Es spioniert in der alten Bundesrepublik

Die BILD-Zeitung berichtet momentan darüber, dass sie in den 50er und 60er Jahren vom Bundesnachrichtendienst ausspioniert wurde. Das ist ein durchaus dickes Ding – denn der BND ist bekanntermaßen der deutsche Auslandsgeheimdienst, der keinerlei Befugnis hat und hatte, im Inland tätig zu sein. Der BND ist direkt dem Bundeskanzleramt unterstellt und entsprechend haben wir einen handfesten Skandal. Adenauer, Erhard, Kiesinger und Brandt haben also recht direkt die deutsche Presse widerrechtlich ausspioniert – oder zumindest einen Dienst geduldet, den sie nicht unter Kontrolle hatten. Wer die westdeutsche Nachkriegsgeschichte als Erfolgsgeschichte erzählen will, bekommt durch solche Enthüllungen zunehmend ein Problem.

Aber zurück zu Axel Springer und dem BND: Insgesamt 7 Agenten sollen im Verlag agiert haben, besonders herausgestellt wird dabei Horst Mahnke. Wer war dieser Mann? 1913 geboren, Kaufmannssohn, ab 1935 Studium der Zeitungswissenschaften, Philosophie und Germanistik an der Universität Königsberg. 1937 Eintritt in NSDAP und SS. 1939 bis 1945 persönlicher Adjutant des SS-Standartenführers Franz Alfred Six. Six war Zeitungswissenschaftler, ab 1938 Professor für für Politische Wissenschaften an der Universität Königsberg und ab spätestens 1941 Massenmörder. Als Chef des Vorkommandos Moskau der SS-Einsatzgruppe B war er für zahlreiche Erschießungen von Juden verantwortlich. Mahnke war ihm in der “Gegnerforschung” als Leiter der Unterabteilung VII B2 “Marxismus” unterstellt und promovierte 1941 bei ihm mit einer Arbeit zur freimaurerischen Presse in Deutschland. 1943 wird Six Leiter der Kulturpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes.

Nach der Niederlage wird Mahnke 1946 interniert und bis 1948 in Bad Nenndorf interniert. Die Entnazifizierung trifft ihn glimpflich: 1948 wird er zu 400 DM Geldstrafe verurteilt, 1949 wird ihm untersagt, als “Lehrer, Jugendpfleger, Journalist oder Redakteur” tätig zu sein, dies wird aber bereits Anfang 1950 wieder aufgehoben. Mahnke findet daraufhin eine Anstellung beim … Spiegel. Dem “Sturmgeschütz der Demokratie”, das in seinen Anfangsjahren einige Altnazis in seinen Redakteursrängen hatte. Aus seinen Artikeln vom Spiegel ist einer besonders bemerkenswert und verdient es, einmal etwas näher betrachtet zu werden. Unter der Überschrift “Intelligenz hat Seltenheitswert” keilt höchstwahrscheinlich Mahnke (Spiegel-Artikel dieser Zeit haben keine Autorenangaben) kräftig gegen einen alten Kollegen aus: Giselher Wirsing, ebenfalls Journalist, ebenfalls ehemals SS, ebenfalls ehemals SD und ebenfalls nach dem Krieg in einflussreicher Stellung in der westdeutschen Nachkriegspresse tätig. Als Chefredakteur von Christ und Welt leitete er eine der einflussreichsten Wochenzeitungen mit einer Auflage, die damals über der der ZEIT lag.

