Statuen oder Stalassen?

Spätestens nachdem Demonstranten eine Statue von Edward Colston medienwirksam im Hafen von Bristol versenkt haben und Black Lives Matter-Demonstranten die Statuen konföderierter Generäle in den Fokus nehmen, wird wieder heftigst um unsere Gedenkkultur gestritten. Hier ein paar Gedanken zum Thema.

Eine Statue ist immer eine Ehrung. Mir ist kein Beispiel einer „Anti-Statue“ bekannt, wo eine Statue eines schlechten Menschen aufgestellt wurde, um ihn zu verspotten. Als Statue dargestellt werden nur die Helden, die Vorbilder, die Großen und die Verehrenswerten. Es gibt Denkmäler und Gedenkstätten, die an schlimme Ereignisse erinnern. Die Menschen, welche diese schlimmen Dinge getan haben, werden dort nicht als Statue dargestellt. Man sieht auf sowjetischen Mahnmalen ab und an Nazisoldaten und -symbole, die von einem Rotarmisten in den Staub getreten werden, aber ein Mahnmal für die Verbrechen des Nationalsozialismus mit einer Hitler-Statue ist undenkbar.  

Eine Statue ist also eine andauernde Ehrung. Solange die Statue steht, wird die dargestellte Person geehrt – das ist der einzige Sinn und Zweck einer Statue. Ein Blick in Diktaturen mit großem Personenkult zeigt, wie das funktioniert: Da wird wirklich alles mit Darstellungen des großen Anführers versehen. In jedem Gebäude hängt ein Portrait, er ist auf den Münzen und Geldscheinen, er wird in Grußformeln („Heil Hitler“) integriert, es gibt jeden Tag Rituale, die ihn ehren und natürlich wird der öffentliche Raum mit Wandbildern, Plakaten und Statuen gepflastert. Daher stehen in Nordkorea überall Statuen der Kims.

Dahinter steckt eine ganz bewusste Politik, die gewissermaßen eine symbolische Landnahme vornimmt. Im Fall des Diktators ist das ganz klar – da wird dann der entsprechende „Große Vater“ überall platziert, um zu zeigen, dass all das seins ist und von ihm beherrscht wird. 

Daher ist auch eine Entfernung der entsprechenden Denkmäler regelmäßig ein Zeichen eines Regimewechsel. Nach Stalins Tod begann in der Sowjetunion die Phase der Entstalinisierung, in der u.a. auch genau das gemacht wurde: Es wurden die Symbole und Darstellungen Stalins flächendeckend beseitigt. Die Bilder verschwanden, die Plakate, die Stadt Stalingrad wurde wieder in Wolgograd umbenannt, Stalinstadt in Eisenhüttenstadt und die ganzen Denkmäler und Büsten Stalins verschwanden. Heute muss man schon lange suchen, um noch welche zu finden. 

Ähnlich wurde auch von den Alliierten mit den Symbolen des Nationalsozialismus verfahren. Hitlerbilder wurden entfernt, Hakenkreuzornamente von den Fassaden geholt und gemeißelt und natürlich auch die in jedem Ort zu findende Adolf-Hitler-Straße umbenannt. Dass wir uns in Deutschland eine wilde Debatte um die Umbenennung von Hindenburg-Straßen und -plätzen liefern, liegt auch daran, dass die Alliierten hier gute Arbeit geleistet und diese symbolische Inbesitznahme des öffentlichen Raumes durch den Nationalsozialismus schon vor Jahrzehnten konsequent beseitigt haben. Wir streiten uns jetzt über die „Grauzonen“.

Wichtig bei der Bewertung von Statuen und ihrer Erhaltungswürdigkeit ist es daher, die Geschichte ihrer Aufstellung und die Intention der Aufsteller zu betrachten. So stellt es sich bei den aktuell in den USA so stark in der Kritik stehenden Denkmälern für Konföderierte heraus, dass diese schlicht und einfach nicht zeitgenössisch sind. Ein Großteil dieser Statuen wurde erst in den 1960ern aufgestellt und zwar ganz bewusst als Reaktion auf das Civil Rights Movement. Wenn man das weiß, dann führt dies quasi automatisch zu einem anderen Umgang mit der entsprechenden Statue. Es geht nicht darum, dass man den Parthenon-Fries zerstört, aber viele dieser Statuen haben ungefähr so viel mit Geschichte zu tun wie das „300“-Tattoo auf dem Bizeps eines Kampfsportlers.

Ich bin auch sehr skeptisch bezüglich des Argumentes, dass andere Zeiten andere moralische Einstellungen hatten und dass man historische Personen nicht mit heutigen moralischen Maßstäben messen kann. Zum einen darf natürlich jede Zeit selbst entscheiden, wen sie mit einer Statue ehrt und wen nicht. Es gibt kein Anrecht der Vergangenheit auf Zukunft – genau wie man die von Oma geerbte Wohnung umgestalten darf und das häßliche Sofa rauswerfen kann, darf eine Gesellschaft natürlich jederzeit den Umgang mit den Monumenten der Vergangenheit neu diskutieren und diese entfernen.

