So schlimm war es noch nie

„Es war wie im Krieg“
„Ein noch nie dagewesenes Ausmaß an Gewalt“
„Eine neue Dimension der Gewalt“
„Wir haben es insgesamt mit einer Verrohung zu tun, der Umgangsformen, der Gewalt, die angewendet wird“
„Bürgerkriegsähnliche Zustände“

Immer, wenn es irgendwo in Deutschland einen Gewaltausbruch oder Krawalle gibt, fallen in den Medien solche Sätze. Sie sind wirkungsvoll und die Botschaft ist klar: Noch nie war es so schlimm wie jetzt und es wird immer schlimmer. Die Barbaren stehen vor den Toren und die Jugend von heute… schrecklich, Else! Da muss doch jemand was tun!

So eindrucksvoll das ist, so falsch ist das aber. Es wird natürlich schwer werden, das Level an Gewalt des Kriegsendes zu übertreffen mit marodierenden SS-Einheiten, Standgerichten und Massenmorden. Natürlich kann man jetzt auch ganz tief in die Geschichte eintauchen und auf den dreißigjährigen Krieg verweisen, in dem ebenfalls größere Teile Deutschlands verwüstet wurden. Das muss man aber gar nicht: Selbst in gar nicht so lang vergangenen Zeiten waren die Demonstrationen deutlich gewalttätiger.

Hier einfach mal ein Beispielsvideo aus der Hausbesetzerszene Berlins der 1980er:

Solche Bilder und so ein Ausmaß an Gewalt sind mittlerweile nicht mehr zu sehen.

Mittlerweile ist die Polizei zudem deutlich besser ausgerüstet. Schon ein Vergleich der individuellen Schutzausrüstung spricht Bände. Während bei den Krawallen der 1968er die Polizei nur mit normaler Ausrüstung unterwegs war, sind die Bereitschaftspolizisten mittlerweile gepanzert wie ein mittelalterlicher Ritter. Das macht einen gewaltigen Unterschied, wenn z.B. Steine fliegen. Alte Nachrichtenartikel und auch Videos zeigen deutlich, dass früher mehr Steine geworfen wurden.

Auch sonst: Demonstranten, die regelmäßig Steinschleudern mit Stahlkugeln mit auf Demos nehmen? Brennende Barrikaden? Randalierer, die mit Motorradhelmen und Stöcken herumlaufen? Viertägige Straßenschlachten mit 40.000 Teilnehmern? Polizisten, die während einer Demo erschossen werden? Mittlerweile in Deutschland eher undenkbar.

Jetzt ist natürlich jede Ausschreitung und jeder Krawall schlecht. Aber man sollte auch nicht völlig geschichtsvergessen sein und behaupten, dass es ein „noch nie dagewesenes Ausmaß an Gewalt“ war. Wir leben aktuell in Deutschland in einer Zeit, die so friedlich ist, wie noch nie zuvor. Gewaltkriminalität ist auf einem Rekordtief und daran ändern dann auch einzelne Fälle nichts. Mit entsprechender Rhetorik kann man natürlich die Oma in ihrem Reihenhaus in Panik versetzen – aber das ist nicht die Aufgabe von Polizei und Politik.

Anders gesagt: Wer historische Vergleiche zieht, der sollte auch etwas Ahnung von Geschichte haben. Ansonsten redet man nämlich ganz schnell Unfug. Und das will doch wirklich keiner.

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