Der Artikel ist bemerkenswert, weil hier eine alte Seilschaft aufbricht, die in der Nachkriegspresse lange Zeit das Sagen hatte: Alte NS-Propagandisten übernahmen schnell wichtige Schlüsselpositionen: Giselher Wirsing saß bei Christ & Welt, sein alter Tatkreis-Kollege Hans Zehrer war bei der Welt und übernahm als BILD-Kolumnist quasi die Rolle, die Franz Josef Wagner heute hat. Henri Nannen war Mitglied einer SS-Propagandakompanie. Die Liste alter NS-Propagandisten, die man lieber nicht Journalisten nennen sollte, ist lang – zu empfehlen ist hier das Buch “Schreiben nach jeder Richtung. Goebbelspropagandisten in der westdeutschen Nachkriegspresse” von Peter Köpf und das mit Wut geschriebene “Unheimliche Publizisten. Die verdrängte Vergangenheit der Medienmacher” von Otto Köhler.

Zurück zu Mahnke: 1960 wechselte er zu Springers Zeitschrift Kristall, die er bis 1966 leitete. Beim Lesen dieser Zeitschrift fallen vor allem die glorifizierenden Artikel über die Wehrmacht ins Auge. Die Legende von der sauberen Wehrmacht stammt zu einem gewissen Teil aus dieser Zeitschrift des Springer-Verlages. 1969 wird Mahnke dann Hauptgeschäftsführer des Verbandes deutscher Zeitungsverleger und ist dort bis 1980 tätig. Seine Rolle im RSHA und im Vorkommando Moskau wurde während seiner Lebenszeit nie thematisiert, er starb 1985. Noch im Jahr 2007 durfte der damals 85jährige ehemalige Verlagsdirektor des Spiegels, Hans Detlev Becker, dort Mahnkes Tätigkeit verteidigen: “Entnazifiziert ist Entnazifiziert”.

Die Enthüllung, dass er für den BND den Axel Springer-Verlag ausspioniert hat, passt ins Bild: Denn auch im Bundesnachrichtendienst waren damals vor allem Altnazis unterwegs. Dort arbeiteten die alten Kollegen der ehemaligen Abteilung “Fremde Heere Ost”, die während der Vorbereitung der Operation Barbarossa so spektakulär versagt hatten und die Stärke der sowjetischen Armee unterschätzten. Die Geschichte der Organisation Gehlen ist bislang noch nicht aufgearbeitet und auch die eingesetzte Historikerkommission ist schon gescheitert: 2007 (!) vernichtete der BND Personalakten von Altnazis. Und ohne Akten wird die Aufklärung unmöglich.

Wie kompliziert die Aufarbeitung eines Geheimdienstes ist, zeigt die Konkurrenz – die Stasi existiert nicht mehr, die Akten sind größtenteils der Forschung zugänglich und alleine ein Blick in ein Buch zur Stasi-Organisation zeigt, wie komplex ein Geheimdienst ist. Kopfrauchen ist da einprogrammiert. Und dann kommt noch ein weiteres Problem hinzu – wer über Geheimdienste redet, wirkt schnell paranoid. Wer in der Prä-Snowdenära alles das behauptet hätte, was Snowden dann enthüllte, der wäre schnell als Spinner abgestempelt worden. Und es ist nicht klar, wie groß der Einfluss der Geheimdienste wirklich ist – selbst die scheinbar alles abhörende, quasi allmächtige NSA scheitert regelmäßig daran, selbst Großereignisse wie den Aufstieg von ISIS oder 9/11 zu im Voraus erkennen. So ist denn auch fraglich, was denn der wirkliche Effekt von Mahnkes BND-Tätigkeit war – er lieferte Berichte über die BILD und den Springer-Verlag an den Geheimdienst. Ob das irgendwie den Lauf der Geschichte geändert hat, ist fraglich.

