Adrian Daub hat ein höchst kluges Buch geschrieben: „What Tech calls thinking – an inquiry into the intellectual bedrock of Silicon Valley“ macht genau das, was der Titel verspricht. Daub ist Professor für Comparative Literature and German Studies an der Standford University und ist damit in der privilegierten Situation, dass er das Geschehen und Denken im Silicon Valley zugleich sehr direkt und dann auch distanziert betrachten kann. Ein Großteil der Startups und Techfirmen wird von Stanford-Absolventen gegründet, aber natürlich studieren diese zuvor seltener vergleichende Literaturwissenschaften. Er ist also nah dran – aber eben nicht so nah, dass er keine distanzierte Haltung hätte.
Wird der Großteil der Startups wirklich von Stanford-Absolventen gegründet? Von wegen, denn natürlich gehört es zur richtigen Heldenerzählung eines erfolgreichen Firmengründers, dass er seine Firma bereits während des Studiums gegründet und dann das Studium abgebrochen hat. Doch was hat man als Student überhaupt gelernt bis zum typischen „Gründungsabbruch“? In welchem Semester erfolgt dieser? Wie greift dies die klassischen Aussteiger-Erzählungen der Gegenkultur der 60er Jahre auf? Wo sind die Zusammenhänge? Und woher kommt diese Faszination des Silicon Valley mit dem „Genie“? Das Silicon Valley gibt ja nichts auf die klassisch-deutsche Gründungsbiographie: Erst irgendwie Studium oder Ausbildung fertig zu bekommen und dann mehrere Jahre Berufserfahrung zu sammeln und dann auf Basis dieser eine eigene Firma gründen. Die klassischen Tech-Gründer sind jung, ehrgeizig und in der Selbstdarstellung „Genies“ oder „Wunderkinder“ oder „Wizz Kids“. Überflieger, die durch die pure Kraft ihrer Fähigkeiten milliardenschwere Firmen aus dem Nichts erschaffen. Im Wohnheimszimmer, neben dem Studium.
Oder nehmen wir diese Dualität der Techkonzerne: Sie gelten zum einen als die besten Firmen, für die man arbeiten kann und sie gelten auch als brutale Ausbeuter und Firmen, für die man definitiv nicht arbeiten will. Der Entwickler in der Amazon-Zentrale wird fürstlich, gar königlich bezahlt, bekommt ein Büro der Luxusklasse gestellt mit kostenlosem Fitnessstudio, mehreren kostenlosen Mensen und vielleicht auch dem Klischee-Kickertisch. Der arme Tropf im Amazon-Lager hingegen ist einer stetigen Leistungskontrolle ausgesetzt und darf noch nicht mal auf die Toilette gehen. Bei anderen Firmen ist es ähnlich: Oben eine gehätschelte und verwöhnte Elite, unten ein ausgebeutetes Klickprekatiat. Wo kommt dies her? Und was hat das mit den Theorien von Marshall McLuhan zu tun? Daub erklärt es.
Und nicht nur das: Was ist eigentlich diese „Disruption“, welche die Startups betreiben wollen und was für Ideen stecken dahinter? Was sagt der Slogan „Fail better“ aus und was hat er mit Karl Marx zu tun? Daub schlägt messerscharfe Analysen in den Nebel der Corporate-PR, die täglich aus dem Silicon Valley herüberprasselt. Das macht das Buch höchst lesenswert.
Es ist allerdings ein schmaler Band mit etwas über 100 Seiten – an einigen Stellen hätte ich mir mehr „Fleisch“ gewünscht, denn es ist doch ein Buch für Insider. Wer sich bislang mit dem Silicon Valley weniger beschäftigt hat, der wird höchstwahrscheinlich eher etwas verloren durch die Seiten schwimmen. Zu viele Firmen, Ideen, Personen und intellektuelle Konzepte branden in wenigen Seiten auf einen ein. Und wer im 3. Semester sein Studium abgebrochen hat, um eine Firma zu gründen, wird umgekehrt auch nicht den geistesgeschichtlichen Background haben, um jetzt eine kurze Zusammenfassung dieser komplexen Theorien ergründen zu können, auf denen sein Denken basiert. Hier wäre ein etwas dickeres Buch wünschenswert gewesen.
Aber auch so: Da das Buch recht schmal ist, liest es sich schnell und es erweitert den Geist, wenn es um diese Tech-Ideen geht. Und da diese nicht nur im Silicon Valley gefeiert werden, sondern aufgrund dessen Erfolg so nach und nach in noch verdrehterer Form auch in unsere Arbeitsleben sickern, lohnt sich die Lektüre. Denn wenn dein Chef plötzlich einen Kickertisch in den Aufenthaltsraum stellt und sich trotzdem nichts ändert, dann kommt das aus dem Silicon Valley.
Danke an Helen für diesen Buchtipp!