofitable Lexika aufkauft und frei zugänglich macht, gefällt mir. Gerade Fachlexika erscheinen häufig in homöopathischen Auflagen, enthalten aber das gesammelte Wissen einer gesamten Disziplin.

Bei anderen Werken ist es schade, dass sie nicht frei verfügbar sind. Hier im Schrank steht etwa das von Axel Schildt herausgegebene „Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. Ein Lexikon.“, in dem namhafte Historiker die Grundbegriffe eben dieser kurz und knapp auf dem aktuellen Forschungsstand erläutern. Das Werk erschien 2005, ist mittlerweile vergriffen und der C.H. Beck-Verlag plant keinen Nachdruck. Auf Amazon wird es für schlappe 45 Cent verhökert. Kommerziell ist das Werk tot, online unter freier Lizenz könnte es allerdings mehr als nützlich sein und in vielen Diskussionen auch eine Alternative zur Wikipedia bieten. Solche Werke verschwinden schnell in den Antiquariaten und in den Universitätsbibliotheken, wo sie zwischen dem LexMA und dem Pauly ein wenig beachtetes Dasein führen müssen. Ähnliches gilt auch für ältere Ausgaben von Lexika. So ist nicht nur die aktuelle, gedruckte Version des Brockhaus interessant, sondern etwa auch die älteren Ausgaben.

Ein Aufkaufen kommerzieller Inhalte kann aber auch problematisch sein. Tobias schreibt ebenfalls auf der Liste:

Es wäre auch zu befürchten, dass eine Erwartungshaltung einer
finanziellen Gegenleistung für die Freigabe von Inhalten unter einer
freien Lizenz entsteht: Warum soll das Bundesarchiv kostenlos Bilder
freigeben, wenn Bertelsmann für seine Inhalte Geld bekommt? Oder noch
weiter gedacht: Wieso sollte ich meine Inhalte kostenlos abgeben, wenn
andere etwas dafür bekommen?

Das ist ein Fallout unseres veralteten Urheberrechts: Eigentlich müssten Inhalte viel schneller in die Public Domain übergehen und natürlich müssten auch Inhalte, die Staatsangestellte wie Professoren in ihrer Arbeitszeit erstellen, gründsätzlich gemeinfrei sein. Solange dies allerdings nicht der Fall ist, sollte man pragmatisch handeln und versuchen, möglichst viele Inhalte zu befreien. Eine Stiftung Enzyklopädisches Wissen wäre ein guter Anfang.

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