Zum anderen stellt es sich heraus, dass menschenfeindliches Verhalten, wilder Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Sklaverei, Völkermord und andere aktuell in der Kritik stehende Verhaltensweisen meistens auch schon zeitgenössisch in der Kritik waren. Es hat sich natürlich nicht jeder dieser Kritik angenommen und Profitgier siegte auch früher zu häufig über Moral. Aber wenn man genauer hinschaut, dann gab es meistens auch schon zeitgenössisch massive Kritik. Ein Christopher Kolumbus wurde wegen seiner Grausamkeiten zwischenzeitlich sogar von der spanischen Krone inhaftiert. Der belgische König Leopold II. war auch zu Lebzeiten schon wegen seiner Kolonialverbrechen berüchtigt. Die Sklaverei in den Amerikas wurde von Beginn an heftig kritisiert und spätestens in der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs, zur Zeit der Konföderation, gab es eine mehr als lebhafte „Debatte“ um die Sklaverei. Natürlich kann man die Sklaverei so toll finden, dass man um ihre Abschaffung zu verhindern einen offenen Bürgerkrieg beginnt, aber dann muss man sich auch dem Urteil nicht nur späterer Historiker stellen. Schaut man genauer hin, wurden fast all die aktuell in der Diskussion stehenden Statuen-Menschen auch schon zeitgenössisch heftig kritisiert.

Man darf auch gewisse Ambiguitäten und Grautöne nicht vergessen. In England wird gerade über Statuen von Winston Churchill diskutiert. Der hat natürlich im Zweiten Weltkrieg die Nation gegen die Nazis geführt und ist damit aus der Sicht vieler ein absoluter Held. Gleichzeitig war er aber auch ganz klar ein in der Tradition des Empires stehender Rassist, der gegenüber den kolonialen Subjekten nur Verachtung empfand („I hate Indians. They are a beastly people with a beastly religion“) und besonders bei der Hungersnot in Bengalen 1943 alle Kritik mehr als nur verdient hat. Das Gleiche gilt auch für Robert Koch – einerseits ein Arzt, der mit seiner Impfstoffforschung definitiv eine Statue verdient hat. Andererseits hat er mit seiner Kampagne gegen die Schlafkrankheit in Deutsch-Ostafrika ein großes Verbrechen begangen, für das er sich natürlich der Kritik stellen muss.

Das führt zum nächsten Thema: Der Begriff „Umstritten“. Es ist so, dass Menschen häufig unterschiedlicher Meinung sind. Weiße Südstaatenbewohner können die Konföderation toll finden, die Konföderierten Flagge auf ihren Pickup-Truck kleben und sich jedes Mal freuen, wenn sie eine Statue von General Robert E. Lee sehen. Schwarze Südstaatenbewohner werden dies anders sehen und das sind auch Themen, bei dem man nur schwer eine gesamtgesellschaftliche Einigkeit schaffen kann. Irgendein AfD-Politiker findet sicherlich auch die Umbenennung der Adolf-Hitler-Straßen blöd, andere wollen Stalin-Denkmäler neu errichten und die nächsten dann wieder andere Denkmäler abreißen. Die Erinnerung an die Vergangenheit ist immer höchst umstritten, gerade da es häufig gar nicht um die Vergangenheit selbst geht, sondern um aktuelle politische Themen. Der Bau einer Statue für eine entsprechend umstrittene Person ist ein ganz bewusster Akt, der dieser Debatte gewissermaßen einen in Stein gemeißelten Endpunkt geben will. Dem ist natürlich nie so – die Debatte verlagert sich dann auf die Entfernung der Statue, geht aber eigentlich weiter um die historische Bewertung dieser Person, an der sich verschiedene politische Lager reiben und aktuelle Konflikte austragen können.

Statuen und sonstige Ehrungen wie Straßen- oder Institutionennamen erfüllen hier genau ihren Zweck. Sie „verewigen“ die damit geehrte Person und verhindern, dass sie in Vergessenheit gerät. Andere Sklavenhändler aus Bristol sind langsam in Vergessenheit geraten. Edward Colston hat eine Statue (und mehr) bekommen, die ihn ständig wieder in Erinnerung gerufen hat und die ihn so „unsterblich“ gemacht hat. Die Versenkung im Hafenbecken hat daher genau den passenden Symbolcharakter.

Gerade da Statuen so extrem aufgeladen sind und so extrem stark Geschichtspolitik betreiben, ist eine Entfernung immer eine Option. Es ist sogar relativ einfach, da man sie ja entfernen kann und dabei nicht wie Gebäude zerstören muss. Eine Statue kann man in ein Museumsdepot transferieren oder an einen anderen Platz versetzen. In einigen Ländern gibt es auch Statuenparks, in die all die ganzen alten, nicht mehr erwünschten Statuen gestellt wurden. Eine Gesellschaft darf aber immer wieder neu aushandeln, wen sie mit einer Statue ehren will und wen nicht. Es gibt genügend Menschen, die tolle und ehrenswerte Sachen gemacht haben und die nicht irgendwelche Verbrechen begangen haben oder glühende Antisemiten und Rassisten waren. Man muss Straßen und Plätze auch nicht nach Menschen oder historischen Ereignissen benennen: Pflanzen („Lilienstraße“) oder Tiere („Pferdegasse“) funktionieren auch und in den meisten Fällen ist allen mehr geholfen, wenn man Straßen danach benennt, wo sie hinführen („Mainzer Straße“). Ein Schlossplatz ist für Ortsfremde leichter zu verorten als ein Hindenburgplatz.

Was soll man also machen? Ich persönlich halte wenig davon, bestehende Statuen und Denkmäler irgendwie zu „brechen“, in dem man sie mit einem Schild begleitet oder durch Gegendenkmäler flankiert. Wenn es um Statuen für Verbrecher geht, dann sollte man diese umgehend entfernen. Denn Verbrecher, Völkermörder, Kriegstreiber oder Kolonialisten sollte man nicht ehren.

Dieser Beitrag wurde unter Denkmäler veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.