
Es gibt einige Worte, die so westdeutsch sind, dass sie mittlerweile fast komplett aus dem Sprachgebrauch verschwunden sind. Heute: Fremdenzimmer
Der Begriff „Fremdenzimmer“ ist ehrlich. Statt sich mit umschreibenden, schmeichelnden Bezeichnungen wie „Gästezimmer“ oder „Ferienwohnung“ die bittere Wahrheit zu übertünchen, haut das Fremdenzimmer dem Reisenden genau das ins Gesicht, was er eigentlich nicht hören will: Er ist fremd. Er ist nicht von hier. Er gehört nicht dazu. Ein Fremdenzimmer ist für Fremde.
Das ist gewissermaßen eine wohltuende Abgrenzung zu unserem heutigen Tourismus, der das Authentische in den Vordergrund stellen will und dabei das zerstört, was der Tourist sucht. Das Drama des modernen Touristen ist es, dass er in die fremden Kulturen eintauchen will, in der Fremde aber nur ein hohles Schauspiel und ein dreckiges Schmierentheater vorfindet. Der Erste, der fremde Regionen bereist, wird noch gastfreundlich aufgenommen und bekommt einen authentischen Eindruck in die Kultur und Lebensweise der Menschen. Die Menschen vor Ort kommen aber schnell auf den Kieker, dass Touristen Geld bringen. Dann wird die kleine, urige Kneipe schnell zur Touristenfalle, in die kein Einheimischer mehr geht. Eine leere Kulisse wie eine Piratenbar in einem Freizeitpark. Und das schnuckelige kleine Örtchen wird schnell von einem ganz spezifischen Typ von Unternehmer okkupiert: Postkarten, Souveniers, Nippes, lokal hergestellter Blödsinn und völlig überteuerte Mitbringsel. Die Boutique mit Klamotten, die sich kein Einheimischer leisten kann und schon gar nicht anziehen würde.
Das Fremdenzimmer weist dem Touristen seine Rolle ganz anders zu: Er ist der Fremde. Er kann zwar ein Zimmer mieten, aber er ist nicht Gast. Er ist nicht Besucher. Es wird zwar sein Geld genommen, aber er ist nicht überall willkommen. Du bist fremd, hier kannst du übernachten, lass uns in Ruhe, mach deinen Krams alleine. Das unterscheidet das Fremdenzimmer von den heutigen Gästezimmern, Bed & Breakfasts, Hostels, AirBNBs und wie sie alle heißen, die versuchen den Gast möglichst zu umschmeicheln. Der moderne „Gast“ will eben Gast sein und nicht Kunde, er sucht das Authentische, er sucht den Kontakt zu den Locals und er steht immer vor der Tragik, dass die Locals ihn eigentlich nicht wollen, wenn er in Massen auftaucht. Außer, er zahlt Geld für seine Experience. Aber das wäre wieder nicht authentisch. Daher hasst der Tourist andere Touristen und findet andere Touristen schrecklich. Gleichzeitig ist er auch Teil der Masse der Touristen, macht touristische Digne und hasst sich gewissermaßen selbst.
Das Fremdenzimmer verhält sich zum Gästezimmer wie der Doppelkorn zum Aperol Spritz – statt der modernen Scheinwelt Tourismus ist es einfach ehrlich. Du bist der Fremde. Die Locals wollen dich nicht kennenlernen, sondern deine Kohle. Schönen Urlaub!