Straßenkampf

In Deutschland tobt der Straßenkampf. In Großstädten. In  Kleinstädten. In Dörfern. In den Bergen. Auf dem platten Land. Anwohner gehen auf die Barrikaden. Leserbriefspalten platzen bundesweit und hinterlassen eine Schneise intellektueller Verwüstung: Es geht um die Frage, wie mit Straßen umzugehen ist, die nach eher fragwürdigen Zeitgenossen benannt wurden oder die an eher zweifelhafte Ereignisse erinnern.

In Münster tobte die Debatte um den Hindenburgplatz besonders heftig. Paul von Hindenburg war alles andere als ein verehrungswürdiger Mensch – im Ersten Weltkrieg errichtete er de facto eine Militärdiktatur und er brachte Hitler an die Macht. In Folge der heftigen Debatten, die in einem Bürgerentscheid mündeten, wurde auch eine Historikerkommission eingesetzt, die systematisch alle münsteraner Straßennamen untersucht hat. Dabei sind einige aufgefallen, die nach NS-Leuten benannt waren.

In anderen westfälischen Städten wird gerade fleißig über die sogenannten Heimatdichter debattiert, allen voran Karl Wagenfeld und Agnes Miegel. Kaum eine Stadt hier ist ohne Agnes Miegel-Straße oder ohne Karl Wagenfeld-Weg.

Dumm nur, dass diese Heimatdichter sehr tief in den Nationalsozialismus verstrickt waren und dessen Ideologie in ihren Werken verbreitet haben. Das hat aber die frühen Bundesbürger nicht davon abgehalten, diese fleißig zu lesen und zu ehren. Straßen und Schulen wurden nach ihnen benannt und so weiter. Agnes Miegel wurde von der Bundespost mit einer Sonderbriefmarke geehrt und ihr Wohnhaus in Bad Nenndorf wurde promt zum Museum. Natürlich gibt es auch eine Agnes-Miegel-Gesellschaft.

Diese schafft es im Jahr 2015 immer noch, folgendes zu schreiben:

Die Berühmtheit der Dichterin und ihre Themen kommen den neuen Machthabern 1933 sehr gelegen. 1933 wird Agnes Miegel in die Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste aufgenommen, eine Anerkennung und eine Ehre, die ihr für viele Jahre zum Verhängnis werden soll. Die Nationalsozialisten können sie gebrauchen, glauben sie doch in ihrer ostpreußischen und altpreußischen Thematik etwas von „Blut und Boden“ zu erkennen. Doch Rassismus oder gar Antisemitismus gibt es bei ihr ebenso wenig wie Maximen von Gewalt, Hass, Unrecht oder Intoleranz. In ihren Werken findet sich vor allem eine deutliche Sprache der Menschlichkeit, Toleranz, Versöhnung und Verständigung auch über Grenzen hinweg als höchstes Lebensgesetz. Agnes Miegels dichterisches Werk in diesen Jahren wird bestimmt durch eine große Vielfalt in Stoff und Formen.

Agnes Miegel war nie ein politisch denkender Mensch und durchschaute nicht, wie das NS-Regime sie für seine Ziele und Zwecke instrumentalisiert. Noch weniger erkannte sie, worum es dem NS-Regime tatsächlich ging. So erlag sie, wie unzählige andere, dem Bann Adolf Hitlers und seiner Propaganda und trat der NSDAP bei – zumal Hitler sich in dem seit dem Versailler Vertrag vom übrigen Reich abgetrennten Ostpreußen als ein Retter darstellte. Agnes Miegel liebte ihre Heimat, aber ihr grenzdeutscher Patriotismus darf auch heute nicht mit einem Bekenntnis zur nationalsozialistischen Ideologie verwechselt werden. Die Gedichte, die sie an Hitler richtete und in dem Pathos der Zeit schrieb, sind vor allem emotional, nicht politisch zu verstehen.

http://www.agnes-miegel-gesellschaft.de/biographie/index.html

In diese immer noch gerade unter älteren Menschen verbreitete Verehrung stößt jetzt der Gedanke, dass die naziverehrende Frau Miegel nicht unbedingt eine Person ist, nach der man Schulen oder Straßen benennen sollte. So formuliert der Bericht der Historikerkommission der Stadt Münster:

