Der schwierige Zugang zu Archivgut

Mareike König fragt auf Twitter, welche Wünsche Archivnutzer an Archive für die Zukunft haben. 


Mein Wunsch wäre eine Möglichkeit, Archivgut einzusehen ohne gleich mehrere Urlaubstage und/oder mehrere Hundert Euro investieren zu müssen. 

Nach dem Studium hat es mich bekanntermaßen in die freie Wirtschaft gezogen mit all dem, was so Standard ist: 40 Tage Woche und 30 Tage Urlaubsanspruch. Das geschichtswissenschaftliche Interesse ist aber geblieben – der Gang ins Archiv ist aber deutlich schwieriger geworden. Als Student hatte ich die freie Zeiteinteilung und vorlesungsfreie Zeiten, in denen ein Archivaufenthalt möglich war. Als Arbeitnehmer sieht dies aber anders aus: Da arbeitet man unter der Woche und hat dann am Wochenende frei. Nehmen wir mal einen Besuch im Bundesarchiv in Koblenz. Das hat folgende Öffnungszeiten, die für ein Archiv schon recht großzügig sind:

Ich wohne in Freiburg und damit ganz ungünstig unten links in der Republik und damit ca. 3,5 Stunden bzw. 330 Kilometer entfernt. Nach Feierabend um 16:30 habe ich keine Chance, dort zu forschen. Ich muss also einen Urlaubs- oder Gleitzeittag nehmen, morgens sehr früh aufstehen und Abends sehr spät zurückkommen, um mir im Archiv etwas anzuschauen. 
Das Bundesarchiv habe ich jetzt als Beispiel genommen und hier sieht die Rechnung sogar noch ok aus. Will ich etwa in die Außenstelle des Bundesarchivs in Berlin Lichterfelde wird das ganze noch schlimmer:

Berlin ist mit 800 Kilometern deutlich weiter entfernt als Koblenz und schlechter zu erreichen. Eine Anreise am gleichen Tag ist wenig sinnvoll und daher käme hier noch eine Hotelübernachtung hinzu. Dazu kommen dann die Fahrtkosten. Auch bei Archiven vor Ort ist das häufig schwer: Das Freiburger Staatsarchiv hat Mo-Fr von 8-16 Uhr auf und damit genau zu den Zeiten, in denen mein Chef mich sehen will.
Das ist keine Forderung, dass Archivare alle am Wochenende und Abends arbeiten sollen. Klar, regelmäßige Samstags- oder Sonntagsöffnungszeiten könnten neue Benutzergruppen erschließen, aber die sind unter den Bedingungen des öffentlichen Dienstes wohl nur schwer umzusetzen. 

Und ja, als Arbeitnehmer hat man Urlaubstage. Aber die sind begrenzt und je nach persönlicher Situation nicht immer frei verfügbar. Wer etwa Familie und Kinder hat, muss eh arg mit seinen Urlaubstagen jonglieren, um Kita-Ferien, Schulferien, kranke Kinder und Familienurlaube abzudecken. Ein Archivbesuch ist dann … Luxus. Ein finanzieller und zeitlicher Luxus, den sich nicht jeder leisten kann. 

Archivbesuche sind auch aus Klimaschutzgründen eigentlich der pure Wahnsinn: Da fährt man hunderte Kilometer quer durch die Republik und guckt sich dann einen Haufen altes Papier an. Wenn ich mir anschaue, wie häufig einige meiner ehemaligen Komilitonen für ihre Doktorarbeit sogar quer durch die Welt fliegen, nur um sich Papier anzuschauen, das auch problemlos einzuscannen wäre, dann ist das der pure Wahnsinn. Genauer gesagt fliegt da jemand dann tausende Kilometer in die USA, nach Korea, Israel, London, Paris oder Moskau, um in einem Archivraum zu sitzen und Akten abzufotografieren. Da muss es eine bessere Lösung geben: Es gibt Archivdienstleister, die einem Akten besorgen, aber die nehmen natürlich auch Premiumtarife. Ohne jetzt völlig berechtigte Entlohnung für Arbeitsstunden, Sozialabgaben, unternehmerisches Risiko und so weiter in Frage zu stellen: Bei Kosten von 50 Cent pro Seite, größeren Beständen und schreibewütigen Forschungssubjekten geht das ganz schnell ins Geld.

Ich bin skeptisch, ob Digitalisierung hier helfen kann. Dafür sind die Bestände der Archive zu groß und es gibt auch gute Gründe, etwa Prozessakten mit höchst persönlichen Informationen über normale Bürger nicht einfach ins Internet zu stellen. Die Forderung, einfach alles einzuscannen, kann aufgrund von begrenzter Möglichkeiten und Ressourcen nicht erfüllt werden.

Um es kurz zu formulieren: Ich wünsche mir eine Zugriffsmöglichkeit, die es auch normalen Arbeitnehmern erlaubt ohne großes Investment von Zeit, Urlaubstagen und Geld auf Archivgut zuzugreifen. Wie diese Lösung aussieht? Ich weiß es nicht. Deutlich günstigere Digitalisierungskosten? Eine Art Subito / Fernleihe für Archivalien? Ich höre den Aufschrei von Archivaren schon laut, aber wenn man neue Nutzerschichten jenseits von fest- und prekärangestellten Wissenschaftlern und Rentnern erschließen will, fehlt noch die zündende Idee.

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