15 Jahre Wikipedia

15 Jahre – das ist eine lange Zeit. Und es ist Zeit, einmal in die Zeit v.W. (vor Wikipedia) zurückzublicken. Wie informierte man sich damals? Platzhirsch der Lexika war damals Microsofts Encarta. Nicht als Webseite, sondern auf CD-ROM. Neben Encarta, welche gerne gebrannt im Freundeskreis verteilt wurde, gab es auch noch den Brockhaus und die Encyclopædia Britannica.

Damit die Kunden auch brav jedes Jahr die neue Ausgabe für Preise ab 50€ kauften, ließen sich die Hersteller einiges einfallen: Die Silberscheiben wurden mit immer neuen Multimedia-Spielereien ausgestattet. Da gab es dann plötzlich Videos und Animationen zu sehen. Es gab interaktive Quiz zum spielen. Lernabenteuer. Wissensnetze. Atlanten. Originalquellen wurden hinzugefügt. Rennomierte (und weniger rennomierte) Autoren durften Essays zu verschiedenen Themen verfassen. Es gab 3D-Modelle. Panoramafotos. Einen graphischen Taschenrechner.

Generell wurde viel experimentiert: Die Encarta 2003 führte Buchzusammenfassungen und Fremdwörterbücher ein. Microsoft kaufte fleißig in der Branche ein und integrierte die Inhalte in Encarta. Brockhaus und Encyclopædia Britannica hielten dagegen und bauten ähnliche Programme auf.

Und dann kam das Internet. Noch nicht die Wikipedia, aber das Internet. Der Trend ging weg von den CD-ROMs, die man jedes Mal im Regal suchen und ins Laufwerk einlegen musste, wenn man gerade was nachschlagen wollte, hin zu praktischen Webseiten. Die Telekom führte DSL ein, was nicht nur schneller war, sondern vor allem auch den Vorteil hatte, dass es eine echte Flatrate beinhaltete. Endlich konnte man den ganzen Tag im Internet surfen ohne sich zu ruinieren oder die einzige Telefonleitung im Haus zu blockieren bis sich die Familienmitglieder beschwerten.

Microsoft, Brockhaus & Co. versuchten es mit Abodiensten. Eine regelmäßige Mitgliedschaftsgebühr sollte den jährlichen Kauf der CD-ROM ablösen. Dies stieß nicht gerade auf Begeisterung – die Zahlungsbereitschaft für Webdienste war damals noch nicht so stark ausgeprägt wie heute und natürlich hatten sich damals bereits viele daran gewöhnt, sich einfach jedes Jahr irgendwoher eine gebrannte Version der Encarta zu besorgen. Außerdem machten die CD-ROMs noch starke Konkurrenz – denn angesichts der horrenden Abopreise war es doch sehr attraktiv, die CD-ROM aus dem Regal zu holen.

Zu diesem Zeitpunkt war die Print-Enzyklopädie bereits tot, sie wußte es nur noch nicht. Encarta bot für weniger als einen Hunderter eine umfangreiche Enzyklopädie an, die zudem deutlich weniger Platz im Regal verlangte. Die Wikipedia killte dann das Geschäftsmodell von CD-ROM-Encarta und kostenpflichtigen Online-Enzyklopädien.

Wie konnte das passieren? Der Sharing-Gedanke war bereits damals stark im Internet ausgeprägt. Das, was heute gerne als Social Web gehypt wird, gab es natürlich auch schon mit Foren, Newsgroups, IRC, ICQ & Co. Da war ein Abomodell natürlich denkbar ungünstig – wer in einer hitzigen Diskussion in einem Forum auf den Brockhaus verlinkte, um eine Argumentation zu belegen und zu unterfüttern, der konnte davon ausgehen, dass das Gegenüber kein Abo abschloß. Paywalls haben auch damals schon nicht funktioniert.

Die Wikipedia stieß in diese Lücke – sie war zu verlinken. Man konnte ganze Beiträge in Foren posten ohne gleich von windigen Anwälten verfolgt zu werden. Und für den Zugang musste man sich nirgends anmelden. Google hat das schnell honoriert, seit über einem Jahrzehnt dominiert die Wikipedia die vorderen Suchmaschinenplätze. Langsam schlich sie sich in mein Leben – irgendwann stieß man auf einen Link zu ihr. Und dann immer häufiger. Egal ob per Verlinkung oder per Google, sie schlich sich in mein Leben. Und irgendwann schaute ich mal genauer hin und war begeistert. Zum wirklich aktiven Autoren bin ich nie geworden, ich fühlte mich immer zu dumm. Themen, zu denen ich etwas zu sagen hatte, waren schon mit ausführlichen Artikeln versehen. Rechtschreibfehler mockieren kann ich aber.

Jetzt wird viel geschrieben über die Krise der Wikipedia, aber man muss einfach eines sagen: Ohne sie sähe es schlecht aus. Wenn wir für ein Lexikon eine Jahresgebühr von $70 pro Jahr zahlen müssen, wie es die Brittanica momentan verlangt, dann wären wir alle deutlich schlechter informiert. Von daher: Herzlichen Glückwunsch, Wikipedia! Auf die nächsten 15 Jahre!

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