Nach 49 Jahren – rassistische Passage im dtv-Atlas Weltgeschichte entdeckt

Ups, das ist mehr als peinlich: Im dtv-Atlas Weltgeschichte, einem der wohl meistverkauften Geschichtsbücher, das bei praktisch jedem Historiker im Regal stehen dürfte, wurde eine klar rassistische Passage entdeckt. Diese ist anscheined bereits seit 1966 in dem Werk enthalten uns bislang anscheinend noch keinem aufgefallen:

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aus: dtv-Atlas Weltgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Aktualisierte Neuausgabe, dtv 2006, S. 341

Der Begriff Wirtsvolk ist ganz klar antisemitisch und rassistisch besetzt. Er bezeichnet ursprünglich in der Biologie ein von Parasiten befallenes Bienen- oder Ameisenvolk und wurde dann im 19. und 20. Jahrhundert im Rahmen der Biologismusideologie auf Juden angewendet, die angeblich parasitär innerhalb von „Wirtsvölkern“ leben.

Es ist faszinierend, dass so dermaßen klare Nazibegriffe es noch 1966 in ein derartiges Standardwerk schafften und vor allem, dass dies so lange keinem aufgefallen ist. Der dtv-Weltatlas stand damals in meinem ersten Semester auf der Liste der Bücher, von denen meine Profs meinten, dass man sie unbedingt kaufen sollte. Entsprechend steht er auch in zigtausenden Historikerbuchregalen und trotzdem ist diese Stelle anscheinend noch keinem aufgefallen. Handelt es sich etwa um ein potemkisches Buch, das zwar jeder besitzt, aber keiner gelesen hat?

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5 Antworten zu Nach 49 Jahren – rassistische Passage im dtv-Atlas Weltgeschichte entdeckt

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  4. historytoby sagt:

    Es ist kein potemkisches Buch; ich glaube nicht, dass die Macher/innen des dtv WAG die Absicht hatten, das jemand das ganze Ding durch liest. Meine eigene Ausgabe hat ihre stark benutzten, immer wieder zu Rate gezogenen Seiten (röm. Reich, weil Rome: Total War; Deutschland 1933-1939, weil Hearts Of Iron 2); und immer wieder übersprungene Seiten (Mittelalter, weil… Mittelalter. Sorry @karolinedoering).

    Spaß beiseite: Ich denke eher, dass die Stelle nicht auffiel, weil sie für wenige Leute interessant ist. Diejenigen, die es gelesen haben, hätten es aber eigentlich früher merken müssen. Die Sache ist schon wirklich sehr skurril. Vielleicht bestand auch vor einigen Jahren noch nicht so die Sensibilität zum Thema?

    Was mich vor allem interessieren würde, ist, ob in den 1950ern jemand mit Persilschein in die Redaktion kam und da wirklich antisemitisches Gedankengut einbasteln wollte, oder ob das eine unreflektierte Übernahme von Forschungsliteratur (prä 1945? vll. sogar prä 1933=) war.

  5. AndreasP sagt:

    Ich habe mir gerade zufällig das Vorwort zum Reclam Balletführer, Ausgabe 1985, durchgelesen. Dort wurde das Vorwort von 1974 wohl unverändert abgedruckt. Hier eine kleine Kostprobe: „Man kann den Jazztanz eine natürliche Sache nennen, weil er vom spezifischen Köprerbewußtsein der Neger abhängig war. Heute hat man auch aus ihm eine übertragbare, lehr- und lernbare Technik entwickelt. Die Neger machen aber imer noch eine bessere Figur beim Jazztanz, weil sie ihreGlieder – wohl ganz unbewußt – besser zu koordinieren verstehen, worauaf es bei dieser Tanzform wesentlich ankommt.“ […] „“Man könnte den Jazztanz ganz einfach „animalisch“ nennen.“ […] „Das setzt Einverständnis mit dem Körperlichen voraus, was den Negern offenbar leichter fällt als den Weißen, was freilich evolutionsgeschichtlich leicht zu erklären ist. Weil das so ist, begegnet man kaum einmal dem reinen Jazztanz, am ehesten noch bei Balletvompagnien, die aus Negern oder mittel- und südamerikanischen Mischlingen bestehen.“

    Das war die Bundesrepublik Deutschland 1985, ein „hochkulturelles“ Buch in einem sehr renommierten Verlag.

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