Zum Schluss noch zwei Gedanken: Zum einen darf Springer natürlich empört sein, dass sie widerrechtlich ausspioniert wurden. Dort sollte man aber auch überlegen, was ein Mann wie Mahnke überhaupt dort zu suchen hatte. Laut den Berichten hat er sich sogar eine Art Garantie von Patriarch Axel Springer geben lassen, dass dieser an ihm festhalten werde, selbst wenn seine Vergangenheit öffentlich thematisiert würde. Der zweite Schritt dieser Affäre wäre demnach, dass man sich sein Wirken und Schreiben dort einmal genauer anschaut. Das gilt auch für den Spiegel – im Kern berührt es den Mythos Augstein, wenn dieser ganz alte Nazis anheuerte. Lutz Hachmeister behauptet, dass dies ganz bewusst geschah, um spektakuläre NS-Geschichten bringen zu können, Hans Detlev Becker widerspricht:

SPIEGEL: Der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister behauptet sogar, Sie und Augstein hätten gezielt ehemalige SD-Leute, Gestapo-Leute und NS-Propagandisten geworben, um deren Insider-Kenntnisse über das NS-Regime auszuwerten.

Becker: Man überschätzt uns, so weit haben wir nicht gedacht. Die Stimmung war: Der Krieg ist aus, aber jeder hat sein Päckchen zu tragen. Mahnke und Wolff kamen nach meiner Erinnerung Ende der vierziger oder Anfang der fünfziger Jahre zum SPIEGEL. Die Währungsreform lag wenige Monate oder kaum Jahre zurück. Was vorgeherrscht hat, das war – wie soll man sagen – eine Art von Lebensgier: Wir haben mehr Kleidung, als wir brauchen. Wir haben Autos. Das ist heute nicht mehr vorstellbar.

Aus dem gleichen Interview stammt eine Passage, die aufhorchen lässt und vielleicht eine der besten Erklärungen der gesamten Affäre, der frühen Spiegel-Jahrgänge und des Springer-Verlages ist:

SPIEGEL: Der SPIEGEL wird gern als „Sturmgeschütz der Demokratie“ bezeichnet, eine Formulierung, die von Rudolf Augstein nach 1962 geprägt wurde, damals aber ironisch gemeint war. Wie war denn Ihr Selbstverständnis als Journalist in den fünfziger Jahren im SPIEGEL? Haben Sie eine Botschaft gehabt, etwa: „Wir kämpfen für die Demokratie!“

Becker: Also ich bestimmt nicht.

Weiterhin liegt es nahe, dass der BND nicht nur eine Zeitung ausspioniert hat, sondern auch in anderen einflussreichen Blättern Agenten sitzen hatte. Es wäre schön, wenn auch andere Verlage auf Herausgabe entsprechender Akten beim BND pochen würden. Und wenn man schon mal dabei ist, darf man auch einige alte Ausgaben lesen und kritisch reflektieren.

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6 Antworten zu Es spioniert in der alten Bundesrepublik

  1. [http://t.co/An7OZAhON5] Es spioniert in der alten Bundesrepublik http://t.co/4AfhobfJRJ

  2. vom Zeitungswissenschaftler zum Massenmörder
    RT @MschFr: Gestern gebloggt: Es spioniert in der alten Bundesrepublik http://t.co/PYeB0mkCh1

  3. Gerald Fix sagt:

    Und es ist nicht klar, wie groß der Einfluss der Geheimdienste wirklich ist – selbst die scheinbar alles abhörende, quasi allmächtige NSA scheitert regelmäßig daran, selbst Großereignisse wie den Aufstieg von ISIS oder 9/11 zu im Voraus erkennen.

    Helmut Schmidt wurde mal gefragt, ob er aus der Berichten des Bundesnachrichtendienstes weitreichende Erkenntnisse ziehen könne. Wer täglich die NZZ lese, sei besser informiert, so seine Antwort.

