Analoge Workflows

Nachdem ich mich letztens etwas über unangenehme Änderungen bei IFTTT beschwert habe, möchte ich mich jetzt einfach mal allgemein beschweren: Die Digitalwirtschaft tut gerne so als würde ihre Software die Produktivität erhöhen. Manchmal stimmt dies auch – ohne Excel würde die deutsche Wirtschaft komplett zusammenbrechen. Gleichzeitig sind analoge Workflows und Arbeitsprozesse einfach viel, viel zukunftssicherer als jede Software. Software ist nämlich einem stetigen Verschlechterungsprozess ausgesetzt.

Trotz aller Versprechen, dass Digitalisierung die Zukunft ist und dass die Digitalisierung aller Arbeitsprozesse viel Zeit spart und alles effizienter macht, sind analoge Arbeitsweisen immer noch zukunftssicherer. Kaum eine Software schafft es, Datenformate, Prozesse und Arbeitsweisen über Jahre und Jahrzehnte konstant zu halten.

Betrachtet man die letzten Jahrzehnte, dann gab es eine stetige Veränderung in der Systemlandschaft: Von den Heimcomputern der 80er hin zu den DOS-Maschinen der 90er über Windows 3.11, 95, 98 hin zu Windows XP, Vista, 7, 8 und jetzt 10. Dabei ist vieles an Software verloren gegangen. Von den führenden Software-Anbietern der Commodore 64-Ära ist kaum noch einer übrig. Deren Produktivitäts- oder Notizensoftware ist dann meistens vom Markt verschwunden. Blöd, wenn man jahreland seine Notizen und Dokumente in einer Software auf dem C64 gespeichert hat und sie da nicht mehr herausbekommt. Oder wenn man jahrelang eine Literaturdatenbank gepflegt hat, die jetzt keine Zukunft mehr hat. Die Tagebuch-App aus dem PlayStore wird in wenigen Jahren keiner mehr auslesen können.

Aber auch Anbieter, die blieben – also Microsoft -, haben ihre Software stetig weiterentwickelt oder verschlimmbessert. In deutschen Büros sitzen immer noch Menschen, die über die „neue“ Benutzeroberfläche von Office 2007 schimpfen. Jetzt kann man natürlich laut darüber lästern, dass jemand nach 13 Jahren es nicht geschafft hat, sich an das neue Interface zu gewöhnen. Aber die Kernfrage ist ja, warum jemand sich überhaupt ständig an neue Interfaces gewöhnen sollen muss. Manchmal macht ein Redesign Sinn, aber in den meisten Fällen wird einfach viel Wissen obsolet gemacht, weil dann die Druckerverwaltung plötzlich an einem anderen Ort ist.

Webseiten und Onlinedienste sind da noch radikaler: Ohne große Ankündigung wird dann von heute auf morgen das komplette Layout geändert und der Nutzer muss damit zurecht kommen. Wohlgemerkt: Verändert, nicht unbedingt verbessert. Meistens gehen diverse Features verloren, gewohnte Klickwege verschwinden und Lesezeichen führen plötzlich in die Irre oder hinter eine Paywall. Prinzip: Friss oder Stirb.

Wenn die geliebte Notizenapp plötzlich anders aussieht und sich anders bedient, dann ist das ein harter Schlag für den Nutzer. Er muss sich aktiv umgewöhnen. Oder ihm wurde etwas für ihn elementares genommen. Wird die App gleich komplett eingestampft , steht der Nutzer alleine und verloren da. Eine Weiternutzung der vorhandenen Daten in anderen Anwendungen ist häufig nicht möglich.

Analoge Workflows haben dieses Problem nicht. Ein Notizbuch ist ein Notizbuch und es ist jedem überlassen, was er dort mit handelsüblichen Stiften hineinschreibt. Wer einmal ein System gefunden hat, dass ihm passt, der kann dieses bis an sein Lebensende nutzen. Ob BulletJournal oder Zettelkasten – es reicht, dies einmal zu lernen und gut ist. Da ändert keiner das Layout – außer der Nutzer will es aktiv. Da dreht keiner am Datenbankformat. Kein Hersteller geht pleite und wenn, dann kann man auch Notizbücher und Stifte eines anderen nutzen. Es gibt keinen Lock-in-Effekt, sondern einfach die volle Kontrolle. Ein papierbasiertes Notizsystem ist daher absurder Weise zukunftssicherer als ein digitales, softwarebasiertes Notizsystem.

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