Am Montag war ich in Bonn beim ersten „Weber World Café“ zum Thema „Bürger, Blogger, Botschafter – Diplomatie im 21. Jahrhundert“. Das Format des World Cafés war mir neu – statt der üblichen Podiumsdiskussion oder einzelnen Vorträgen traf man sich in einem gemütlichen Ambiente, setzte die Experten an verschiedene Tische und ließ sie jeweils 20 Minuten mit einer kleinen Gruppe über ihr Thema diskutieren. Nach dieser Zeit wechselte man den Tisch und diskutierte mit einem anderen Experten über ein anderes Thema. Das funktionierte gut und bot die Gelegenheit zu einem wirklichen Gedankenaustausch. Ich denke, dass wir das Format in Zukunft häufiger sehen werden – oder ich habe die letzten Jahre unter einem Stein gelebt und alle coolen Kinder sind schon wieder genervt von dieser Art des Wissensaustausches.
Das Format des World Café macht es allerdings extrem schwierig, ein zusammenfassendes Fazit zu ziehen. Die Themen variieren von Tisch zu Tisch und driften schnell in Detailfragen ab. An dem Abend diskutiere ich also über Putins Geheimdienstvergangenheit, die Ukraine-Krise, ein Austauschprogramm für ausländische Jungdiplomaten im Auswärtigen Amt, den arabischen Frühling, Archivzugang in Russland und Diplomatie per Twitter. Daher bietet es sich an, einfach mal zwei Aspekte herauszugreifen und etwas genauer zu beleuchten.
Diplomatie und Propaganda
Die Wikipedia definiert Diplomatie als „die Kunst und Praxis des Verhandelns zwischen bevollmächtigten Repräsentanten verschiedener Gruppen oder Nationen“. Propaganda hingegen „bezeichnet einen absichtlichen und systematischen Versuch, Sichtweisen zu formen, Erkenntnisse zu manipulieren und Verhalten zum Zwecke der Erzeugung einer vom Propagandisten erwünschten Reaktion zu steuern.“ Botschaften haben natürlich schon immer versucht, im jeweiligen Land eine gute Meinung über ihr eigenes Land zu schaffen. In dem Moment, in dem sie allerdings aktiv etwa über soziale Netzwerke an die Öffentlichkeit gehen, stellt sich schon die Frage, ob sie nicht damit Propaganda betreiben. Man muss sich nur den Twitter-Account des aktuellen US-Botschafters in Kiew anschauen und stellt fest, dass dieser ganz klar eine Agenda verfolgt – wie auch der Twitter-Account der US-Botschaft in Moskau. In dem Moment, in dem sich Botschaften und Botschaftler in die sozialen Netzwerke begeben, verändert sich ihre Rolle.
Gleichzeitig erleben wir gerade den Aufstieg von „Twitterarmeen“ – staatlich finanzierte Gruppierungen, die massiv Propaganda in sozialen Netzwerken machen. Die NSA besitzt ein Programm zur Beeinflussung von sozialen Medien, Erdogan hat seine Propagandisten und Putin natürlich auch. Diverse Firmen betreiben schon seit Jahren Astroturfing. Die digitale Öffentlichkeit ist gegenüber diesen bezahlten Schreibern recht machtlos – ich sehe hier in Zukunft einen Rückzug in privatere Kommunikationskanäle, wenn die öffentlichen mit Propaganda zugespammt werden. Im kleinen sieht man das bereits in den Kommentarspalten unserer Nachrichtenseiten. Dort tobt sich eine geifernde Horde aus, die sämtliche differenzierten Kommentatoren abschreckt. Es ist kein Zufall, dass die Artikel dann lieber im privateren Kreis, im eigenen Facebook-Profil, in kleineren Foren oder mit den Twitter-Followern diskutiert werden als direkt vor Ort. Spätestens wenn zwei bezahlte staatliche Social Media-Armeen zusammenprallen, dürfte der „normale“ Dialog zwischen den Bürgern verloren haben und die Analyse des Onlinediskurses zeigt nur noch an, wer die meiste Propaganda macht.
Verantwortung
Wir erleben gerade einen großen Backlash gegen offene Partizipation im Netz, gerade in autokratischen Staaten. Nach und nach werden Aktivisten zum Schweigen gebracht – sei es in Ägypten, Syrien, der Türkei, auf der Krim oder anderswo. Offene Kommunikation im Netz funktioniert nur dort, wo es Freiheitsrechte gibt. Überall anders ist es ein gefährliches Spiel – nicht erst seit der NSA-Affäre wissen wir, dass Kommuniktation im Netz intensiv überwacht wird. Das westliche Verhalten erinnert aber streckenweise frappierend an Maos Hundert Blumen-Bewegung. Damals forderte die KPCh die Bürger auf, sich kritisch zur Situation des Staates zu äußern. Im Anschluss daran wurden die Kritiker unterdrückt, in Arbeitslager gesteckt und ermordet. Wenn wir jetzt einerseits einen öffentlichen, kritischen Dialog im Internet fördern und andererseits fleißig Überwachungstechnologien und Datenanalysesoftware in autokratische Regime verkaufen und unsere Internetfirmen mit diesen Regimen kooperieren lassen, dann ist das ein unverantwortliches Spiel mit Menschenleben. Gerade der Diskurs in autokratischen Regimen und Diktaturen braucht Schutz – sowohl technisch, mit Verschlüsselung, Datenverweigerung und sicherer Kommunikationsinfrastruktur als auch diplomatisch – Dissidenten müssen mit allen verfügbaren Mitteln geschützt werden. Dieser Verantwortung muss gerade die westliche Diplomatie gerecht werden.
Disclosure: Die Max Weber Stiftung zahlte mir die Fahrtkosten. Außerdem verspeiste ich zwei Brezel und zwei Getränke. Weiterhin besitze ich jetzt einen Werbekuli.
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