Agnes Miegel muss als Person des öffentlichen Lebens angesehen werden, die nach außen hin aktiv den Nationalsozialismus vertreten hat, die gerade bei den Frauen und in der Jugend für ihn geworben hat und die für den Nationalsozialismus eine wichtige Symbolfigur war.

http://www.muenster.de/stadt/strassennamen/agnes-miegel-strasse.html

Angesichts solcher Zitate (und huldigenden Gedichten auf Adolf Hitler) ist es auch nur schwer, die Sicht der Agnes-Miegel-Gesellschaft von der angeblich naiven und unpolitischen Dichterin zu übernehmen:

2015-08-08 19.40.10

Im westfälischen Ahlen wird es an diesem Sonntag einen Bürgerentscheid geben, der sich um die Frage dreht, ob die nach Castelle, Pfitzner, Wagenfeld und Miegel benannten Straßen umbenannt werden sollen. Die Argumente der Umbenennungsgegner sind sehr bemerkenswert. Werfen wir zuerst einmal einen Blick auf die überall in der Stadt aufgestellten Plakate:

2015-08-10 17.28.14

Argumente? Fehlanzeige. Argumente gibt es aber in dem offiziellen „Informationsblatt der Stadt Ahlen zum Bürgerentscheid“:

2015-08-11 20.56.23

Das muss man einfach etwas genauer betrachten:

„Die Namensgeber der Straßen haben zwar damals dem nationalsozialistischen System teilweise unkritisch, bisweilen auch wohlwollend gegenüber gestanden.“

Zuerst: Brillianter rhetorischer Trick, dass eine glühende Verehrerin Hitlers dem System „gegenüber steht“, also quasi entgegengesetzt. Die Verharmlosung beginnt also schon im ersten Satz. Unkritische und „bisweilen auch wohlwollende“ schreiben sicherlich keine lobeshuldigen Gedichte und Texte auf das Regime.

„Müssen wir deshalb den Stab über Sie brechen?“

 Natürlich. „Einen Stab brechen“ bedeutet einfach nur „ein Urteil fällen“. Wenn es darum geht, ob Straßen nach ihnen benannt werden sollen, muss man halt ein Urteil fällen.

„Wir wenden uns gegen eine Umbenennung, weil wir die Personen nicht mit dem Unrechtsregime gleichsetzen wollen, denn sie waren für dessen verbrecherisches Tun nicht persönlich verantwortlich.“

Ein Straßenname ist eine Ehrung einer Person. Straßen werden nur nach besonders verdienten Personen benannt und da stellt sich dann doch die Frage, ob jemand eine Ehrung verdient hat, der das Naziregime glorifiziert hat.

Gleichzeitig muss man auch noch etwas anderes feststellen: Um für das verbrecherische Tun des Naziregimes verantwortlich zu sein, muss man nicht persönlich an der Rampe in Auschwitz gestanden haben. Auch die Unterstützung des Regimes etwa als Funktionsträger, als Propagandist oder auch als glühender Anhänger lädt Schuld auf eine Person. Wer als Dichter dieses Regime glorifiziert hat, hat es unterstützt. Und ist damit auch persönlich für dessen Verbrechen mitverantwortlich.

„Sie unterscheiden sich auch nicht von vielen in dieser unrühmlichen Zeit lebenden Deutschen.“

Fehlender Widerstand, Unterstützung, Mitläufertum, fleißiges Feiern des Regimes und Begeisterung für es sind ja genau das Problem dieser Zeit. Es geht übrigens nicht um Totalverbannung und Einstampfen aller ihrer Bücher, sondern einfach nur darum, keine Nazifans und Mitläufer mit eigenen Straßennamen zu ehren.

