Westdeutsche Worte: Autowandern

Werbung aus der ADAC-Motorwelt 6/1962

Es gibt einige Worte, die so westdeutsch sind, dass sie mittlerweile fast komplett aus dem Sprachgebrauch verschwunden sind. Heute: Autowandern. Autowandern ist etwas, das sich eigentlich selbst widerspricht. Ein Auto fährt. Ein Mensch wandert mit seinen Beinen. Ein Auto wandert nicht, denn es hat keine Beine. Wandern ist eng mit dem Naturerlebnis verbunden, beim Wandern geht der Mensch in die Natur, will den Wald und die Höhen erleben und erfahren. Wandern macht man in der Natur. Im Gewerbegebiet wandert keiner und entlang einer Bundesstraße auch nicht. Der Wanderweg ist gewissermaßen das Gegenteil einer Straße – er ist nicht befestigt, naturnah, schmal und mitten in der Natur. Eine Straße ist genau das Gegenteil. Ein Einschnitt in die Natur. Breit. Asphaltiert. Man fährt schnell drüber und entdeckt keine Kleinigkeiten am Wegesrand. Der rationale Weg von A nach B.

Aber in Westdeutschland wurde geautowandert. Das, was man heute „Road Trip“ nennt, gibt es auch in 70er Jahre-Mief mit ausgewiesenen Ferien- und Touristenstraßen wie der „Deutschen Uhrenstraße“ oder der „Deutschen Märchenstraße“. Der ADAC definiert sie als „eine auf Dauer angelegte Reiseroute mit einem speziellen Thema bezeichnet, die den Zweck verfolgt, das Gebiet der Streckenführung touristisch besser zu vermarkten“. Der Wikipedia-Artikel zu diesen Autowanderrouten beinhaltet so wunderbare Sätze wie „Zur Kennzeichnung von Ferienstraßen findet in Deutschland insbesondere das in Braun mit weißer Schrift gehaltene amtliche Richtzeichen 386-51 Verwendung (Größe: 200 mm × 750 mm oder 200 mm × 1000 mm)“ und „Die Lehm- und Backsteinstraße westlich der Mecklenburgischen Großseenlandschaft erhielt 1999 als bislang einziges deutsches Projekt den „To Do!-Preis“ des „Ammerland-Studienkreises für Tourismus“

Der Autowanderer bewandert diese touristischen Straßen auf eine ganz prosaische Art und Weise:

„Das Bereisen touristischer Straßen erweist sich als ein Mix aus Bauwerksbesichtigung, Museumsbesuch und Landschafts- bzw. Stadtbesichtigung, möglicherweise verbunden mit einem Eventbesuch. Eine Rolle spielen vor allem bei denjenigen Routen, die Lebensmitteln gewidmet sind, auch die Verkostung und der Erwerb regionsspezifischer Produkte wie Bier, Wein oder Käse.“

Man kann vor seinem geistigen Auge schon die ganzen VW Käfer mit Heinz Erhardt am Steuer sehen, wie sie sich die Schwarzwaldhochstraße entlangquälen, immer auf der Suche nach einem modernen, autogerechten Urlaub und hintendran die leicht bleiblaue Abgasfahne. Der Picknickkorb auf dem Parkplatz mit dem Brot mit der Gesichtswurst, die Frauen tragen Kleider und die Männer auch in der Freizeit diese Anzüge und vielleicht einen Hut mit Krempe.

Wie sehr das Auto unsere Kultur prägt, zeigt auch das schöne Wort Autofahrerrundwanderweg. Wie wiederum Wikipedia informiert, führten bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts die ausgewiesenen Wanderwege meistens von einem Ort zu einem anderen. Die An- und Abreise erfolgte mit dem Zug und daher konnte man die Strecke einfach zwischen zwei Bahnhöfen wandern. Wenn man allerdings das Auto auf einem Wanderparkplatz parkiert, dann will man die Wanderung auch dort wieder beenden. Das Ergebnis ist, dass „in Deutschland […] mehrere hunderttausend Kilometer als Autofahrerrundwanderwege in der Landschaft markiert“ sind.

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