  4. Korrekteuse von wn030 (= Putzfrau in Spätschicht) sagt:

    „ab 1938 Professor für für Politische Wissenschaften an der Universität Königsberg und ab spätestens 1941 Massenmörder“ -> „für für“ doppelmoppel weg

    „Nach der Niederlage wird Mahnke 1946 interniert und bis 1948 in Bad Nenndorf interniert.“ – ursprünglich ein grammatikalisch-stilistisches Problem (Wortwiederholung und dadurch unklare Zugehörigkeit des Verbs), das dadurch auch zu einem inhaltlichen wird: mögliche Umschreibungen, je nach tatsächlicher Sachlage (einzuschätzen vom schreibenden Historiker): „Nach der Niederlage wird Mahnke 1946 bis 1948 in Bad Nenndorf interniert“ (dann nur ohne das „und“) oder: „Nach der Niederlage wird Mahnke 1946 verhaftet und bis 1948 in Bad Nenndorf interniert“ (dann also mit dem ergänzenden „verhaftet“) oder „Nach der Niederlage wird Mahnke 1946 in [evtl. fehlender Ort, falls der Satz anders geplant war] und bis 1948 in Bad Nenndorf interniert (das wäre dann beihebahlung des alleinigen Hauptverbs bei eventueller bloßer Wortwiederholung, die beim Tippen versehentlich geschah, dann würde aber Unklarheit herrschen, ab wann er in Bad Nenndorf interniert war, diese Intention des Satzes halte ich daher am Wenigsten für wahrscheinlich). Eventuell trifft die erste Umschreibung als Korrekturversuch der Wortwiederholung zu.

    Ansonsten ist mir beim Lesen der nächsten Absätze dermaßen die Kinnlade runter, dass etwaige weitere Wortwiederholungen von meinem Sprachzentrum wahrscheinlich nichtmal bemerkt worden wären, wenn sie dreimal hintereinander stünden und neonbunt leuchtend formatiert wären. Spannender Text.

    Zu Snowden finde ich übrigens unglaublich spannend, dass das Sylrecht, auf dessen Grundlage so einige Leute, die ich kenne, hier weilen, sich seit Kurzem dematerialisiert hat. Die offizielle Begründung des Bundeskanzleramts ist ja, dass die USA hier so viele Sonderrechte hätten, dass sie ihn nicht vor einem Zugriff der Amerikaner schützen könnten. Was, übersetzt, nichts anderes bedeutet als „ja, die USA dürfen bei uns Leute entführen, das ist legal hier so und absolut üblich. Wir hätten nicht gedacht, dass sich hier jemand darüber wundert. Aber das wussten Sie sicher schon, denn wenn das nicht so wäre, würden wir ja einen Asylrechtparagraphen in unserer Gesetzgebung haben und so etwas werden Sie ja nicht behaupten wollen, je in unseren Gesetzesblättern gelesen zu haben…“. Da das Eine (Asylrecht) das Andere (Recht auf Entführung) sich gegenseitig ausschließt, bedeutet die Begründung des Kanzleramtes nichts anderes als das. Das Asylrecht hat sich dematerialisiert, vielleicht findet ein Historiker in ein- oder zweihundert Jahren heraus, wann genau die Dematerialisierung vor sich gegangen ist. Und wie lange sie braucht, um um sich zu greifen (keine Wortwiederholung: brauchen, um und um sich). Denn sie kann sich ja nicht für einen Fall alleine dematerialisieren. Wenn es das Asylrecht nicht gibt, dann gibt es das allgemein ist, dauert vieleicht nur, um in größeren Radien anzukommen. Weshalb ich, wie gesagt, ein paar Leute kenne, die aktuell unheimlich gebannt und mit kleinen Handykameras bewaffnet ihre Pässe anstarren, als wären es Waschmaschinen oder Notebookdisplays, um den Augenblick der Auflösung des Stempels in Feenstaub nicht zu verpassen und ihn für die Ewigkeit (oder zumindest für die Historiker in ein- oder zweihundert Jahren) festzuhalten.

  5. @Tazleser sagt:

    Es spioniert in der alten Bundesrepublik http://t.co/EHRkj2d0tC „Alte NS-Propagandisten übernahmen schnell wichtige Schlüsselpositionen…“

  6. @Tazleser sagt:

    (immer noch an die divas von der letzten bank) -> 2. https://t.co/7Svk5sWYBF @pattyLuzina @bjokie …direktlink: http://t.co/EHRkj2d0tC

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