Das Kompromat

Teil 1 einer Artikelserie über Geheimdienste, Überwachungstechnologien, das Geheimnis an sich, Zwerghamster und die NSA.

In der Debatte über die NSA-Spionage kommt eine Sache zu kurz: Das Kompromat. Dinge, die Menschen erpressbar machen. Dinge, die Menschen dazu verleiten, mit Geheimdiensten zusammenzuarbeiten und ihre Freunde und Verwandten zu verraten. Man muss nur mal darüber nachdenken, was im Zuge des Zusammenbruches der Stasi alles herausgekommen ist: Verwandte bespitzelten ihre eigenen Verwandten, Freunde ihre Freunde, Anwälte ihre Mandanten und sogar Ehemänner spionierten ihre Frauen aus. Und umgekehrt. Das ist definitiv kein normales Verhalten und das ist auch nicht durch die Überzeugungskraft der kommunistischen Ideologie zu erklären. Was bringt also einen Ehemann dazu, seine eigene Ehefrau auszuspionieren?

Die Antwort bietet eine der Standardrekrutierungsweisen für Spitzel, die von allen Geheimdiensten praktiziert wird: Erpressung. Ein Teil der Menschen ist so verkommen, dass er sich durch Geldzahlungen zum Spitzeln verleiten lässt. Der andere Teil hingegen wird erpresst. Wer in der DDR studieren wollte, musste nicht nur einen vorbildlichen Lebenslauf vorweisen. Manchmal wollte auch die Stasi einen Gefallen. Andere Geheimdienste arbeiten mit den gleichen Mitteln.

Das Kompromat ist der Weg, mit dem Geheimdienste ihre Spitzel zur Mitarbeit bewegen. Jeder hat etwas zu verbergen. Den Seitensprung. Den leicht illegalen Anbau am Haus. Irgendwelche kleinen Verfehlungen. Mal Gras geraucht? Oder vielleicht will er auch Karriere machen und doch die Beförderung bekommen. Oder den Traumjob. Was ist, wenn der nette Herr mit dem Schlapphut da gegen einen kleinen Gefallen nachhelfen könnte? Wär das nicht was? Oder sollen wir doch mal die letzte Steuererklärung etwas genauer untersuchen? Außerdem wissen wir, dass du dich mit deinem neuen Auto finanziell doch etwas übernommen hast. Wie wäre es mit einer steuerfreien Prämie?

Jeder Mensch ist kompromittierbar. Es gibt keinen, der nicht irgendwo Dreck am Stecken hat. Einer Studie zuvor bricht jeder Brite jede Woche 7x irgendwelche Gesetze. Jeder darf mal in sich reinhorchen und überlegen, welche Dinge ihn persönlich angreifbar machen. Doch die Geliebte? Diese Vorliebe für bestimmte Sexspielarten? Finanzielle Nöte? Verheimlichte Homosexualität? Oder doch nur alte Nacktfotos? Als Jugendliche schwanger gewesen und abgetrieben? Oder auch nur so langweilige Dinge wie Schulden?

Die NSA hat mit ihrer Internetüberwachung die perfekte Maschine gebaut, um Kompromate zu finden. Jeder darf sich einmal überlegen, ob er seine Googlesuchen öffentlich irgendwo posten würde. Die NSA kennt sie. Die NSA weiß auch, welche Pornos ihr euch abends (oder nachmittags) anschaut. Geodaten verraten, ob ihr neben eurer Ehe heimlich in den Stripclub geht. Die Liste ließe sich praktisch endlos fortsetzen.

Dabei darf man nicht nur von der doch sehr toleranten Gesellschaft in Deutschland ausgehen. Hier darf ein homosexueller Außenminister sein und hier darf auch der Kanzler mehrfach geschieden sein. Aber wie sieht das in anderen Ländern aus? Wie reagiert der russische Homosexuelle auf einen Rekrutierungsversuch der Amerikaner, die seine Besuche auf Pornoseiten kennen? Was ist mit dem konservativen Politiker aus dem Bible Belt? Oder wie soll sich der pakistanische Informant verhalten, dem plötzlich seine Google-Suchen vorgehalten werden? Oder die Afghanin, die heimlich mit einem fremden Mann auf Facebook gechattet hat?

Geheimdienste lassen sich nur verstehen, wenn man ihre Gier nach Kompromaten versteht. Die NSA hat mit Prism & Co das perfekte Werkzeug geschaffen, um Kompromate zu finden und sie wird es auch einsetzen. Was ist mit der umstrittenen Entscheidung, ob die NSA-Befugnisse zurückgenommen werden? Wäre es da nicht passend, einfach mal unauffällig bei ein paar Entscheidungsträgern anzurufen und ihnen ein Kompromat vorzuhalten? Kann man so die politischen Entscheidungen nicht viel besser steuern? Die Stasi hat damals aktiv Bundestagsabgeordnete bestochen, um etwa Brandts Ostpolitik durchzusetzen. Man sollte nicht denken, dass andere Geheimdienste nicht ähnlich agieren. Die Wikileaks-Cables haben etwa gezeigt, dass die USA einen Agenten bei den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und FDP hatten. War das wirklich so freiwillig? Denn Daten, die da sind, werden genutzt. Und es gibt Daten über uns alle.

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