„Außerdem scheint die negative Bewertung der Namensgeber willkürlich und die Auswahl unvollständig zu sein. Andere Persönlichkeiten z.B. des Wirtschaftslebens, die ohne Frage zu den Profiteuren des NS-Regimes zu zählen sind, verbleiben weiterhin im Stadtbild.“

Genau. In dem Bereich besteht definitiv weiterer Handlungsbedarf – auch andere Straßennamen sind nicht immer gut. Wir haben in Deutschland Straßen, die nach Kolonialverbrechern benannt sind. Straßen, die nach vom NS profitierenden Industriellen benannt sind. Straßen wie die unzähligen Sedanstraßen, die den Sieg über Frankreich glorifizieren. Wir haben auch noch genügend Hindenburgstraßen. Aber als Argument taugt das nicht, gerade weil die Bürgerinitiative entsprechende Ansätze abschreckt – denn wenn schon bei eindeutigen Nazidichtern eine Bürgerinitiative wütend vor die Rathaustore zieht, sinkt die Bereitschaft, auch andere Straßen umzubenennen.

„In anderen Städten haben sich die Ratsmitglieder gegen eine Umbenennung der in der Diskussion stehenden Straßennamen entschieden.“

Ja und? Es ist ja gerade das schöne an einer Demokratie, dass verschiedene lokale Parlamente unterschiedliche Entscheidungen treffen dürfen. Es ist ein komisches Verständnis von demokratischer Entscheidungsfindung, wenn man dem Rat der Stadt Ahlen vorwirft, dass der Rat von Bad Nenndorf anders entschieden hat.

„Wenn nunmehr die Notwendigkeit gesehen wird, die Namensgeber 70 Jahre nach Kriegsende zu ächten, muss dieses verhältnismäßig geschehen.“

Wieso muss das eigentlich geschehen? Zum einen hat die Stadt Münster nach der Hindenburgplatzkontroverse ausführlich durch eine Historikerkommission ihre Straßennamen analysieren lassen. Das Ergebnis zur Agnes-Miegel-Straße war, dass sie besser umbenannt werden sollte. Mehr Verhältnismäßigkeit geht eigentlich gar nicht – man untersucht alle Namensgeber von Straßen, schaut sich deren Biographie an, präsentiert diese auf einer allen zugänglichen Internetseite und spricht als Experte eine Empfehlung aus. Es gibt auch keinen Grund, warum jede Stadt eigene Historikerkommissionen einsetzen muss, man kann als Nachbarstadt durchaus auf die einmal erstellten Ergebnisse zurückgreifen.

„Die Anwohner der betroffenen Straßen haben sich mehrheitlich gegen eine Umbenennung ausgesprochen. Das sollte respektiert werden.“

Es ist verständlich, wenn Anwohner etwas gegen die Umbenennung ihrer Straße haben. Schon alleine der Papierkrieg, um alle Dokumente umzuschreiben, ist nervig. Aber das kann nur am Rande eine Rolle spielen.

Nehmen wir zur Verdeutlichung mal ein besonders krasses Beispiel: Die Einwohner eines fiktiven Adolf-Hitler-Weges wollen nicht, dass die Straße umbenannt wird, weil sie keine Lust haben, mit der Aboabteilung ihrer Fernsehzeitung zu telefonieren. In der Debatte um die Frage, ob man Adolf Hitler mit einem Straßennamen ehren soll, darf das keine Rolle spielen.

„Der Erläuterungstext unterhalb der betroffenen Straßen mit aufklärendem Inhalt wäre ausreichend gewesen. Dazu ist es aber nicht gekommen.“

Ein Erläuterungstext ist nicht ausreichend – zum einen ist auf einem typischen Straßennamensschild denkbar wenig Platz für eine komplexe Erläuterung und zum anderen tauchen Straßennamen auch außerhalb der eigentlichen Straße auf. Leute, die etwa nur einen Brief an einen Anwohner schreiben oder ein Paket versenden, lesen den Namen der Straße. Auf Karten taucht nur der Name auf. In Adresslisten taucht nur der Name auf. Ebenso im Perso. Eine Erklärung am Straßenschild hilft da nicht viel. Den Bewohnern des oben angedachten Adolf-Hitler-Weges dürfte ein Hinweisschild jedenfalls nicht viel nutzen.

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